Gewerkschaften und Rüstungsindustrie: „Wir müssen umsatteln“
Es wird mit dem Waffenexport nicht mehr lange so weitergehen, sagt Jürgen Bühl von der IG Metall. Die Industrie müsse jetzt auf zivile Güter umsatteln.
taz: Herr Bühl, jetzt ist es passiert: Die Öffentlichkeit redet über Sinn und Nutzen deutscher Waffenexporte. Ist das für die Gewerkschaft der Rüstungsarbeiter unangenehm?
Jürgen Bühl: Nein, überhaupt nicht. Wir gehören nicht zur Rüstungslobby. Wir haben immer eine klare Position für Frieden und Abrüstung bezogen. Derzeit unterstützen wir zum Beispiel die Kampagne von Amnesty International für einen internationalen Waffenhandelsvertrag.
Anlass für die aktuelle Aufregung ist der geplante Export von Leopard-2-Panzern nach Saudi-Arabien. Ist ihre Gewerkschaft dafür oder dagegen?
Wir sind gegen eine Aufweichung oder Absenkung der deutschen Exportstandards und verlangen, dass nur in Länder exportiert wird, in denen keine Gefahr von Menschenrechtsverletzungen mithilfe der exportierten Waffen drohen. Wir sind also dagegen, dass Panzer in Krisengebiete geliefert werden.
Davon ausgehend, dass Sie Saudi-Arabien zu einem Krisengebiet zählen – was sagen denn Ihre IG-Metall-Kollegen vom Betriebsrat des Leopard-Herstellers Krauss-Maffei Wegmann dazu?
Wir hier in der Zentrale in Frankfurt haben einen sehr weiten Blickwinkel und sind dazu da, die Linie der IG Metall zu definieren, und die ist wie geschildert. Mit den Kollegen von KMW wie auch von den anderen großen Unternehmen überlegen wir im Arbeitskreis Wehrtechnik gemeinsam, welche alternative Richtung die deutsche Wehr- und Sicherheitsindustrie einschlagen kann. Die Wehrtechnik in Europa wird schrumpfen.
43, ist Gewerkschaftssekretär beim IG-Metall-Vorstand in Frankfurt/Main und leitet dort den Arbeitskreis „Wehrtechnik und Arbeitsplätze“.
Warum? Deutschland jedenfalls, drittgrößter Waffenexporteur der Welt, steht doch blendend da.
Es wird so nicht bleiben. Ich frage: Wenn die Industrie bereits 70 Prozent der Produktion in den Export gibt – wohin soll denn noch exportiert werden? Wenn die Verteidigungshaushalte der Nato-Staaten sinken, wer soll die Produkte noch kaufen? Es wird dringend Zeit, die Debatte über Diversifikation und auch Konversion – also die Auffächerung des Sortiments und die Umwandlung von militärisch Nutzbarem in zivil Nutzbares – wieder aufzunehmen. Das Thema liegt leider seit 10 bis 15 Jahren brach, übrigens auch bei der Friedensbewegung. Aktuell redet man bestenfalls darüber, wie leere Kasernen umgenutzt werden sollen. Dabei muss es auch darum gehen, was die Industrie alternativ herstellen könnte.
Etwa 80.000 Menschen arbeiten in der deutschen Rüstungsindustrie. Laut Branchenverband BDSV betrug der Gesamtumsatz zuletzt rund 16 Milliarden Euro im Jahr. Lieferverträge laufen dabei meist Jahre und Jahrzehnte. Doch haben Branchenkenner für 2011 erstmals Anzeichen eines Umsatzrückgangs erkannt. Da die Verteidigungshaushalte der Nato-Staaten dank Finanzkrise stagnieren oder schrumpfen, verlangt die Industrie von der Bundesregierung die Erschließung neuer Absatzmärkte. So hat der Bundessicherheitsrat 2011 erstmals eine Anfrage nach Leopard-2-Kampfpanzern für Saudi-Arabien positiv beschieden. Das hat eine Debatte über Rüstungsexporte befeuert. (uwi)
Und? Wer macht Vorschläge? Man wird nicht nach dem Vorbild Emden aus allen Schiffen Windmühlenflügel schmieden können.
Nein. Auch die Parole „Schwerter zu Pflugscharen“ überzeugt niemanden mehr – wer hoch komplexe Technologie herstellt, sattelt nicht plötzlich auf Kaffeemaschinen um. Vorschläge hat aber noch niemand. Um sie zu erarbeiten, fordert die IG Metall, dass sich Verteidigungsministerium, Wirtschaftsministerium und Industrie an einen Tisch setzen.
Wenn keiner Ideen mitbringt, wird das zu nichts führen.
Die Sparten, um die es geht, sind ja völlig klar: Mobilität, Ökologie und Energie, auch um zivile Sicherheitstechnologien. Um konkreter zu werden, brauchen wir zum Beispiel auch den einen oder anderen Forschungsauftrag, mit dem der wehrtechnische an den zivilen Bereich herangeführt werden kann. Und wir brauchen den Dialog in der Branche, damit wir den Abbau der Wehrindustrie begleiten können und es nicht eines Tages plötzlich heißt: Wir müssen leider entlassen.
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