Kolumne Besser: Mach’s gut, taz!
Die taz ist das, was ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter daraus machen. Für mich war die taz ein großer Spielplatz mit allem, was dazugehört.
E s ist ein Vierteljahrhundert her, dass ich bei der Main-Spitze, dem Rüsselsheimer Lokalteil der Mainzer Allgemeinen, ein Praktikum in einer Redaktion absolvierte. Als ich dem betreuenden Redakteur F. meinen ersten Artikel vorlegte – es ging um die Lesung einer Kinderbuchautorin –, wollte er wissen, warum ich Journalist werden wolle. „Ich will die Leute informieren“, antwortete ich, „ich will über Missstände aufklären, die Welt verändern“ – was man mit 16 halt so sagt, wenn man 16 ist und glauben darf, die Lösung für die großen Fragen der Menschheit gefunden zu haben.
F. antwortete: „90 Prozent aller Journalisten sind Journalisten geworden, weil sie es toll finden, ihren Namen in der Zeitung zu lesen. Das ist in Ordnung, man sollte sich nur dessen bewusst sein. Darum beginnst du jeden Text damit, indem du deinen Namen aufschreibst.“
Gleich nach den W-Fragen war dies meine zweite Lektion in Sachen Journalismus. Ich war so verblüfft, dass ich vergaß nachzufragen, was mit den übrigen zehn Prozent los ist. Heute hätte ich eine Vermutung. Und ich wüsste, dass es verschiedene Formen der journalistischen Eitelkeit gibt. Aber lassen wir das, denn zu dieser Minderheit gehöre ich ohnehin nicht.
F. hatte mich dazu aufgefordert, über das eigene Tun nachzudenken. Aber er war kein Zyniker und hatte nichts dagegen, das Schreiben in den Dienst des Guten, Schönen und Wahren zu stellen. Das ist nämlich das Wunderbare an diesem Beruf: Weil man dabei helfen kann, die Dinge zu ordnen und zu verstehen. Weil man immer wieder in fremde Welten eintauchen und seine Leser dorthin mitführen kann. Weil man Dinge formulieren kann, über die andere Menschen sagen: „Sie haben meine Gedanken auf den Punkt gebracht.“ Oder gar: „Sie haben Worte für meine Gefühle gefunden.“ Nicht, weil man mit einem Artikel die Welt verändern könnte – das passiert nur in höchst seltenen Fällen. Aber dazu beizutragen, dass sich die Leserinnen und Leser hinterher etwas schlauer fühlen, ist schon viel wert. Und ihnen durch einen Text oder eine Zeile ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern nicht weniger. Noch ein Privileg genießt man als Journalist: Man kann, wie es Stefan Ripplinger einmal formulierte, nach Herzenslust scheiße finden und besser wissen.
„Eine Tonleiter umfasst sieben Töne. Die Frage, welcher der Töne ,besserʻ sei: Do, Re oder Mi, ist eine unsinnige Frage. Der Musikant muss aber wissen, wann und auf welche Taste er zu schlagen hat.“ Dieses in einem anderen Zusammenhang gesagte Wort von Trotzki habe ich stets für eine gute Maxime beim Schreiben und Blattmachen gehalten.
Texte aus dem Handgemenge
Doch was wir Journalisten produzieren, ist keine Kunst, auch keine Philosophie. Es sind Gebrauchstexte mit begrenzter Haltbarkeit, verfasst aus dem Handgemenge. „Ärger dich nicht zu sehr über einen schlechten Text und bilde dir nicht zu viel auf einen guten ein – in die Zeitung von heute wird morgen Fisch eingewickelt“, lautet ein weiterer Satz in meinem Goldenen Notizbuch. Er stammt von Maik Söhler, meinem zweiten Ausbilder bei der Jungle World, der längst ebenfalls in der taz arbeitet. Wer eine Geschichte als Erster entdecken oder einen Gedanken als Erster formulieren will, geht ein Risiko ein. Und wer etwas riskiert, kann auf die Fresse fliegen.
Es geht nicht ohne Handwerk. Aber so manches journalistische Leitbild ist Illusion, wenn nicht gar Ideologie: Distanz, Objektivität, das ganze Lehrbuchzeug – all das gibt es, aber nur in Maßen. „Es ist in Ordnung, beim Schreiben eine Haltung zu haben, man sollte sich nur dessen bewusst sein“, hätte F. vielleicht gesagt. Fragen kann ich ihn nicht mehr, weshalb ich hier seinen Namen nicht nenne.
So gibt es einige wenige Texte, von denen ich wünschte, ich hätte sie geschrieben. Und es gibt einige Texte und Formulierungen, die ich besser nicht geschrieben hätte. Die Irrtümer und Fehler waren jedenfalls meine, nicht die der taz. Als Autor aber bin ich in der taz an keine unüberwindbaren Grenzen des Erlaubten gestoßen. Die taz ist das, was ihre Redakteure und Autoren aus ihr machen – keine schlechte Grundlage, um eine gute Zeitung zu machen.
Händchenhalten und Hundescheiße
Eine gute Zeitung aber macht man mit Neugier, mit Leidenschaft und mit Lust. Ich jedenfalls hatte hier sehr viel mehr Spaß, ob beim Schreiben oder beim Blattmachen, mit meinem Freund und Kollegen Jan Feddersen, bei allerlei Sonderprojekten, bei der Betreuung der Panter-Workshops oder bei der Leseshow „Hate Poetry“, die ich mit meiner taz-Kollegin Doris Akrap und den Kollegen Ebru Taşdemir, Yassin Musharbash und Mely Kiyak vor über drei Jahren im taz-Café ins Leben rief.
Die taz war für mich irgendwann ein großer Spielplatz mit allem, was dazugehört: Abenteuer und Raufereien, Händchenhalten und Hundescheiße. Mit dem Unterschied freilich, dass es um die Dinge ging, von denen wir glaubten, dass sie Sie ebenfalls interessieren.
Dies ist nun mein letzter Text für die taz. Meine taz.
Ich gehe in Demut vor einer Zeitung, die in ihren besten Momenten eine der besten der Welt sein kann. Ich gehe in Dankbarkeit für eine aufregende Zeit, in freundschaftlicher Verbundenheit zu vielen Kolleginnen und Kollegen, und mit Respekt für die verstorbenen taz-Autoren Christian Semler und Klaus-Peter Klingelschmitt, dessen Kolumnenplatz zu übernehmen ich die Ehre hatte.
Um es in Anlehnung an den heutigen Spiegel-Online-Redakteur Stefan Kuzmany zu sagen: Ich danke allen Leserinnen und Lesern, die es bedauern, dass ich die taz verlasse; allen, die sich darüber freuen, und allen, denen es egal ist. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Bleiben Sie der taz treu. Sie ist eine Gute.
Besser: So.
Und zu allerletzt der große Rainald Grebe mit seiner Version eines Klassikers.
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