Gesundheit aus der Netzauktion: Drei, zwei, eins... Zahnkrone!!!
Immer häufiger nutzen Patienten Online-Portale für medizinische Kostenvergleiche. Aber dürfen Gesundheit und ärztliche Leistungen zu Versteigerungsobjekten werden?
BERLIN taz | "McKrone" würde es für 2.890,00 Euro machen. "DocLichtenberg" taxiert sein Angebot auf 2.849,00 Euro. Und "Zahnspezialist" will 2.800,00 Euro - für zwei Backenzahn-Implantate inklusive Knochenaufbau und Mundvorhofplastik, die den Patienten aus Berlin laut gesetzlichem Heil- und Kostenplan seines behandelnden Zahnarztes ursprünglich 5.127,53 Euro, also nahezu doppelt so viel kosten sollten.
McKrone, DocLichtenberg und Zahnspezialist sind damit die drei günstigsten Anbieter, die Anfang Januar auf dem Internetportal www.zahngebot.de, einer Art Ebay für zahnärztliche Leistungen, um den Patienten "217326" konkurrierten.
Nun hoffen sie, dass "217326", der sein Behandlungsgesuch einige Tage zuvor eingestellt hatte und von dem sie bislang nur wissen, dass er gesetzlich versichert, männlich und zwischen 55 und 59 Jahre alt ist, sich tatsächlich für einen von ihnen entscheidet und die Behandlung zustande kommt - in diesem Fall müssten sie 3,9 Prozent der Behandlungskosten an die MediKompass GmbH bezahlen.
Ärztliche Leistung als Versteigerungsobjekt
Die Firma mit Sitz im bayerischen Starnberg betreibt diverse Onlineplattformen für Kostenvergleiche in medizinischen Bereichen, die außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegen, also von Patienten komplett oder teils selbst zu bezahlen sind. Neben zahngebot.de gibt es schoenheitsgebot.de, tierarztkosten.de und medikompass.de, ein Auktionsportal für Augenlaser-Operationen.
Der Patient als Konsument, Gesundheit als Ware und ärztliche Leistung ein Versteigerungsobjekt? Alexander Sperber, 42, Geschäftsführer der MediKompass GmbH, kann die Kritik nicht nachvollziehen: "Es gibt riesige Preisunterschiede, aber die wenigsten Patienten trauen sich, darüber mit ihren Ärzten zu verhandeln. Wir ermöglichen ihnen, anonym zu vergleichen." Im Schnitt, sagt Sperber, sparten die Patienten mehr als 50 Prozent ihres Eigenanteils beziehungsweise etwa 30 Prozent des Gesamtpreises. Verbraucherzentralen bestätigen diese Schätzungen.
In den vergangenen vier Jahren, sagt Sperber, hätten 23.000 Patienten eine zahn- oder augenärztliche Behandlung in Folge des Preisvergleichs auf seinen Internetseiten in Anspruch genommen. Die eingesparten Kosten, verglichen mit den Kostenvoranschlägen der jeweiligen Haus-Zahnärzte oder -Augenärzte, schätzt Sperber in diesem Zeitraum auf 50 Millionen Euro. "Und es wird immer mehr", prognostiziert er. Zum 1. Januar beispielsweise wurde die zahnärztliche Gebührenordnung reformiert - was für Patienten mit teils erheblichen Teuerungen beim Zahnersatz einhergeht.
Weswegen verschiedene gesetzliche Krankenkassen den Preisvergleich im Internet ihren Versicherten mittlerweile sogar aktiv empfehlen - immerhin hat auch der Bundesgerichtshof vor einem knappen Jahr nach einem langwierigen Rechtsstreit zwischen der bayerischen Zahnärztekammer und dem Betreiber der Internetseite www.2te-zahnarztmeinung.de entschieden, dass die Auktionsportale nicht gegen ärztliches Standesrecht verstoßen.
Arztgespräche nicht zu ersetzen
"Es ist richtig, sich zumindest eine zweite Meinung einzuholen", urteilt auch Kai Vogel, Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Die Preisunterschiede ergäben sich aufgrund des Arzthonorars, des Materials und der Laborkosten. "Ein Auktionsportal ist eine Option, diese Unterschiede zu erkennen. Das kann anschließend die Position des Patienten gegenüber dem Arzt stärken", findet Vogel.
Das Arztgespräch und das Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis allerdings seien durch Onlineportale nicht zu ersetzen, warnen übereinstimmend die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Insbesondere beim Augenlasern, sagt der Verbraucherschützer Vogel, sei Vorsicht geboten: "Da bewerben sich teils auch Kliniken aus dem Ausland, und für Patienten ist es schwierig nachzuvollziehen, ob die angebotene Leistung hält, was sie verspricht."
Zumal es für Augen-OPs, anders als beim Zahnersatz, zumeist keinen detaillierten Heil- und Kostenplan gibt, der es auch Laien ermöglicht, Position für Position miteinander zu vergleichen. Die Unterschiede der Lasergeräte, Stichwort schonende Behandlung, seien zudem erheblich, warnt Vogel.
Einen Zwang, sich nach erfolgreicher Auktion behandeln zu lassen, gibt es nicht, hält der Portalbetreiber Sperber dem entgegen. Auch verzichteten er und seine Kollegen darauf, die Ärzte zu bewerten - das überlassen sie den Patienten. Und so ist dann, genau wie bei Ebay, nach erfolgreicher Augenlaser-OP schon mal zu lesen: "Bei diesem Doc - immer wieder gern."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!