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Kolumne Ostwärts immerImmer noch gekränkte Polen

Kolumne
von Markus Völker

Zum Glück spielen die Engländer nicht in Polen. Denn seit die BBC den vermeintlichen Rassismus des EM-Gastgebers gegeißelt hat, ist das Land not amused.

D ie Polen hatten es nie leicht. Erst die Deutschen und die Russen. Dann wieder die Russen und die Deutschen, zwischendrin noch die Ösis mit ihrer Monarchie. Später mussten die Polen schlimme Witze ertragen („Woran merkt man, dass die Polen schon im Weltall waren? Am Großen Wagen fehlen die Räder“). Schließlich nahm sich eine deutsche Satireseite die Frechheit heraus, den polnischen Premier als Kartoffel zu bezeichnen.

Doch seit geraumer Zeit dürfen die Polen wieder ungestört Polen sein. Sie haben keine aberwitzige Inflationsrate mehr und die EM haben sie jetzt auch. Sie wollen etwas darstellen in Europa und sich nicht wieder in die nationale Suppe spucken lassen.

Im Moment können die Engländer von Glück reden, dass sie in Donezk und Kiew spielen. Der Spielplan bringt es mit sich, dass sich nur wenige englische Fans in Polen aufhalten. Das ist von Vorteil, denn vergessen ist sie noch nicht, jene tendenziöse BBC-Reportage („Stadiums of Hate“), in der Polen als Hort von Antisemitismus und Rassismus gegeißelt wurde.

Bild: taz
Markus Völker

ist Sport-Redakteur der taz und während der EM in Polen unterwegs sowie bei den Spielen der deutschen Mannschaft dabei.

Die Gemüter haben sich noch nicht beruhigt. Tenor: So etwas Bösartiges habe man noch nie erlebt. Nun hat sich auch der Chef des jüdischen Gemeinschaftszentrums von Krakau zu Wort gemeldet, Jonathan Ornstein. Er hat seine Wurzeln in den USA, ist aber anscheinend ein glühender polnischer Patriot. Er lebe glücklich und sicher in Polen, versichert Ornstein. Die BBC habe ihn als Quelle missbraucht: „Die Fernsehanstalt hat mich und andere benutzt, um das ernste Thema des Antisemitismus für ihre Sensationslust zu manipulieren, sagt er. „Die BBC hat alle Polen beleidigt.“ Die Engländer sollen sich an die eigene Nase fassen, heißt es im Netz.

Auf YouTube ist ein Clip zu sehen mit speziellen Olympischen Sommerspielen in London. Beim Taekwondo sieht man Jugendliche Scheiben eintreten. Bei einer „Turnvorführung“ entblößt ein Teenie sein Hinterteil, geboxt wird mit der Polizei. Ein Pole hat das Video ins Netz gestellt. Auch ein Foto, auf dem das Graffito „Poles out“ zu sehen ist. Es ist mit einem Hakenkreuz verunziert und soll zeigen, wie verhasst die Polen in England seien.

Die Gemeinschaft der Polen in England hat eine Presseerklärung veröffentlicht. Es habe hunderte „Hate Crimes“ gegen Polen gegeben, heißt es da. Hoffentlich revanchieren sich die Polen nicht, wenn England möglicherweise sein Halbfinale in Warschau spielt. Aber das ist so wahrscheinlich wie der freiwillige Beitritt Polens zum Russischen Reich.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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3 Kommentare

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  • F
    Felek

    Hi Peter,

    ich wollte nur kurz auf Deinen Komentar antworten auch um einiges richtig zu stellen:

     

    1. Pol.Rassismus/Antisemitismus

     

    Ich bin absolut VERZWEIFELT mittlerweile! Wieso? Weil dadurch, dass solche Vorurteile gegen uns Polen wiederholt werden wir selber zu Opfern von Xenophobie werden (ich selber wurde schon dafür angegeriffen). Es entspricht absolut nicht der Wahrheit (http://www.auslandsdienst.pl/3/25/Artykul/101768,Wer-die-Juden-wirklich-schl%C3%A4gt)

    Zitat:Die Zahl solcher brutaler Übergriffe steigt rapide an“, sagte der Rzeczposplita in einer Stellungnahme zu dem Vorfall der Generalsekretär des Europäischen Kongresses der Juden Serge Cwajgenbaum. „Wir sind entsetzt. Es besteht kein Zweifel, dass sich Juden zur Zeit viel sicherer in Polen fühlen können, als im Westen. Denn an der Weichsel ist es nie zu einem solch brutalen Überfall gekommen, wie in Frankreich. Dort und in anderen westeuropäischen Staaten wird das dafür langsam zur Norm“, so Cwajgenbaum.

    Wie rassistisch sind die Polen? Als in meiner Heimatstadt Krakau letztes Jahr eine mongolische Familie abgeshoben werden sollte (da sie nach 11. Jahren ihren Aufenhalt noch nicht geregelt hatte) haben Freunde innerhalb einiger Tage 19 000 Unterschriften gesammelt,damit sie bleiben durfen (was sie durften).

     

    2.Gerade in ländlichen Gegenden spielt der Aspekt der Homophobie

     

    In Bayern auf dem Lande homosexuell zu sein ist auch nicht so das Wahre,wenn ich ehrlich sein darf.In den grossen Städten ist das schon anders. Im übrigen wächst kontinuierlich die Zahl der Menschen, die gleiche Rechte für Homosexuelle unterstützen (komischerweise waren es gerade katholische Länder, die als erste die Strafbarkeit für Homosexualität aufgehoben haben-Spanien 1822, Italien 1889, Polen 1932---Deutschland erst 1969, zur Erinnerung)

     

    3.liebsten vollkommen totschweigen möchten

     

    Dazu muss Folgendes gesagt werden-Wir Polen sind wohl das einzigste Volk in Europa, welches sich in Umfragen schlechtere Eigenschaften zuschreibt als sogar schon die Deutschen uns.Diese Komplexe sind eine Nachwirkung des "realen Sozialismus",leider,für den jede Art von Nichtsovietpatriotismus gleich Faschismus war.Dann gibt es noch die sog. "inteligenci" die ihren Stolz darauf bauen "zivilisierter" zu sein als der Rest ihrer Landsleute (ein Phänomen,welches ich auch z.B in Afrika live beobachten konnte)

     

    4.Pilsudski

     

    Ein "Faschist"? Ich hoffe, sie haben ihn nicht mit z.B Mussolini verglichen ;-)

     

    5.nationalen polnischen Widerstands,

     

    Wow.Deine Freunde haben keine Ahnung, so Leid es mir tut. Bitte informiere Dich selbst (Stichwort: Zegota) und Du wirst sehen dass: 1.Polen das einzigste Land war welches eine Organisation zur Rettung von Juden hatte (besagte Zegota) und 2. Das Polen auch das einzigste Land war wo man für die Rettung von Juden zusammen mit seiner Familie ermordet wurde (siehe das Schicksal der Familie Ulma, google aber auch Irena Sendler,Jan Karski,Witold Pilecki). Ich möchte auch darauf hinweisen, dass in Polen Vorwürfe ala "Faschist" "Rassist" u. "Antisemit" vor allem von Linken gegen Konservative verwendet werden als Totschlagargumente.Das Problem welches wir haben ist Folgendes: wir waren fast 5 Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang und haben NICHT unsere Geschichte erzählen können.Jetzt zahlen wir dafür sogar noch den Preis,wie es scheint.

     

    6.die BBC

     

    Ich habe das selbst gesehen und auch mit bitischen Freunden gesprochen. Sie meinten, das dass, was gezeigt wurde,unglaublich selektiv war (so wurden Interviews mit Spielern, die Positives zu sagen hatten wie dass sie viele Fans hätten und nie rassistisch/antisem. angegangen worden wären einfach mal nicht gezeigt.Obwohl das fair gewesen wäre) und dass sie schon seit Jahren das Gefühl hätten die BBC sei nicht immer fair.

     

    7.Heilsam

     

    Im Gegenteil. Das ist eine "Debatte" das ist eine Generalanklage und ein Vorurteil. In Polen (wo schon jetzt Rassismus und Antisem. weit weniger verbreitet sind als in weiten Teilen W-Europas) wird man jetzt noch weniger darüber reden wollen. (vor allem, da die Anklage z.B aus England kommt, einem Land, in dem Rassismus im Fussball normal ist.Rassistische Vorfälle 2011- Um die 18000 Polen 2011: Unter 200)

  • F
    Felek

    Randalierer gibt es,leider,überall.ABER,hier kommt noch etwas dazu, was leider nicht erwähnt wurde: Leider haben einige russische Provokateure es für eine tolle Idee gehalten SOVIETISCHE Flaggen mitzunehmen (unglaublich angesichts des Elends,den die Udssr auch über Russland gebracht hat...).Für uns in Polen ist das der Zwilling vom Hakenkreuz: Wir wurden Jahrzehnte lang okkupiert,ausgeplündert,es gab Morde (knapp 1.Mio Polen,vor allem von der patriotischen Intelligensia-Die Folgen spüren wir noch heute!!!),Vergewaltigungen ect. Was geblieben ist,ist auch eine gebrochene Seele-wem das nichts sagt der google einmal "homo sovieticus"-Für Polen ging der 2 Weltkrieg erst 1989 zu Ende. Es ist eine uglaubliche Beleidigung,tut mir Leid, für die ich kein Verständnis aufbringen kann,gerade auch im Lichte der neuesten dt-russischen Kooperation (wie Northstream,durch welchen der Hafen von Stettin für gr. Schiffe unbefahrbar wird-die müssen dann in Deutschland anlanden -.- und Nordpolen verödet wirtschaftlich)

  • P
    PeterPan

    Ich kann verstehen, dass viele Menschen in Polen sich durch eine Pauschalverurteilung angegriffen fühlen. Gleichwohl sollten wir uns bewußt machen, dass es neben den allseits bekannten Ungerechtigkeiten, die der polnischen Nation widerfahren sind eben auch ein gerütttelt Maß an Rassismus und beinhartem Antisemitismus in Polen exzistiert. Sicherlich kann es als Gebot der Höflichkeit verstanden werden, dass jetzt nicht unbedingt wir Deutschen in all zu offensivem Maße auf so etwas hinweisen. Nur, zu tun als ob es derlei Dinge im Polen des Jahres 2012 nicht geben würde, wird der Sache nicht gerecht. Gerade in ländlichen Gegenden spielt der Aspekt der Homophobie aufgrund einer sehr strengen Auslegung des katholischen Glaubens eine starke Rolle. Ich habe zwei sehr gute polnische Freunde, die mir gegenüber immer wieder geäußert haben, dass das Gros Ihrer Landsleute, Aspekte wie Fasschismus, Antisemitismus und Rassismus im Hinblick auf Ihre Gesellschaft am liebsten vollkommen totschweigen möchten. Diese Freunde wiesen mich auch darauf hin, dass es sich bei dem historischen Marschall Pisulski eben um einen polnischen Faschisten handelte. Darüber hinaus machten die beiden mir gegenüber auch deutlich, dass der überwiegende Teil des nationalen polnischen Widerstands, in voller Absicht und mit zynischem Lächeln, keinerlei Finger krümmten, als sich die Juden während des 2. Weltkriegs im Warschau Gehtto gegen die Deutsche Besatzung erhoben. Diese Hinweise gaben mir enorm zu denken. Mir geht es jedoch nicht um Relativierung oder Verharmlosung. Vielmehr sollten wir überall xenophobe, ausgrenzende, antisemitische, rassistische und homophobe Tendenzen zur Kenntnis nehmen. Die BBC mag sehr übertrieben haben, vollkommen aus der Luft gegriffen waren die Hinweise auf derlei Tendenzen jedoch nicht. Jeder, der einmal ein reguläres Fußballspiel in der polnischen Liga gesehen hat, weiß, auf was die BBC sich bezogen hat. Daher betrachte ich die jetzige Debatte als sehr heilsam.