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Kolumne Luft und LiebeHier fickt niemand

Wo kein Frühling ist, sind auch keine Frühlingsgefühle. Der Weltuntergang bringt 15 Zentimeter Neuschnee, alle lenken sich ab.

Brrrrrrrrrr. Bild: dpa

M an blickt nicht gerne in den Abgrund. Man sagt sich nicht gern, dass es keinen Ausweg gibt. Nein, man lächelt sogar noch, wenn alles und jeder und man selbst im Arsch ist, und man tut so, als scheine uns allen immer noch die Sonne aus selbigem.

Aber es gibt keinen Frühling. Seit Wochen nicht.

Dass im Dezember der Weltuntergang angeblich nicht passiert ist, ist eine dieser Urban Legends, von der ich jetzt gerne sagen würde, dass wir bald nur noch über sie lachen werden. Wenn es ein „bald“ gäbe.

Es heißt Weltuntergang, nicht Weltunterzackbumm, und es ist ein Gang durch 15 Zentimeter Neuschnee.

privat
Margarete Stokowski

ist Autorin der taz.

Man muss nur eins und eins zusammenzählen. Der nichtvorhandene Frühling ist eine Folge des Klimawandels, sagen Forscher. Wo kein Frühling ist, sind keine Frühlingsgefühle, sagt die Weisheit. Wo keine Frühlingsgefühle sind, ist kein Sex. Keine Fortpflanzung. Keine Nachkommen. Ende.

Fick dich, Winter!, schreiben Leute auf Facebook, und sehen nicht, dass hier schon lange nichts und niemand mehr irgendwen fickt. (Nur ein paar Tiere, diese Narren. Die Wildtierstiftung schrieb, dass zurzeit reihenweise Babyhasen erfrieren. Nasses Fell, kalter Wind, totes Häschen.)

Die Zugvögel sind wieder umgekehrt, als sie gesehen haben, was hier los ist. Nur ein paar bekloppte Kraniche stehen hier in der Prignitz auf den verschneiten Feldern rum und wissen nichts mit sich anzufangen. Im Wald neben unserem Haus liegt ein Reh mit aufgerissener Kehle und ohne Innereien, die kahlen Rippenknochen wie Gitterstäbe in einem Gefängnis. Ein paar Krähen haben sich die letzten weichen Teile rausgepickt.

Wer das Ende ahnt, versucht abzulenken. Irgendwas mit Zukunft. Am besten etwas fordern. Das ganze Osterwochenende wurden Dinge gefordert. Der neue Papst forderte Weltfrieden und Versöhnung, die Ostermarschierer forderten den Verzicht auf Rüstungsexporte und Matthias Sammer forderte mehr Wachsamkeit bei Eckbällen.

Wer kann, fliegt in wärmere Gebiete. Mein halber Freundeskreis ist verreist, irgendwohin, wo man noch einen Rest Sonne abbekommt. Hauptsache, man fliegt mit dem Flugzeug. Dann ist man nicht nur schneller weg, dann geht es auch noch schneller mit dem Klimawandel und alle müssen kürzer leiden.

Auch hier in der Landkommune läuft das volle Ablenkungsprogramm. Am Karsamstag haben wir sogar „Deutschland sucht den Superstar“ geguckt, mit Weißwein und Popcorn. Wir haben die hampeligen Jungs ausgelacht und für Beatrice angerufen. Okay, ich hab angerufen. Die anderen waren dagegen, und ich musste die 50 Cent für den Anruf in die Telefonkasse schmeißen. Man konnte 10.000 Euro gewinnen. Ich hätte wenigstens meine Schulden begleichen können, bevor alles zugrunde geht. Wenn ich gewonnen hätte. Hab ich nicht.

Am Sonntag, beim Osterspaziergang, sagte ich Goethes „Osterspaziergang“ auf und bei dem Satz „Aber die Sonne duldet kein Weißes“ lachten wir hysterisch. Nur der Hund freute sich über den Schnee wie am ersten Tag.

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
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14 Kommentare

 / 
  • RB
    Rainer B.

    @tazitus

     

    Mir gefällt der Volker Pispers auch viel besser. Dieter Nuhr holt sich seine Lacher z.B. gerne, indem er behauptet, das Waldsterben sei eine Erfindung depressiver Ökos. Sowas kommt immer gut an, entspricht aber nicht den Tatsachen. In meiner Heimat ist der Waldboden seit Jahrzehnten durch CO2-Belastung so sauer, dass dort ohne jährliche Kalkung aus Hubschraubern kein Baum mehr stehen würde.

  • T
    tazitus

    @Rainer B: Es gibt Komiker, die haben eine Pointe und machen sich dazu die Statistik passend (Nuhr). Und es gibt Kabarettisten, die sehen die Realität und dazu fallen ihnen dann unendlich viele Pointen (Satire, Ironie usw.) ein (z.B. Pispers).

  • V
    vic

    Immer wieder schön

  • RB
    Rainer B.

    @Micha

     

    tazitus hat recht. Das Zitat ist aus einem Program von Dieter Nuhr. Ich nehme mal an, es war von Nuhr nicht ganz ernst gemeint, sondern mehr so als Denkanstösschen.

  • GG
    Gustav Gans

    "Hauptsache, man fliegt mit dem Flugzeug. Dann ist man nicht nur schneller weg, dann geht es auch noch schneller mit dem Klimawandel und alle müssen kürzer leiden."

     

    Gefickt eingeschädelt ;-)

  • P
    Purple

    @didi

     

    A propos Legasthenie:

     

     

    "Multiple exclamation marks are a sure sign of a diseased mind."

     

    ― Terry Pratchett

  • P
    polyphem

    Fressen, Ficken, rauschig sein,

    Da werden alle Sorgen klein.

    Und friert der Winter Stein und Bein,

    Trotz allem liebt das wilde Schwein.

     

    Mit seiner menschlichen Natur

    Denkt es sonst nur ans Fressen.

    In monotoner Maiskultur

    Da hat Frau Has gesessen.

    Mit ihrer süßen Kinderschar,

    Ein Wildschweintrupp war auch schon da.

     

    Denkt`s Borstenvieh mal nicht ans Blasen,

    Rafft es dahin die Babyhasen.

    Die Schweine fressen alles auf,

    Die Lampes gehen dabei drauf.

  • T
    tazitus

    @Micha: Der "Großkomiker" Dieter "Nuhr die Wahrheit" verbreitet gern mal solchen Schwachfug wie ihn Rainer B zitiert. Da kann man Nuhr sagen: "Wenn man keine Ahnung hat einfach mal..."

  • D
    Dominique

    Diese gute Dame ist der einzige Grund, warum ich noch taz lese. Hat Sie nen Blog?

     

    Hab mich herrlich schlappgelacht.

     

    WeltunterZACKBUMM. Ganz großes Kino. :D

  • M
    Micha

    @Rainer B.

     

    Wo auch immer du das gelesen hast, es stimmt wohl nicht. Man geht allgemein davon aus, dass auf der Erde bisher rund 100 Milliarden Menschen gelebt haben/gestorben sind: http://de.wikipedia.org/wiki/Weltbev%C3%B6lkerung#Zahl_aller_jemals_geborenen_Menschen

  • I
    ion

    "Wer das Ende ahnt, versucht abzulenken. Irgendwas mit Zukunft."

     

    Jo! Z.B. die heute Abend im Arte-TV anlaufende 1. Staffel der schwedischen Serie «Real Humans - Echte Menschen».

    http://www.arte.tv/de/real-humans-echte-menschen/7364810.html#xtor=AD-42

  • D
    didi

    Moin Moin

     

     

    Weltfrieden und so mag ja gut und schön sein

     

    aber ich meine es sollte mit dem Frieden und der Freundlichkeit

     

    in der eigenen Familie angefangen werden.

     

    Dann kommt der Rest von alleine !!!!!!!!!

     

    In vielen Familien gibt es Kinder die Lese und Rechtschreibprobleme haben

     

    also Legastheniker sind.

     

    Da kann man anfangen zu Helfen !!!!

     

     

    http://legasthenie-hilfe.de.tl

     

     

    In diesem Sinne alles Gute

  • RB
    Rainer B.

    Immer wieder schön. Irgendwo hab ich gelesen, dass heute mehr Menschen auf der Erde leben, als jemals gestorben sind. Wem das ein Trost ist, dem sei gesagt, dass es offensichtlich auch ohne Frühlingsgefühle steil nach oben geht.

  • F
    Frühlingsgedicht

    Lecken - Ficken - Bumsen - Blasen, das sind die bunten Hasen.