Keine Rente für KZ-Opfer-Witwe: Die verlorene Ehre der Familie B.
Der Staat verwehrt der Witwe eines Sinto, der Auschwitz überlebte, eine Hinterbliebenenrente. Seit drei Jahren kämpft Eva B., nun wird der Fall vor Gericht verhandelt.
BERLIN taz | 2177. Bis zu seinem Tod vor dreieinhalb Jahren hatte Anton B. diese Nummer auf seinem Unterarm stehen. In Auschwitz im KZ hatte man sie ihm eintätowiert, dazu ein Z wie „Zigeuner“.
Zehn Geschwister hatte der 1924 in Herne, Westfalen, geborene Sinto Anton B. einst. Alle zehn wurden in Auschwitz ermordet, genauso wie sein Vater.
„Die ganze Großfamilie, außer meinem Mann und seiner Mutter, wurde ausgerottet“, sagt Anton B.s Witwe Eva. Die beiden haben sich 1975 kennen und lieben gelernt, später zogen sie in ein Mietshaus in einem niederbayerischen Dorf bei Straubing.
Dort sitzt Eva B. nun im Wohnzimmer, auf dem Tisch hat sie Fotos und Papiere über das Leben ihres Mannes ausgebreitet. Es sind Kopien von Karteikarten, die das unfassbare Verbrechen der Nationalsozialisten an der Familie B. belegen. Daneben liegen alte Fotos von Anton B. Eines zeigt ihn im späten Jugendalter, mit schwarzen Locken, sanften Gesichtszügen und großen, dunkelgrauen Augen. „So sah er aus, als sie ihn abgeholt haben“, sagt Eva B.
Auf dem Tisch liegt noch ein weiterer Aktenordner. Er befasst sich mit dem Streit, der nach Anton B.s Tod zwischen seiner Witwe und dem Staat entbrannt ist und die heute 62-Jährige sichtbar mitnimmt.
Zutiefst empört
Anton B. war zwei Wochen nach einer Herzschrittmacher-Operation am 8. Februar 2009 gestorben. Seitdem versucht seine Witwe eine Hinterbliebenenrente nach dem Bundesentschädigungsgesetz zu bekommen. Doch die dafür zuständige Bezirksregierung Düsseldorf will ihr diese nicht zugestehen. Am 7. August wird die Sache unter dem Aktenzeichen 27 O 10/09 (E) nun vor dem dortigen Landgericht verhandelt.
Es ist ein Fall, der den Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma zutiefst empört. Und selbst wenn die nordrhein-westfälischen Behörden am Ende juristisch Recht bekommen sollten – als gerecht wird das Vorgehen kaum jemand betrachten können.
Anton B. wird am 6. März 1943 in Recklinghausen von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz verschleppt. Dort wird er von den SS-Ärzten als noch „arbeitsfähig“ eingestuft und kommt im April 1944 in das Konzentrationslager Buchenwald. In einem Außenkommando zwingen die Nazis ihn zur Arbeit im Stollenbergbau, später muss er im KZ Mittelbau-Dora Sklavenarbeit für die Produktion der V2-Raketen ableisten.
Zwölf Jahre nach dem Krieg erkennt der Staat an, dass die mehr als zwei Jahre in den Konzentrationslagern Anton B.s Gesundheit ruiniert haben. Eine „Übererregbarkeit des vegetativen Nervensystems“ wird ihm 1957 ebenso attestiert wie „Störungen des Herzgefäßkreislaufes mit Herzmuskelfunktionsbeeinträchtigung erheblichen Ausmaßes“. Aufgrund dieses Befunds bezieht Anton B. zeit seines Lebens eine Opferrente. Auf 70 Prozent wird später die sogenannte „verfolgungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit“ festgesetzt.
Nach Anton B.s Tod stellt seine Frau Eva, deren Onkel ebenfalls in einem KZ ermordet wurde, einen Antrag auf Witwenrente. Doch das Dezernat 15 für Wiedergutmachung bei der Bezirksregierung Düsseldorf schreibt Eva B. trocken: „Der Antrag auf Witwenrente wird abgelehnt.“
Die Regelung, wann Hinterbliebene von NS-Geschädigten eine Rente bekommen, ist hochkompliziert. Im Sinne einer „doppelgliedrigen Kausalkette“ muss erstens ein „verfolgungsbedingtes“ Leiden vorgelegen haben, das zweitens auch zum Tod geführt hat. Immer wieder kommt es vor, dass in den komplexen Entschädigungsverfahren der zweite Teil dieser Kette in Frage gestellt und die Witwenrente abgelehnt wird.
Äußerst ungewöhnlich ist aber das Vorgehen der nordrhein-westfälischen Behörden im Fall von Anton B. Denn sie sprechen dem NS-Opfer posthum ab, dass dessen krankes Herz auf die KZ-Internierung zurückzuführen sei. Sie beugen sich über die Arztakten und EKG-Befunde aus den 50ern und 60ern und kommen zu der Ansicht: Zwar habe Anton B. aus den mehr als zwei Jahren in den Lagern der Nazis zweifelsohne „starke psychische und vegetative Beschwerden“ davongetragen – die Anerkennung von Anton B.s Herzleiden als „verfolgungsbedingt“ sei im Rückblick aber eine „Falschanerkenntnis“ gewesen.
Für Eva B. hätte diese Entscheidung, falls sie vor Gericht standhält, weitreichende Auswirkungen. Denn dann bekäme sie nicht nur keine Witwenrente in Höhe von rund 900 Euro pro Monat; auch die um ein Drittel niedrigere „Witwenbeihilfe“, die das Gesetz ermöglicht, würde ihr wohl verwehrt bleiben. Das hat die Bezirksregierung Düsseldorf in einem Schreiben bereits angekündigt.
„Das ist der krasseste Fall, den wir je hatten“, sagt Markus Metz vom Verband Deutscher Sinti und Roma in Bayern. Er vertritt die Interessen der Witwe in dem Verfahren gegen die Bezirksregierung. Und auch die Entschädigungsexperten des Bundesverbands Information und Beratung für NS-Verfolgte in Köln sagen: „Das ist skandalös.“
Öffentlichkeit herstellen
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat versucht, hinter den Kulissen auf die Düsseldorfer Bezirksregierung und das nordrhein-westfälische Innenministerium einzuwirken – ohne Erfolg. Deshalb will nun an diesem Dienstag Zentralratsvorsitzende Romani Rose mit einem an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) gerichteten Brief an die Öffentlichkeit gehen.
„Das ist 67 Jahre nach dem Holocaust ein unglaublicher und nicht hinnehmbarer Vorgang“, heißt es in Roses Schreiben, das der taz vorab vorlag. „Wir werden diese Herabsetzung der Auschwitz-Opfer nicht zulassen.“ Romani Rose ist aber nicht nur wegen des Vorgehens der nordrhein-westfälischen Behörden empört; sondern auch, weil er eine „skandalöse Ungleichbehandlung“ gegenüber den Hinterbliebenen von ehemaligen Wehrmachtssoldaten und SS-Leuten sieht, die im Krieg verletzt oder getötet wurden. Von einer „zynischen Missachtung der Opfer gegenüber den Tätern“ ist in seinem Brief an Hannelore Kraft die Rede.
Gleich nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurden Sinti und Roma diskriminiert und schließlich auf Grundlage einer pseudowissenschaftlichen Rassenideologie systematisch verfolgt und vernichtet. 1938 bildeten die Nazis eine „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerwesens“.
Als „Asoziale"“ und „Arbeitsscheue“ wurden Sinti und Roma in Konzentrationslagern wie Dachau, Sachsenhausen und Ravensbrück interniert und zur Zwangsarbeit versklavt. Von Sommer 1941 an ermordeten Einsatzgruppen auf dem Gebiet der Sowjetunion hinter der Front massenweise Angehörige der Minderheit.
Nach einem Befehl von Heinrich Himmler wurden von März 1943 alle noch im deutschen Herrschaftsgebiet lebenden Sinti und Roma nach Auschwitz-Birkenau verschleppt und in einem „Zigeunerlager“ interniert, mindestens 17.000 von ihnen starben dort. Insgesamt sind bis zu 500.000 Sinti und Roma dem Völkermord der Nazis in Europa zum Opfer gefallen. (wos)
Tatsächlich bekamen nach dem Zweiten Weltkrieg sogar die Witwen von NS-Größen wie dem Holocaustorganisator Reinhard Heydrich oder dem Volksgerichtshofspräsidenten Roland Freisler eine Hinterbliebenenrente. Erst 1998 wurde das Gesetz geändert: Kriegsverbrecher und ihre Angehörigen sollten von da an keine Leistungen mehr nach dem für Kriegsversehrte maßgeblichen Bundesversorgungsgesetz bekommen. In 50 bis 70 Fällen wurden danach jährlich NS-Tätern und in 20 bis 40 Fällen ihren Hinterbliebenen die Renten verwehrt.
Eine der Witwen aber, deren Mann bei der Waffen-SS war und während des Russlandfeldzugs in der Einsatzgruppe B hinter der Front Massenerschießungen von Juden absicherte, klagte gegen den Staat – und tatsächlich urteilte 2009 das Bundessozialgericht, man könne der Frau trotz der Taten ihres 2001 gestorbenen Mannes nicht automatisch eine Witwenbeihilfe versagen. „Vertrauensschutz“ lautete die Begründung, die Witwe „sollte sich auf frühere Verwaltungsentscheidungen zugunsten des Beschädigten verlassen können“. Als „Beschädigter“ war ihr Mann gemeint, der einstige SS-Sturmmann, der 1943 bei einem Fliegerangriff verletzt worden war.
"Die größte Frechheit"
Die Witwe des NS-Opfers Anton B. ging allerdings ebenso fest davon aus, dass der Staat ihr nach dem Tod ihres Mannes eine Rente oder wenigstens eine Beihilfe gewähren würde. Auch ihr Mann soll sich zu Lebzeiten darauf verlassen haben. Doch sie soll nach dem Willen der nordrhein-westfälischen Behörden leer ausgehen. Ein „Vertrauensschutz“ wird nicht gewährt.
„Es ist nachvollziehbar, dass die Entscheidung für die Witwe von Herrn B. schwer zu akzeptieren ist“, heißt es beim Innenministerium des rot-grün-regierten Landes. Die zuständige Bezirksregierung habe aber „keinen Ermessensspielraum“ gesehen. Sollte das Landgericht zu einer anderen Bewertung kommen, würden die Behörden dies aber „selbstverständlich akzeptieren“.
Anton B.s Witwe Eva empfindet den nun schon mehr als drei Jahre andauernden Streit als „die größte Frechheit“, wie sie beim Gespräch in ihrem niederbayerischen Dorf bei Straubing sagt.
Hinter ihr an der Wand im Wohnzimmer, zwischen Standuhr und Kamin, hängt ein Foto ihres Mannes in älteren Jahren. Daneben ein Holzkreuz. 18 Jahre lang haben die beiden hier in der Wohnung zusammengelebt, hier pflegte sie ihren Anton bis zum Ende. Nun wird Eva B. womöglich bald ausziehen müssen.
Innerhalb der drei Jahre nach dem Tod ihres Mannes habe sie ihre eigene Lebensversicherung aufgezehrt, sagt die Witwe. Sie selbst kann seit einer Krebserkrankung schon länger nicht mehr arbeiten. Ohne die Witwenrente bliebe ihr nur eine Grundsicherung auf Hartz-IV-Niveau.
Aber ums Geld geht es ihr eh nicht an erster Stelle. „Ich will keine Almosen“, sagt Eva B. „Ich will Gerechtigkeit.“
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