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Kolumne German AngstDie Mauer verläuft durchs Mittelmeer

Was kümmert es die EU, dass Libyen ein zerrüttetes Bürgerkriegsland ist? Der Wunsch nach geschlossenen Grenzen ist einfach zu stark.

Flüchtlinge nördlich von Libyen Foto: dpa

S PD-Fraktionschef Thomas Oppermann schrieb in der FAS: „Um die Schleuserbanden wirksamer zu bekämpfen, müssen wir ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen, indem die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge wieder zurückgebracht und zunächst in Nordafrika versorgt und betreut werden.“

Dieser Satz enthält die ganze menschenverachtende Brutalität der EU-Abschottungspolitik. Mit „Geschäftsgrundlage“ meint Oppermann Menschen, die es lebendig nach Europa schaffen. Man zerstört das Geschäft, indem man dafür Sorge trägt, dass sie es nicht mehr tun – dass sie sterben, oder schon weit entfernt festgesetzt werden.

In Libyen etwa. Da gibt es 700.000 Flüchtlinge, bis zu 7.000 laut Human Rights Watch interniert in Camps, in denen Folter und sexuelle Gewalt Routine sind. „Versorgt“ und „betreut“, das ist Sozialdemokratisch für „Internierung und staatliche Folter“. Mehrere Tausend Menschen werden pro Jahr allein von der libyschen Küstenwache in die Camps verschleppt.

Trainiert wird diese seit 2016 von der EU. Und sie ist effizient, Hilfsorganisationen wie Sea Watch berichten wiederholt, wie sie Schlauchboote überfiel und Flüchtlinge ertrinken ließ – in unserem Namen.

Das Elend in Europa

Aber so weit muss man gar nicht gehen. In den überfüllten Lagern in Griechenland starben letzte Woche fünf Männer. Im Rahmen des Relocation-Programms muss die EU Zehntausende der dort festsitzenden Flüchtlinge aufnehmen, Deutschland 27.500. Doch die Leute sterben weiter. Das letzte Opfer der EU-Verweigerung ist von Freitag: Ein junger Afghane ertrank beim Versuch, die Grenze von Serbien – wo 10.000 Flüchtlinge meist ohne Versorgung hausen – nach Ungarn zu überqueren.

Aber Westeuropa nimmt das Elend in Europa kaum mehr zur Kenntnis. Und auch nicht das an seiner Mittelmeergrenze, wo 2016 mehr als 5.000 Flüchtlinge ertranken. Die EU-Regierungschefs beraten stattdessen, wie diese Menschen weiter aus dem Blickfeld und in Vergessenheit geraten können, am besten dorthin, wohin sich schon aus Sicherheitsgründen kein TV-Team mehr verirrt.

Wir haben Frontex

Anders gesagt: Die EU-Staaten verkaufen Flüchtlinge an Autokratien und in Kriegsgebiete, liefern sie Folter und Tod aus, unterlaufen das Recht auf Asyl. Wenn man sich die Herkunft derer anschaut, die nie einen Asylantrag in Europa stellen werden können, braucht es hier gar keinen „Muslim Ban“. Wir haben Frontex, den Türkei-Deal, Dublin II, eine steigende Zahl als sicher eingestufter Herkunftsstaaten, Schengen. Jahrelang haben deutsche und EU-Politiker daran gefeilt und einen faktischen Einwanderungsstopp für Menschen aus Syrien, Afghanistan, Libyen, Iran, Sudan, Irak erreicht. Die Mauer der EU, sie verläuft durchs Mittelmeer. Und anders als die USA will die EU sogar selbst dafür bezahlen – die nordafrikanischen Staaten, die ihre Schmutzarbeit erledigen. 200 Millionen Euro ist das den EU-Staaten 2017 wert.

Pro Asyl bezeichnete den Malta-Gipfel als „Tiefpunkt europäischer Flüchtlingspolitik“. Aber das stimmt nicht. Das ist keine Politik mehr. Es ist Beihilfe zum Massenmord.

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Sonja Vogel
tazzwei-Redakteurin
Vollzeitautorin und Teilzeitverlegerin, Gender- und Osteuropawissenschaftlerin.
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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Liebe Frau Vogel,

     

    bitte noch viel mehr davon, bis die Menschlichkeit wieder die Oberhand gewonnen hat in der EU, der Friedensnobelpreisträgerin.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    Das Brett vorm Kopf und die Mauer im Mittelmeer, was für Zeiten.

  • So viel Klartext ist das Mindeste in einem Land mit Meinungsfreiheit, finde ich. Leider ist die Kehrseite der Meinungsfreiheit: Diejenigen, die er was angehen müsste, ignorieren ihn einfach. Sie können sich das nämlich sehr gut leisten. Gibt schließlich keine Moral, die sie dran hindert, sondern nur andere Mächtige, die sie darin bestärken.

  • 3G
    36855 (Profil gelöscht)

    @Frau Vogel

    Wie könnte denn eine Lösung aussehen?

    Übrigens, in Griechenland sterben nicht nur Menschen in Flüchtlingslagern sondern auch auf den Straßen und Plätzen und in ihren Wohnungen,

    Sie erfrieren, verhungern, sterben an unbehandelten Krankheiten.

    Es sind Griechen, Frauen, Männer, Kinder.

    Auch das ist die EU und ihre Politik.

    Das ist leider völlig aus dem Fokus verschwunden, obwohl sie hier leben, in unserer unmittelbaren Nähe. Portugal? Spanien?

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @36855 (Profil gelöscht):

      "Es sind Griechen, Frauen, Männer, Kinder.

      Auch das ist die EU und ihre Politik."

       

      Die übrigens einen Namen hat: "GröFiMaZ" (LOWANDORDER)...

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Niemand kann doch ernsthaft wollen dass sich diese Menschen auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen und zu tausenden ersaufen? Da hilft es auch nicht ab und zu mal unsere europäpischen Kriegsmarinen auf Rettungseinsatz zu schicken. Selbstverständlich muss diese Fluchtroute geschlossen werden um die Flüchtlinge vor diesen Gefahren zu schützen. Ob da eine Kooperation mit Libyen der richtige Schritt ist, steht auf einem anderen Blatt aber kurzfristig wohl das realistischste Szenario. Mittel- bis Langfristig hilft es nur die Fluchtgründe vor Ort zu beseitigen.

    • @4845 (Profil gelöscht):

      Auch die Aufnahme von Flüchtlingen hilft bei der Beseitung von Fluchtgründen. Die Gelder, die Migranten nach Hause schicken, tragen einen guten 'Teil zum Bruttosozialprodukt bei und sind erwiesenermaßen effektiver als Entwicklungshilfe, weil direkt am Menschen.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @Artur Möff:

        Noch ein Nachtrag: wesentlich nachhaltiger als jede Entwicklungshilfe und jedes private Geld das runtergeschickt wird wäre eine faire Außen- und Wirtschaftspolitik der EU gegenüber den Staaten Afrikas. Ein Großteil der dortigen Armut wird durch einseitigem, aufgezwungene Freihandelsabkommen verursacht, welche den EU-Markt schützen aber die Märkte der afrikansichen Staaten mit unseren hochsubventionierten Überproduktionen fluten und somit deren nationale Wirtschaft zerstören. Darin liegt der Schlüssel um die wirtschaftlichen Fluchtgründe nachhaltig zu beseitigen. Alles andere ist herumgedocktere an Symptomen.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @Artur Möff:

        Nachtrag: Und selbst wenn dies uneingerschränkt stimmen würde, man kann doch nicht so zynisch sein, deswegen die Menschen dazu zu ermuntern sich auf die gefährliche Route über das Mittelmeer zu machen wo ein Großteil - selbst bei Rettungsmissionen von Kriegsmarinen - jämmerlich ersaufen oder unter anderen Umständen auf dem Landweg das Leben verlieren werden. Mann muss diese Flüchtlinge schließlich auch vor deren eigenen (wenn auch nachvollziehbaren aber eben verzweifelten) Maßnahmen schützen.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @Artur Möff:

        Wenn überhaupt, dann nur minimal und dann trifft dies bestenfalls auf Wirtschaftsflüchtlinge zu, welche nach internationalem Flüchtlingsrecht ohnehin keinen Anspruch auf Asyl haben. Bei Flüchtlingen mit Asylanspruch durch Verfolgung bzw. Kriegsgrund hilft das Geld - wenn sie überhaupt eins zurückschicken können- herzlich wenig.

      • @Artur Möff:

        Durch das Schicken von Geld werden ja wohl kaum Fluchtgründe beseitigt sondern im Gegenteil Fluchtanreize geschaffen.