Hommage an Filmemacher Herzog: „Was ich bin, sind meine Filme“
Lange war er der verlorene Sohn der deutschen Filmszene. Doch in diesen Tagen gibt es zahlreiche Veranstaltungen über und mit Werner Herzog.
„Um eins von vornherein klarzustellen“, sagt Werner Herzog dem inhaftierten James Barnes zu Beginn des Gesprächs direkt ins Gesicht, „ich halte ihren Kampf um Gerechtigkeit sicher für gerechtfertigt. Doch das heißt nicht, dass ich Sie auch mögen muss.“ Barnes zuckt kaum mit der Wimper, versteht umgehend, woran er ist, dass er hier nicht im Mittelpunkt einer Empathieshow steht: „Klar“, sagt er. Kurz und bündig.
Wie viele andere Figuren aus dem umfangreichen dokumentarischen und fiktionalen Oeuvre des (nach Selbstverständnis) nicht deutschen, sondern bayerischen Regisseurs wirkt auch Barnes fahrig, im Wesen unergründlich, als würde in ihm ein Wille rumoren, der ihm nicht nur seine Zelle, sondern die ganze Welt zu klein werden lässt.
Doch gibt es Unterschiede. Weder will Barnes Weltmeister im Skispringen werden – wie der Schweizer Walter Steiner, den Herzog in den frühen 70er Jahren gebannt dabei beobachtete, wie er die Grenzen seines Sports bis an die Grenzen zum Lebensgefährlichen auslotete. Noch will er, wie Klaus Kinski in Herzogs bekanntestem Film „Fitzcarraldo“, im Dschungel einen Raddampfer über einen Berg ziehen oder zwei Achttausender hintereinander weg bezwingen, wie Reinhold Messner in „Gasherbrum“.
„Eroberung des Nutzlosen“: Volksbühne Berlin, 19. und 20. Oktober, jeweils um 20 Uhr
„An den Grenzen – Werner Herzog“: Symposium und Filmreihe, Filmmuseum und Arsenal-Kino, Berlin, 21. bis 26. Oktober, Programm unter www.deutsche-kinemathek.de
Moritz Holfelder: „Werner Herzog. Die Biografie“. Langen Müller Verlag, München 2012, 288 Seiten, 22,99 Euro
Chris Wahl (Hrsg.): „Lektionen in Herzog. Neues über Deutschlands verlorenen Filmautor und sein Werk“. Edition Text + Kritik, München 2011, 29 Euro
Barnes treibt es nicht, wie andere Herzog-Figuren, unter dem Einfluss der Herzogs Filmpoesie inhärenten Zentrifugalkraft an die Ränder der eigenen Welt. Am Rand ist er längst gestrandet: Wegen Mordes verurteilt, harrt er im Todestrakt der US-amerikanischen Strafvollzugsbehörden seiner Hinrichtung. Wohl auch, um diese hinauszuzögern, rückt Barnes mit neuen Geständnissen heraus, deren Wahrheitsgehalt von den Justizbehörden überprüft werden muss: Salamitaktik, um das Ziel aufzuschieben. Die Begegnung mit Barnes stammt aus „Death Row“, Herzogs großartiger vierteiliger Fernsehreihe, für die der Filmemacher unter starken Auflagen – die Behörden wünschen keinen Celebrity-Kult – das Gespräch mit vier Todeszelleninsassen gesucht hat.
Dokumentarfilmreihe
Am Sonntag, den 21.10.2012 eröffnet eine Schau von Herzogs neueren Dokumentarfilmen im Berliner Kino Arsenal, bereits am 19.10.2012 lädt, ebenfalls in Berlin, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zum ersten von zwei improvisierten Theaterabenden, an denen Herzog unter Begleitung seines Stamm-Filmmusikers Ernst Reijseger aus „Eroberung des Nutzlosen“, seinen fiebrigen Tagebuchnotizen zu den strapaziösen Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo“ liest.
Kurz: Es herrschen Werner-Herzog-Festspiele, regster Betrieb. Zu den Kulturveranstaltungen gesellt sich eine filmwissenschaftliche Tagung im Filmmuseum am 26. Oktober, zwei Tage darauf wiederholt das Kreuzberger Eiszeit-Kino Beate Beckers materialreiches Feature, das Anfang September zu Herzogs 70. Geburtstag im Deutschlandradio lief. Im Vorfeld warteten landauf, landab wohlgesonnene bis in altlinker Tradition gehässige Gratulanten auf, bereits im Frühjahr zückte Horst Seehofer ein Bundesverdienstkreuz.
Keine schlechte Bilanz für den seit geraumer Zeit schwerpunktmäßig in den USA lebenden und arbeitenden Regisseur, der in der Berichterstattung nicht mehr vorrangig als wahnwitziger Kinski-Dompteur, sondern als verlorener Sohn des deutschen Kinos apostrophiert wird, dessen aktuelle, hochproduktive Schaffensphase der provinzielle deutsche Kinobetrieb schon seit geraumer Zeit nicht mehr adäquat abzubilden in der Lage ist. So etwa im Juni in einem Feuilletonaufmacher der Frankfurter Allgemeinen, die Herzog noch glatt die Hälfte seiner hiesigen Kinostarts unterschlagen hat. Nicht, dass ihn sein Status in Deutschland groß kümmern würde: „Es spielt keine Rolle. Für mich nicht, für die Filme nicht, und für Deutschland auch nicht“, zitierte ihn das Blatt.
Dabei liegt eine neue Herzog-Mania hierzulande seit einiger Zeit in der Luft. Zumal mit der US-amerikanischen Blogosphäre gut vernetzte cinephile Blogs und Magazine kommentieren Herzogs Werk auch abseits von Kinostarts – über Festivalbesuche und DVD-Importe. Eine Trendwende markiert Herzogs Vorsitz der Berlinale-Jury im Jahr 2010, der zugleich eine späte Versöhnung im lange schwierigen Verhältnis zwischen dem Festival und dem Regisseur darstellt. Mit der Aufsatzsammlung „Lektionen in Herzog“ zog 2011 die Filmwissenschaft nach und leistete dabei durch den internationalen Autorenstamm nicht nur überfällige akademische Nachholarbeit, sondern von vornherein eine national unabhängigere, aufgefächerte Perspektive auf Herzogs Filme und deren Rezeptionsgeschichte, die sich gerade im schon frühzeitig international ausgerichteten Kino Herzogs nie bloß auf die deutsche kaprizieren lässt.
Geburtstagshommage
Pünktlich zu Herzogs 70. Geburtstag veröffentlichte der bayerische Journalist Moritz Holfelder zudem eine – von Herzog allerdings nicht autorisierte – Biografie, die ihr Versprechen, Licht ins Dunkel hinter den von Herzog gepflegten Mythen zu seiner Person zu bringen, gottlob nicht vollends, aber doch zum Gutteil einlöst: Herzogs Credo „Was ich bin, sind meine Filme“, das die integrale Einheit von Person und Werk nicht nur unterstreicht, sondern eine abseits des Werks denkbare Person von vornherein ausklammert, liest Holfelder gewissermaßen rückwärts: Herzogs Filme sind, was er ist. Sie dienen Holfelder wenn schon nicht als biografische Spuren, so doch als Hinweisstifter, die er eng an die aus zahlreichen Interviews und Audiokommentaren entnommenen Anekdoten anschmiegt. Deren Grad an Überhöhung und Verfremdung wiederum rückt er durch die Äußerungen vieler Wegbegleiter Herzogs und Recherchearbeit vor Ort in der bayerischen Gemeinde Sachrang, wo Herzog als Junge aufwuchs, wieder näher ans Faktische.
Im Grunde holt der deutsche Kulturbetrieb in diesem Überschwang zeitversetzt die Entwicklung nach, die in den USA kurioserweise mit jenem Film einsetzte, der mangels Kinostart Herzogs Verschwinden in Deutschland einläutete: „Grizzly Man“ (am 23.10. im Kino Arsenal), Herzogs so anrührender wie intensiver Dokumentation über den radikalen Umweltaktivisten Timothy Treadwell, dem seine romantische Zuneigung zu wilden Bären zum tragischen Verhängnis wurde, brach dort einen bis heute anhaltenden Herzog-Boom los, der zwar auch die Sphäre offizieller Kulturverwaltung zwischen Filmarchiv, Theater und Akademie durchdrang, sich auf diese aber, im Gegensatz zur neu entflammten Liebe zu Herzog in Deutschland, bei weitem nicht beschränkt.
Sein buchstäblich eigensinniges Auftreten, sein idiosynkratischer, auch bayerisch-anarchischer Humor formten im Kontext der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie, deren Primäraffekten und wuchtiger Energie Herzog als selbst erklärter „Soldat des Kinos“ schlussendlich sicher näher steht als alteuropäischem Kunstsinnen, einen innig umarmten Exoten, der zu Hause immer eher etwas überfordert als Sonderling empfunden wurde.
So ist es vielleicht tatsächlich vielsagend, dass Herzogs neue Filme nun in den kommenden Tagen im Kino Arsenal nicht nur an einem Ort aufgeführt werden, der vorrangig der filmhistorischen Rückschau vorbehalten ist, sondern dies auch mit direktem Blick durch eine trennende Glaswand auf das alltägliche Kinogeschäft im benachbarten Multiplex, das den cinephilen Weihen nebenan mit jener „überwältigenden Gleichgültigkeit“ gegenübersteht, die Herzog in seinen titanischen Dschungelabenteuern in der Natur zugange sieht. Herzog bleibt Gast auf Zwischenstation.
Noch in diesem Jahr sollen in den USA die Dreharbeiten zu „Queen of the Desert“ beginnen, mit „Twilight“-Star Robert Pattinson in einer Hauptrolle als Lawrence von Arabien. Für den Regisseur aus dem Chiemgau ist Deutschland auch bis auf Weiteres zu klein.
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