Häusliche Gewalt gegen Frauen: Sicherheitsrisiko Ehemann
Es kommt in den besten Familien vor. Fast jede zweite Frau, die in Deutschland getötet wird, kennt ihren Mörder: Es ist ihr Lebenspartner.
BERLIN taz | Ein Mann ermordet seine Frau, zerstückelt sie und wirft einzelne Leichenteile in den Hof. Was genau am Montag in Berlin-Kreuzberg in der Nähe des Besuchermagnets Potsdamer Platz geschah, ist noch nicht genau geklärt. Die Polizei geht von einer Beziehungstat aus.
Für die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes (TdF) ist der Kreuzberger Mord ein klarer Fall von häuslicher Gewalt – allerdings in einem extremen Ausmaß. „Wir sind geschockt und entsetzt über diesen grausamen Mord“, sagt Christa Stolle, TdF-Geschäftsführerin: „Es kommt nicht häufig vor, dass ein Fall von häuslicher Gewalt derart grausam endet.“
Gewalt in den eigenen vier Wänden ist in Deutschland ein bekanntes Problem. Statistiken belegen, dass vor allem Frauen davon betroffen sind. ExpertInnen sprechen daher auch von „männlicher Gewalt im häuslichen Bereich“. Einer Studie des Familienministeriums zufolge hat jede vierte Frau zwischen 16 und 85 Jahren schon Gewalt durch den Ehemann, den Lebensgefährten oder einen anderen engen Vertrauten erlebt.
Opfer: Laut Bundeskriminalamt (BKA) wurden im Jahr 2011 in Deutschland 662 Menschen Opfer von Mord und Totschlag – davon 349 Männer und 313 Frauen.
Täterbeziehung: Für das Jahr 2011 hat das BKA erstmals ausgewiesen, ob das Opfer eine Paarbeziehung zum Täter hatte. Zuvor war nur allgemein angegeben worden, ob Opfer und Täter verwandt waren. Laut BKA waren insgesamt 26,9 Prozent der Täter aktuelle oder ehemalige Lebenspartner der Opfer, in zwei Dritteln all dieser Fälle waren Täter und Opfer zur Tatzeit verheiratet.
Geschlechterverhältnis: 49,2 Prozent aller getöteten Frauen wurden Opfer ihres Partners. Nur 6,9 Prozent aller ermordeten Männer waren Opfer ihrer Partnerin.
Tendenz: Insgesamt fällt die Zahl der Tötungsdelikte seit Jahren. 2003 wurden laut BKA noch 859 Menschen Opfer von Mord und Totschlag. Damals gab es noch 1,0 Opfer pro 100.000 Einwohner, 2011 nur noch 0,8. (ga)
Das reicht von einer Ohrfeige bis hin zu teilweise regelmäßigen und schweren Misshandlungen und Vergewaltigungen mit körperlichen und psychischen Langzeitfolgen. Nur in Ausnahmefällen kommt es zum Mord. Häufig eskaliert ein länger schwelender Konflikt in der Trennungsphase eines Paares.
Schon lange ist bekannt, dass die meisten Mörder ihr Opfer gut kennen. Laut Bundeskriminalamt (BKA) waren 2011 etwa zwei Drittel der Opfer mit den Tätern eng verwandt oder bekannt. Seit Januar 2011 erfasst das BKA in der Kriminalstatistik erstmalig auch die „Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung“. So wird nun offensichtlich: Die Täter sind nicht irgendwelche Verwandten oder Bekannten. Von den 313 Frauen, die im vergangenen Jahr in Deutschland getötet wurden, wurden 154, also rund die Hälfte, vom eigenen aktuellen oder ehemaligen Lebenspartner ermordet.
„Das ist sehr viel“, sagt Birte Rohles, Referentin für Häusliche Gewalt bei TdF. Etwa alle zweieinhalb Tage wird in Deutschland eine Frau durch ihren Partner getötet. Diese Zahl sei erschreckend, sagt Rohles, aber nicht überraschend: „Experten sind von einer solchen Größe ausgegangen.“
Die Täter kommen aus allen sozialen Schichten, sagt sie. Der Arbeitslose kann genauso brutal werden wie der Professor. Man vermute aber, dass ein höherer finanzieller Druck eher zu einer schwierigen Situation führen könne, sagt Rohles. Statistiken darüber gibt es nicht. Auch die vielfach geäußerte Vermutung, dass häusliche Gewalt und Morde eher im migrantischen Milieu stattfinden, kann die TdF-Mitarbeiterin nicht bestätigen.
Gewalt an Männern
Es gibt auch Gewalt an Männern. Aber selbst diese werde hauptsächlich durch Männer verübt, weiß Heike Lütgert, Erste Kriminalhauptkommissarin im Ruhrgebiet. Hier handle es sich vor allem um Taten, die im öffentlichen Raum, also seltener zu Hause, stattfinden. „Frauen üben mit unter zehn Prozent selten Beziehungsgewalt gegen Männer aus“, sagt die Dozentin für Kriminologie und Kriminalistik an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Bielefeld.
Der Bundesregierung hat auf das Problem männlicher Gewalt im häuslichen Bereich reagiert und im März das Hilfetelefongesetz beschlossen. Ab Januar 2013 soll es einen bundesweiten, kostenlosen Notruf für Frauen mit Gewaltproblemen geben. Das Hilfetelefon wird während der Aufbauphase in diesem Jahr mit 3,1 Millionen Euro finanziert.
Später sollen es jährlich 6 Millionen Euro sein. Darüber hinaus gilt seit zehn Jahren das Gewaltschutzgesetz, das häusliche männliche Gewalt ausdrücklich anerkennt und nicht mehr als Nachbarschafts- und Familienstreitigkeit verharmlost.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind