Große Ziele für die FDP: Der Lotse geht an Bord
Patrick Döring steht für den konservativen Flügel der FDP. Wird er der Partei wieder Selbstbewusstsein geben? Kann er die Karre aus dem Dreck ziehen?
Der Pilotfisch also. Ein quergestreifter Wegbereiter für die großen Brocken im Meer. Ein Begleitfisch der Wale und Haie. Der siebzig Zentimeter lange Pilot- oder Lotsenfisch schwimmt mit ihnen mit. Er befreit die Riesen von Hautschmarotzern, er frisst ihre Ausscheidungen, ist also insgesamt so etwas wie ein freundlicher Krisenmanager und Problembeseitiger seines übergroßen Schützlings. Oder seines Beschützers. Aber das ist eine Frage der Perspektive.
Die FDP müsse wieder der Pilotfisch sein, hat Patrick Döring kürzlich in einem Zeitungsinterview gesagt. Gemeint hat der designierte FDP-Generalsekretär damit keineswegs die Hinterherräumqualitäten dieses Fischs. Nein, Kern dieses Sprachbilds ist "die FDP als Pilotfisch des großen Walfischs Union", also eine Art politischer Richtungsanzeiger innerhalb der schlingernden schwarz-gelben Koalition.
Das sagt Patrick Döring am Dienstagnachmittag in seinem Büro. Es ist stürmisch draußen, schräger Regen schnürt an den Fenstern im dritten Stock der Berliner Parteizentrale. Dämmerung senkt sich über die Hauptstadt, gegenüber vom Thomas-Dehler-Haus fluten Lichtkegel die tiefen Pfützen einer gigantischen Baugrube.
"Es hilft ja nichts"
Döring wird bislang kaum Gelegenheit gehabt haben, diese Aussicht zur Kenntnis zu nehmen. Gerade mal drei Wochen ist es her, dass er von seinem Parteichef Philipp Rösler als neuer Generalsekretär präsentiert wurde. Vorausgegangen war an diesem 14. Dezember der fluchtartige Rückzug Christian Lindners von seinem Posten.
Morgens die Rücktrittserklärung vor der Presse im Thomas-Dehler-Haus, mittags ein Kurzstatement des Vorsitzenden und abends auf derselben gelb-blauen Bühne die Präsentation des Nachfolgers. Patrick Döring, 38 Jahre alt, Versicherungsunternehmer aus Hannover, Bundesschatzmeister der FDP und Freund von Philipp Rösler.
Nun, kurz vor dem Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart, sitzt der Neue am Besprechungstisch in seinem Büro. Er gehe, sagt er, "mit einer gehörigen Portion Respekt in die Veranstaltung. Ganz offen, sechs Minuten auf dem Parteitag sind eine andere Nummer als fünfzehn Minuten im Stuttgarter Staatstheater. Dessen bin ich mir bewusst. Aber es hilft ja nichts, ich werde mich der Sache stellen."
Die öffentliche Person: Patrick Döring, 38, wächst in Stade auf. Er studiert in Hannover Wirtschaftswissenschaften. Seit 2005 ist er Mitglied des Bundestages. Vor drei Wochen wurde er von FDP-Chef Philipp Rösler als künftiger Generalsekretär präsentiert. Am Freitag soll er beim Dreikönigstreffen in Stuttgart eine mit Spannung erwartete, politisch richtungsweisende Rede halten.
Die private Person: Patrick Döring ist verheiratet, seine Frau arbeitet als Verlagskauffrau. Döring spielt seit der Grundschulzeit Saxofon, er mag Jazz. Döring ist Mitglied in der Schützengilde Kirchrode. Er kocht und isst gern. "Das", sagt er, "kann jeder sehen."
Er wirkt nicht so, als fürchte er sich vor einem klaren Wort vor großem Publikum. Er gibt jetzt schließlich den Generalsekretär: Zuspitzer, Strippenzieher, Problemlöser seiner binnen zwei Jahren Regierungsbeteiligung gefährlich geschrumpften Bundespartei. Vielleicht auch eine Art Pilotfisch für Philipp Rösler, seinen zaghaften Freund und Vorsitzenden.
Am Freitag ist es so weit. Wie jedes Jahr am 6. Januar versammeln sich die Liberalen in Stuttgart zu ihrem politischen Jahresauftakt. Wie jedes Jahr wird es vier Redner geben – einer von ihnen ist Döring. Aber etwas ist anders in diesem Jahr. Obwohl die Liberalen formal an der Macht sind, sind sie schwach wie nie. Drei Prozent der Wähler würden ihnen dieser Tage ihre Stimme geben. Drei Prozent!
Das ist kurz vor dem nicht messbaren Bereich. Die Liberalen haben es in den zurückliegenden zwei Jahren tatsächlich hingekriegt, sich selbst zu zerlegen. Sie haben ihren eitlen Vorsitzenden und Vizekanzler Guido Westerwelle abgeschossen und ihn durch den zarten Philipp Rösler ersetzt. Sie haben den bodenständigen Generalsekretär Dirk Niebel durch den intellektuellen Christian Lindner ersetzt und ihn dann in die Flucht geschlagen. Sie haben sich von der Union in Eurodebatten führen lassen, als seien es Glaubenskriege.
Darüber haben sie sich intern bis aufs Messer zerstritten und gerade noch abwenden können, dass die Mitglieder den Abgeordneten diktieren, wie sie in der Eurofrage abzustimmen haben. Sie sind in Baden-Württemberg aus der Landesregierung geflogen und in Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz sogar ganz aus den Parlamenten. Sie dümpeln mittlerweile so lange unter der Fünfprozentmarke herum, dass sogar Forsa-Chef Manfred Güllner meint, die FDP sei "zum ersten Mal in ihrer Existenz gefährdet".
Leere Bilderhaken
Mag sein, dass die machtbesoffene FDP, wie sie vor zweieinhalb Jahren zur Bundestagwahl angetreten ist, Emporkömmlinge angezogen hat. Mag sein, dass da ein paar VWLer meinten, sie könnten reibungslos Karriere machen in einer Partei, die einen 32 Jahre alten Generalsekretär Lindner kennt. Von denen dürften die meisten jedoch wieder ausgetreten sein – 5.000 Mitglieder haben der FDP im zurückliegenden Jahr den Rücken gekehrt. "Es ist bedauerlich um jeden", sagt dazu der designierte Generalsekretär.
Aber da sind auch noch die alten Liberalen, die in den Orts- und Kreisverbänden politisch etwas bewegen wollen. Deren Wort in ihren Gemeinden etwas galt – jedenfalls bis die Boygroup im Regierungsviertel anfing freizudrehen. Kann Patrick Döring diese Leute wieder einfangen? Ja, räumt er ein, "es ist anstrengend, vor Ort die Rübe hinzuhalten für das, was in Berlin abgeht. Die Arbeit dieser Leute vor Ort verschwindet hinter den miesen Kommentaren und Schlagzeilen."
Groß und massig schwingt Patrick Döring in seinem Stuhl. Er trinkt ein Glas Wasser, streicht sich über die auberginefarbene Krawatte, hinter ihm erstreckt sich sein neues Büro. Es sieht hier aus, als sei der Vormieter nur gerade verreist, die Möbel stehen noch genauso wie bei Christian Lindner: Schreibtisch rechts hinten, Couchgruppe links an der Wand, darüber eine großformatige Winterlandschaft, vorne rechts der schwarze Besprechungstisch.
Drei leere Bilderhaken künden davon, dass Lindner seine Bürokunst weggebracht hat: Drei Schwarzweißporträts hingen hier. Otto Graf Lambsdorff, Karl-Hermann Flach und Ralf Dahrendorf, die großen liberalen Vordenker, hatten dem 32-jährigen Lindner stets über die Schulter geschaut. Jetzt ist Platz für Neues.
Patrick Döring hat Wichtigeres zu tun, als sich um Innenausstattung zu kümmern. Bis vor Kurzem war er Bundesschatzmeister der FDP, jetzt gibt er auch noch den Generalsekretär. Gewählt werden soll er ja erst beim Bundesparteitag im April. Schon jetzt richten sich viele Hoffnungen auf ihn, vor allem die der verprellten Steuersenker und Staatsskeptiker.
Er hält diese Erwartungen selbstbewusst aus. Der Niedersachse ist Mitglied im Schaumburger Kreis, dem konservativen Wirtschaftsflügel der FDP. Er ist diplomierter Wirtschaftswissenschaftler, Vorstand zweier Versicherungskonzerne und Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn. Er ist Machtfülle gewöhnt.
Döring wurde 1973 geboren, der Vater ist Textileinzelhändler, die Mutter betrieb einen Kaffee- und Pralinenladen in Stade. Mit achtzehn Jahren wird er FDP-Mitglied. Zuvor hatte er sich ein bisschen umgeschaut, hat Parteiprogramme gelesen und ist zu Ortsvereinssitzungen gegangen. Bei der FDP sei es gewesen, wie Klein-Fritzchen sich das vorstellt, erinnert er sich.
Da hätten der Bäcker, der Zahnarzt und der Tennislehrer gesessen, er habe sich gleich zu Hause gefühlt. Es geht dann zügig voran mit ihm in seiner Partei. Er ist Mitte der Neunziger Vizechef der Jungen Liberalen, dann Kreisvorsitzender und Bezirksvorsitzender, schließlich steigt er in den Landesvorstand auf. Er freundet sich mit Philipp Rösler an. Alles läuft nach Plan.
2005 zieht er in den Bundestag ein, er wird verkehrspolitischer Sprecher und fällt im kalten Winter 2010 medial mit seiner Forderung nach einer "nationalen Streusalzreserve" auf. Die, sagt er, "haben wir jetzt auch: 100.000 Tonnen". Derlei Sachen freuen ihn. Man sieht es an seinen blitzenden Augen und hört es am glucksenden Lachen, wenn er sagt, man müsse für bestimmte Probleme eben Aufmerksamkeit erzeugen. "Es gibt ja auch die nationale Erbsreserve."
Neue Geschlossenheit
Zuspitzen kann er. Aber jetzt soll in Stuttgart so was wie eine neue Geschlossenheit entstehen. "Wir in der FDP zelebrieren unsere Differenzen zu sehr", sagt Patrick Döring. Er schaut jetzt streng durch seine randlose Brille. "Wir haben uns zu viele Sorgen darum gemacht, dass andere uns kleinmachen wollen. Dass es dann tatsächlich dazu kam, das wissen wir, dazu haben wir auch selber unseren Beitrag geleistet." Klare Kante gegenüber dem Koalitionspartner, soll das heißen, jetzt kommt Döring, Abteilung Attacke.
"Politik", sagt er, "ist nicht so viel anders als eine Karriere in einem Unternehmen, was die Bedeutung und Entwicklung auch von zwischenmenschlichen Beziehungen anbelangt." Zwischenmenschlich dürfte es gerade wieder ein bisschen haken. Seinem Freund und Parteichef Philipp Rösler hat Döring im Stern-Interview bescheinigt, dieser sei "kein Kämpfer, sondern ein Wegmoderierer". Er, Patrick Döring hingegen, sei ein Freund klarer Worte. Nett ist das nicht. Aber er ist der Pilotfisch, er muss jetzt Probleme beseitigen und die Richtung vorgeben.
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