Guggenheim Lab in Berlin: Eine Nummer kleiner
Was bleibt, wenn am Sonntag die gesponserte Denkfabrik abgebaut wird? Nicht viel, abgesehen von der Erkenntnis: Berlin diskutiert seine Zukunft längst selbst.
Da stehen sie, zu vierzehnt, und blicken auf das einst besetzte Haus in der Linienstraße, auf verwitterte Graffiti an der Fassade, zerfranste Transparente. Was sie empfänden, hier vor dem Gebäude, sollen sie sagen. Die Antwort tippen die vierzehn in Smartphones, die zu Beginn der Tour an jeden verteilt wurden. Sprechen sollen sie nicht. Um die Ergebnisse „nicht zu verfälschen“.
Zwei Bewohner stellen vor dem Besetzerhaus ihre Räder ab, schauen auf die Gruppe mit unverhohlener Skepsis. Die Lab-Flaneure sprechen sie nicht an. Sie sehen sie nicht mal, sie schauen ja in ihre Handys. Und ziehen weiter zur nächsten Station.
„Testing Berlin“ nennt sich diese Lab-Einheit, ein Rundgang durch Mitte, anderthalb Stunden lang. Was die Architektur mit den Gefühlen der Städter mache, wolle man erkunden, erklärt der Tourleiter. Am Ende stellt er fest, dass vor dem Hausprojekt die Stimmung gut gewesen sei. „Wahrscheinlich auch, weil sich die Tour dem Ende neigte.“
Sechs Wochen lang diskutierte das BMW Guggenheim Lab über die Zukunft von Großstädten, im Konkreten Berlin. Über 100 kostenfreie Veranstaltungen wurden im Hinterhof des Pfefferbergs durchgeführt. Bezahlt wurde das Ganze von BMW und der New Yorker Kultur-Stiftung Guggenheim.
24.336 Teilnehmer hatte das Lab bis Mittwochabend, teilten die Veranstalter mit.
Am Freitag und Samstag soll es darum gehen, wie Technologien und "Architekturen auf Zeit" urbanes Leben verändern. Dazu gibts "Freiluft-Fitness mit Arne Schönwald". Sonntag ist Schluss, mit einer Feier von 12 bis 20 Uhr.
Das indische Mumbai ist die nächste Station des Labs. (ko)
Ist es das, was hängen bleibt, wenn am Sonntag, nach sechs Wochen, das BMW Guggenheim Lab zu Ende geht? Nach all der anfänglichen Aufregung um die aus New York eingereiste Ideenwerkstatt? Der Fußabdruck des Labs in der Stadt werde subtil sein, sagt Künstler und Architekt Le Van Bo, einer der Berliner, die dem Projekt ihre Expertise schenkten. Das dürfte es treffen.
Im Grunde hatte das Lab schon verloren, bevor es überhaupt begann. Als es noch nach Kreuzberg sollte, aber nach Muskelspielen lokaler Autonomer Reißaus auf den Pfefferberg nahm, genau gesagt: auf den dortigen Hinterhof. Als es das wilde Experiment ausschlug, seine Debatten mitten auf der verwunschenen Cuvrystraßen-Brache, im Auge der Widersacher, auszufechten. Und als die Erwartungen ins Kraut schossen, wo doch ohne das Tohuwabohu im Vorfeld wohl wenige überhaupt von dem Projekt erfahren hätten. „Confronting comfort“ aber, das Leitthema, im heimeligen Prenzlauer Berg zu diskutieren, ist schon eine schräge Idee.
Man hat das erst kürzlich gesehen bei der Berlin Biennale. Erst als die Künstler eine Mauer auf die Friedrichstraße stellten, als die Anwohner eine Petition für den Abriss starteten, wurde das Kunstfestival präsent, entstand eine Verbindung zur Stadt. Dem Lab fehlte diese Reibung. Man diskutierte unter sich, für eigens angereiste Interessenten, vielfach auf Englisch. Das alles blickdicht versteckt im Hinterhof, in einem offenen, überdachten Karbonwürfel. Tatsächlich blieben bis auf eine kleine Auftaktdemo alsbald alle Proteste aus. Wen sollte das auch aufregen?
Le Van Bo ging mit seinen Ein-Quadratmeter-Häusern einmal raus zum Kottbusser Tor. Selbst gezimmerte Hüttchen, 250 Euro fürs Material, transportabel, falls man mal wieder verdrängt wird. Und einer der raren Kommentare des Labs zur Gentrifizierungsdebatte. Die Leute kamen und begutachteten seine Hütte. Als van Bo sie einlud, selbst ein Haus im Lab zu bauen, winkten die Kreuzberger ab. Senefelder Platz? Keine Ahnung, wo das sei.
Dabei war das, was dort diskutiert wurde, nicht uninteressant. Bostoner Professoren redeten da, Kasseler Psychologen oder Mauerpark-Karaokist Joe Hatchiban. Und als SPD-Staatssekretär Ephraim Gothe kam, ließ der sich auf einen runden Tisch für eine neue Liegenschaftspolitik festnageln und auf mehr Bürgermitsprache bei der Vergabe kommunaler Grundstücke.
Oder als die eingeschlafene Debatte über den Checkpoint Charlie aufgeschnürt wurde. Als sich alle Diskutanten einig waren über den „unwürdigen Kirmesplatz“ und über den Bedarf eines neuen, internationalen Museums. Und die junge TU-Soziologin Sybille Frank dagegen hielt: Die Touristenströme zeigten ja, dass der Ort „auch so funktioniere“. Da war die Debatte wieder da. Und sie traf diese Stadt.
Nur blieben diese Momente rar. Stattdessen wurden Lego-Kameras gebastelt, meditiert und in Mülltonnen gegrillt. Anders als auf der ersten Station in New York wolle man nicht nur diskutieren, sondern machen, hatte Lab-Kuratorin Maria Nicanor erklärt. Nett. Aber auch nicht neu.
So berichtete im Lab Sprayer Thomas Bratzke über seine „City of Names“. Eine vier Wochen pulsierende Spanplattenstadt, aufgebaut von 30 Sprayern am Mariannenplatz. Kinder versteckten sich in den schiefen Hütten, Anwohner schimpften. „Jeder sollte den Raum in Beschlag nehmen, wie er wollte“, sagte Bratzke. „Es hat funktioniert.“ Das war 2005. Im Lab flimmerten nur noch die Bilder über große Bildschirme.
Das immerhin zeigte das Lab: An Zukunftsideen mangelt es dieser Stadt nicht, am Ausprobieren auch nicht. Schon eine Weile wird hier ja urban gegärtnert, in Schenkboxen Gebrauchtes getauscht oder gegen Verdrängung okkupiert, neuerdings selbst in Rentnertreffs in Pankow.
Freiflächen aufgespürt
So ist nicht zufällig eines der wenigen Projekte, die vom Lab bleiben, eines, das in die Stadt vorstieß. Mit einem roten Feuerwehrauto stöberten die „freespace“-Leute um den Stadtsoziologen Florian Schmidt Freiflächen auf, befragten Anwohner zu ihren Ideen für diese Orte. Am Ende wurde alles auf einer Onlinekarte festgehalten – was fortgesetzt werden soll. Gut 20.000 Euro spendierte das Lab dafür.
Was man denn erwartet habe, fragt Carsten Joost, Mediaspree-Aktivist, der auf dem Lab über Bürgerwiderstand referierte. „Das Lab war ein Ort von vielen in Berlin, wo Stadtentwicklung diskutiert wurde.“ Kuratorin Nicanor sagt, man habe Diskussionen „kickstarten“, Menschen verbinden wollen. Mehr sei gar nicht Ziel gewesen.
Aber warum braucht man dafür ein Team aus New York, das sich erst monatelang einarbeiten muss? Weil der trendige Urbanism eben doch der Markenpolitur dient. Eine, wie Joost betont, von vornherein „unsägliche Idee“ – auch wenn BMW im Laufe des Labs immer öfter unerwähnt blieb. So hat Berlin wohl am meisten vom Lab gelernt, als es noch in Anreise war. Als Autonome und der Bürgermeister über die Aufwertung dieser Stadt stritten und darüber, wie offen dieser Ort ist und wofür.
In New York, im East Village, hat ein Bürgerverein wieder den Platz übernommen, den das Lab innehielt. Ein Kunstpark soll dort nun hin, Skulpturen vielleicht. Florian Schmidt schwebt für Berlin anderes vor. Warum könne es nicht jedes Jahr ein Berlin-Lab geben? Nur fortan mit lokalen Initiativen, „neutral“ organisiert. „Ein Ort“, so Schmidt, „auf den dann alle schauen.“
Am Pfefferberg sagt ein Nachbar, vom Lab habe er „fast nichts“ bemerkt. Nun hoffe er vor allem eines: dass auf dem Hinterhof bald wieder Rasen wächst.
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