Kolumne Nullen und Einsen: Optimiert von A.A.A.A.A.A. bis Z
Das Internet hat Suchmaschinenoptimierung groß gemacht – doch es gibt sie schon viel länger. Man muss nur mal ins Telefonbuch schauen.
D as Survival of the Fittest wird fälschlicherweise oft als Überleben der Fittesten verstanden. Dabei geht es um „to fit“, also passen: Nicht die stärkste Art überlebt, sondern die, die sich am besten auf ihre Umgebung einstellt.
Im Internet ist es ganz ähnlich. Es werden nicht zwingend die schönsten und hilfreichsten Seiten von den gängigen Suchmaschinen (also der einen gängigen halt) oben gelistet, sondern diejenigen, die die beste Symbiose mit dem PageRank-Algorithmus (Fun Fact: Dieser Algorithmus ist nicht nach dem englischen Wort für Seite, sondern nach einer Person benannt) und den Webcrawler-Programmen eingehen.
S.E.O., Search Engine Optimizing, heißt die Branche, die all diese Vorgänge analysiert und auszunutzen versucht. Ein Beruf, der 0,3 Punkte auf der „Ich bin ein sinnvolles Mitglied unserer Gesellschaft“-Skala von 1 bis 10 hat und damit nur knapp hinter den Leuten liegt, die als Hot Dog oder Handy verkleidet Flugblätter verteilen.
Nun wurde Suchmaschinenoptimierung zwar durch das Internet groß, aber nicht dort erfunden. Auch der Händler mit dem knallrosa Ladenschild und der Eiswagen mit der lustigen Melodie triggern unsere körpereigenen Crawler, mit denen wir unablässlich die Kohlenstoffwelt nach interessanten Inhalten scannen: Auge und Ohr.
arbeitet als freier Journalist, unter anderem für taz2medien und taz.de.
Lebensmittelhersteller geben einiges Geld für Produktentwicklung aus – und danach noch viel viel mehr, um im Supermarkt im für sie optimal erscheinenden Regalsegment platziert zu werden. Für Radiostationen war es in der Analogradio-Ära vermutlich von Vorteil, wenn sie am Anfang oder Ende des UKW-Bereichs lagen. Den Frequenzsucher nur einmal beherzt an den Anschlag zu reißen, ist bequemer, als den Lieblingssender irgendwo im 94,7-Bereich herauszufummeln. Und zur Zeit von Telefonwählscheiben hatte ein Taxiunternehmen mit der Nummer 22122 eine bessere Marktposition als eins mit der 99899.
Der fortgeschrittenste Prä-Internet-S.E.O-Wettkampf wurde allerdings in Telefonbüchern ausgefochten. Eine Möglichkeit: ganz vorne stehen – oder ganz hinten (eine Option, die bei Google wegfällt). Der allererste Eintrag im aktuellen Berliner Papiertelefonbuch lautet entsprechend „A. A. A. A. E. Merchandise Corporation & Werbeproduktions-GmbH“, wobei die Leerzeichen und Punkte eine wichtige Rolle spielen, denn die „AAA Argusauge Security GmbH“ steht erst auf der zweiten Seite, weit hinter der „A S Frucht GmbH“.
Der zweite Trick ist, nicht eine, nicht zwei, nicht drei, sondern bis zu dreihundert unterschiedliche Nummern anzumelden, um in der unendlichen Kleinteiligkeit der Telefonbuchbleiwüste sofort ins Leserauge zu springen.
Doch auch im Telefonbuchverlag beschäftigt man sich offenbar mit S.E.O.-Abwehr und hat die diffuse Kategorie „Sonstige Einträge“ geschaffen. Hierhin werden Namensungetüme wie „a a a a a a a a a a a a a a absichernder allgemeiner Schlüsseldienst e.K.“ oder „! ! ! ! 0-0h Schlüssel, Schlüsseldienst, Schlüsselnotdienst Tag & Nacht e. K.“ verbannt, neben Firmen, die ganze Spalten mit leicht variierenden 0800er-Nummern füllen.
Mit Evolution hat dieses Nummernghetto natürlich nichts zu tun. Aber manchmal müssen Suchmaschinenbetreiber eben Gott spielen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid