Irak nach dem US-Truppenabzug: Politische Krise führt zu Gewalt
Eine Serie von Anschlägen hat in Bagdad Dutzende von Toten und viele Verletzte gefordert. Der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten droht weiter zu eskalieren.
BAGDAD taz | Die Bomben explodierten vor Schulen, Kindergärten, an Sammelstellen von Tagelöhnern und vor einem Büro der Antikorruptionskommission. Nach Angaben des Innenministeriums fielen den Anschlägen mindestens 63 Personen zum Opfer, fast 200 Menschen wurden verletzt. Das Zentrum der Hauptstadt, in dem sich sonst morgens der Verkehr staut, wirkte nach der Gewaltserie wie verwaist. Viele Geschäfte blieben geschlossen. Im zentralen Stadtteil Karrada, wo drei Autobomben explodierten, bemühten sich Sanitäter und Feuerwehrleute unter Hochdruck, die Verletzten zu bergen.
Die meisten Sprengsätze gingen in schiitischen Vierteln in die Luft. Bewohner machten Sunniten für die Gewalt verantwortlich. "Das ist das Werk von Haschemi", schimpfte eine Mutter, deren Kind verletzt wurde. Die schiitisch dominierte Regierung beschuldigt Vizepräsident Tarik Haschemi, den ranghöchsten Sunniten im Irak, in Terroranschläge verwickelt zu sein. Gegen ihn erging ein Haftbefehl.
Die Anschlagsserie am Donnerstag folgte nur einen Tag, nachdem Ministerpräsident Nuri al-Maliki, ein Schiit, den schwelenden Konflikt mit den Sunniten weiter angeheizt hat. Am Mittwoch drohte Maliki, die Koalition mit dem Irakiya-Bündnis, dem auch Haschemi angehört, aufzukündigen. Irakiya repräsentiert die Stimme der Sunniten in der Regierung und im Parlament.
Gezimmerte Koalition nie handlungsfähig
Die vor einem Jahr auf Drängen der USA gezimmerte Koalition war nie wirklich handlungsfähig. Die Sunniten werfen dem Regierungschef seit Langem vor, die Macht in seinen Händen zu konzentrieren. Nachdem Maliki zuvor schon gegen die Autonomiestrebungen von sunnitischen Provinzen zu Felde zog, brachte der Haftbefehl gegen Haschemi und die Absetzung von Saleh Mutlak, sunnitischer Stellvertreter von Maliki, das Fass zum Überlaufen.
Haschemi wies die Anschuldigungen, die auf den angeblichen Geständnissen drei seiner Leibwächter beruhen, als politisch motiviert zurück. Er fordert eine Neuaufnahme der Ermittlungen in Kurdistan, wohin er sich abgesetzt hat. Maliki fordert jedoch von den Kurden Haschemis Auslieferung, was diese ablehnen. Amerikanische Kommandanten hatten vor dem Abzug ihrer Truppen vor "Turbulenzen" im Irak gewarnt.
Irakiya-Politiker werfen Maliki vor, er habe nur auf den Abzug der Amerikaner gewartet, um zum Schlag gegen die Sunniten auszuholen. Kaum sind die US-Truppen weg, steuern Schiiten und Sunniten auf eine Konfrontation zu. Die Anschläge vom Donnerstag weisen daraufhin, dass die Extremisten darauf nur gewartet haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
starke gefühle
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“