piwik no script img

Gesetzgebung in FrankreichAngrapschen ist jetzt legal

Die französischen Verfassungshüter haben den Straftatbestand der sexuellen Belästigung abgeschafft. Der Begriff sei zu unpräzise. Ein Schock für Betroffene.

Vorsicht Mädels, ihr seid jetzt Freiwild! Bild: reuters

PARIS taz | Vor drei Jahren reichte die klein gewachsene blonde 37-jährige Sekretärin A. D. gegen ihre Vorgesetzten Klage wegen sexueller Belästigung ein. Unterstützt wurde sie von der Vereinigung Association européenne contre les violences faites aux femmes au travail (AVFT) als Nebenklägerin.

A. D. beschuldigte ihren heute 72-jährigen Vorgesetzten in der Rentnervereinigung der Banque de France, sie sexuell belästigt und an Brüsten und Beinen angefasst zu haben. Der Prozess fand vor wenigen Wochen statt. Am Mittwoch sollte das Pariser Strafgericht sein Urteil verkünden. A. D. zweifelte keine Sekunde an der Verurteilung ihres Peinigers.

Doch zu ihrer Überraschung und Empörung erklärte ihr der Gerichtspräsident, es werde kein Urteil geben, da für die Klage gar keine gesetzliche Grundlage existiere. Der Angeklagte war fein raus, sie aber fühlte sich als Opfer verachtet. In ihrer Wut stürzte sie sich auf ihn und bezichtigte ihn, er sei ein widerlicher Kerl.

Auch der Anwalt des Angeklagten äußerte Bedauern – er hätte es vorgezogen, wenn sein Klient freigesprochen worden wäre. Aber „Gesetz ist Gesetz, und wo es kein Gesetz gibt, existiert kein strafbares Delikt“, sagte er. Die abgewiesene Klägerin verließ verzweifelt und vor Empörung schreiend das Gerichtsgebäude.

Fünf Tage zuvor, am Freitag letzter Woche und daher durch die Stichwahl um die Präsidentschaft aus dem Blickfeld geraten, hatten die Richter des französischen Verfassungsrates mit einem Federstrich den Paragrafen 222-33 mit sofortiger Wirkung aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Der besagt: „Die Belästigung einer Person zur Erlangung sexueller Gunst wird mit einem Jahr Haft und 15.000 Euro Geldbuße bestraft.“ Dass dieser Artikel vor 20 Jahren ins Gesetzbuch aufgenommen wurde, war ein Erfolg des langen Kampfs der Frauenbewegung in Frankreich. Für sie ist die Streichung ein besonders harter Rückschlag.

Hollande will eingreifen

Der Protest eines ehemaligen Abgeordneten der politischen Rechten hat dazu geführt, dass der Belästigungsparagraf gekippt wurde. Der 70-jährige Gérard Ducray wurde 2011 wegen sexueller Belästigung zu drei Monaten Haft auf Bewährung und 5.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Wie ihm das ein unlängst verabschiedetes Gesetz ermöglichte, erhob er danach Verfassungsklage wegen Missachtung seiner Grundrechte. Das Verfassungsgericht befand nun, der Begriff Belästigung sei zu unpräzise definiert.

Der Triumph Ducrays, der rein zufällig einige der Verfassungsrichter persönlich kennt, dürfte von kurzer Dauer sein. Der neu gewählte Präsident François Hollande hat versprochen, ein besser formulierter Ersatztext werde so schnell wie möglich verabschiedet. Dennoch ist der Schaden erst mal groß. Dutzende von Klagen und laufende Verfahren werden gestoppt und zunichte gemacht – ein Schock für die Betroffenen, die den Mut aufgebracht hatten, überhaupt Klage einzureichen.

„Das ist ein Signal für Straffreiheit. Für die Opfer ist es eine Katastrophe, die von ihnen beschuldigten Personen aber können die Sektkorken knallen lassen“, erklärte Marilyn Baldeck von der AVFT. Sie räumte ein, dass das bisherige Gesetz schludrig formuliert war. Auch seien die Sanktionen zu milde gewesen: „Dreimal geringer als das Strafmaß für den Diebstahl eines Handys!“

Ihre Vereinigung verlangt seit Jahren, dass in Frankreich der Tatbestand der sexuellen Belästigung einer europäischen Direktive von 2002 angepasst werde, die ihn viel ausführlicher beschreibt: „Ein geschlechtsbezogenes Verhalten, das sich in verbaler, nichtverbaler oder physischer Form äußert, die Verletzung der Würde einer Person oder die Schaffung eines durch Einschüchterungen, Anfeindungen, Herabsetzungen, Demütigungen, Beleidigungen oder Verstörungen geprägten Umfelds bezweckt oder bewirkt.“

Daran kann sich der französische Gesetzgeber orientieren. Bis dahin entsteht keine totale Straffreiheit, da zumindest im Arbeitsbereich privater Unternehmen weiterhin ein zivilrechtlicher Artikel ähnlich wie in Deutschland in Kraft bleibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • M
    M_S

    Meine Güte, die Kommentare hier strotzen ja vor Ignoranz! Verdammt nochmal, es geht hier nicht um ein bisschen anflirten, oder in den Ausschnitt gucken! Es geht um erhebliche Grenzüberschreitungen, die jetzt straffrei begangen werden können! Und zwar wiederholt, denn ein Täter hat im Moment nichts zu befürchten. Gerade in Paris wird das üble Folgen haben, wo du dir als Frau im Kleid jeden Tag heftige Sprüche anhören musst, denen nicht selten ein "Grapschen" folgt. (

  • R
    roga

    Wo bleibt die Frauenbewegung und die Empörung Europaweit?

    Ich warte.....!

  • SU
    seltsames Unrecht

    seltsam, die Straftat wurde doch aber vor 3 Jahren begangen, da gab es doch das Gesetz. Und daher muss er doch verurteilt werden... Was für eine Schande.

  • P
    Pascal

    Ich mag solche tendenziösen Artikel nicht. Natürtlich darf man sexuelle Belästigung nicht dulden. Es ist eine Errungenschaft, dass sowas heutzutage nicht mehr als Kavaliersdelikt gilt. Aber es ist auch eine rechtsstaatliche Errungenschaft, dass Strafgesetze verfassungsgemäß sein müssen. Es ist eine Errungenschaft, dass man sich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde/-klage an ein Gericht wenden und damit verfassungswidrige Gesetze kippen kann. Die taz konstruiert hier einen Zusammenhang zwischen der Verfassungsreform und der "Legalisierung" sexueller Belästigung und deutet an, der Verfassungsrat wäre korrupt. Belege dazu kommen keine. Rechtsstaatliche Prinzipien auf dem Altar eines konkreten Einzelfalls zu opfern fand ich bei Zensursula und ihren Netzsperren gegen Kinderpornographie falsch und kann sie hier nicht richtig finden.

  • M
    Marvin

    "Vorsicht Mädels, ihr seid jetzt Freiwild!"

     

    Bin ich der einzige, dem bei dieser Unterzeile schlecht wird?

     

    Da rät ein Mann Frauen, die er zu "Mädels" verniedlicht zur "Vorsicht", das sie "jetzt Freiwild" darstellten.

     

    Impliziert diese saloppe Schreibe & die männliche Perspektive nicht die Aufforderung an Männer, auf die "Jagd" zu gehen?

     

    "Angrapschen ist jetzt legal"

     

    Auch hier ganz klar die Täterperspektive. Wie eine frohe Botschaft, die heiß ersehnte Legalisierung eines kriminalisierten Freizeitspaßes?

     

    Und wozu überhaupt die Aufforderung an die "Mädels" zur Vorsicht und die (schlecht kaschierte) Aufforderung an die Männer, die neue Gesetzeslage ... ja ... fast schon auszukosten?

     

    "Die Belästigung einer Person zur Erlangung sexueller Gunst wird mit einem Jahr Haft und 15.000 Euro Geldbuße bestraft."

     

    Soweit ich das verstehe, bezog sich dieser Straftatbestand nicht ausschließlich auf Männer, die Frauen "angrapschen". Warum wird dann überhaupt "Mädels = Freiwild" und "Männer = jetzt legale Angrapscher" suggeriert?

     

    Niemand käme auf die Idee, jetzt "Vorsicht, Jungs, ihr seid jetzt Freiwild" zu titeln, oder?

     

    Oder "Vorsicht, Menschen die ihr euch in Frankreich aufhaltet, ihr seid jetzt Freiwild".

     

    Immer mehr "Bild", hier, überall - warum nur?

  • H
    hans

    Einwas verstehe ich nicht:

    Die Klage wurde vor 3 Jahren eingereicht, heißt auch die Strafttat wurde vor mind. 3 jahren begangen.

    Das Gesetz wurde aber erst letzten Freitag geändert.

     

    Meines Erachtens ist doch die Gesetzeslage zum Zeitpunkt der Straftat entscheidend und nicht das, was hinterher geändert wurde.

     

    Ansonsten könnte ich ja auch das "Laufen ohne Hut auf offener Straße" verbieten und anschließend so ziemlich jeden Bürger der in den letzten 3,5 oder 10 Jahren ohne Hut rumgelaufen ist noch nachträglich verhaften lassen.

     

    Verstehe ich da was falsch?

  • C
    cyctologie

    ja klar, die richter haben einfach mal ihren alten kumpel, den sie persönlich kennen, rausgehauen ;)

    das ist doch lächerlich. jeder jurist weis, dass er nicht aus dem bauch heraus entscheiden kann, sondern seine entscheidung begründen muss.

    ganz sicher dann, wenn man einen Gesetzestext kassiert. mehr ist auch nicht geschehen - der text war anscheinend einfach zu schwammig. das es sexuelle belästigung gibt, verneinen die verfassungshüter nicht.

     

    hollande will ja nun auch einen text schreiben (lassen) der nicht bei ernsthafter prüfung von den französischen verfassungshütern kassiert wird.

     

    die lebenserfahrung JEDES MANNES sagt: es ist ein schmaler grat zwischen belästigung und dem blosen versuch SIE ins bett zu kriegen.

     

    diese form des belästigens lernt jeder mann. ob es die während der nacht, "völlig zufällig", eingetretene umarmung beim zelten ist. eine zufällige berührung im café, beim kopierer, im fahrstuhl.

     

    es gibt genug frauen die sagen: "küss mich doch einfach - wenn es mir nicht gefällt, wirst du es erfahren"

     

    ich weis jetzt werde ich gesteinigt: NEIN HEIST NICHT IMMER NEIN! manchmal heist nein auch nur: jetzt nicht, so nicht, noch nicht.

     

    in der zeit wo ich (der MANN) versuche zu erfahren, was genau NEIN diesmal heist, belästige ich natürlich. falls es wirklich nein heist. wenn nicht war alles in ordnung.

    auf dieser grundlage sollen menschen (MÄNNER) verurteilt werden?? - das darf nicht euer ernst sein!!!

     

    es wären schon viele frauen und männer als jungfrau ins grab gegangen, hätte MANN das nein immer wörtlich genommen. wahrscheinlich wäre die menschheit ausgestorben.

     

    kein mann hat das recht eine frau zu vergewaltigen. das steht fest.

    da hilft hinterher auch kein: "sie wollte es ja auch". allerdings MUSS dann ein, von den feministen immer als für die frau entwürdigend gebranntmarktes, hartes verfahren her. die tat MUSS IN ALLEN EINZELHEITEN GESCHILDERT werden, die FRAU MUSS SICH VOM VERTEIDIGER DES MANNES ALLES GEFALLEN LASSEN, was jeder andere mensch im gerichtssaal auch ertragen muss: das man ihr einfach nicht glaubt, versucht sie lächerlich zu machen. was auch immer - es gibt ein recht des angeklagten auf verteidigung!!!!

    die grenzen dieser verteidigung, bestimmt die Strafprozessordnung und nicht das empfinden der 20 prozent feministen in unserer gesellschaft!

    männer haben rechte!!! auch wenn sie schweine sind!!!

    da geht es nunmal nicht fein zu. das ist krieg.

     

    hört auf das pendel immer weiter auszulenken. es schlägt sonst nur umso heftiger zurück eines tages.

  • S
    sooderso

    Warum war das nochmal wichtig voranzustellen, dass die Klägerin blond und kleinwüchsig sei??? grübel ...

  • P
    petronius

    die überschrift ist eine frechheit, denn da wurde nicht "angrapschen legalisiert", sondern schlicht ein gesetz kassiert, weil es schlecht ausgearbeitet war. passiert auch in d alle naselang

     

    was, bitteschön, soll denn auch tatsächlich "Belästigung einer Person zur Erlangung sexueller Gunst" konkret sein?

     

    anmachsprüche z.b. dienen in der regel dazu, letztlich "sexuelel gunst zu erlangen", und sind meist so dümmlich, daß sie als belästigung empfunden werden. aber soll das jetzt strafbar sein?

     

    wenn nicht, dann ist das gesetz eben schlecht formuliert. und wurde zu recht kassiert

     

    btw.: was soll ich mir denn dabei denken, daß der autor es für notwendig hält, uns mitzuteilen, daß die klägerin "klein gewachsen" und blond ist?

     

    an ihrer stelle würde ich mich davon belästigt fühlen

  • L
    Lars

    Die Formulierung „Die Belästigung einer Person zur Erlangung sexueller Gunst wird mit einem Jahr Haft und 15.000 Euro Geldbuße bestraft.“ ist ja in der Tat derart ungenau, dass darunter alles und nichts fallen kann, so es keine nähere Definition gibt, was gemeint ist. Erstaunlich, dass solche Gesetze jahrelang bestehen können.

  • H
    Horsti

    Also mit anderen Worten:

    Frauen dürfen Männern jetzt ungestraft an den Po und in den Schritt fassen?

  • D
    doc

    Cool! Und dazu ein Foto wo man der einen voll unter den rock kucken kann...

  • AH
    Alxander Holt

    In Deutschland packen wir Grapschattacken unter den Tatbestand "Beleidigung" der Beleidigung; klappt scheinbar problemlos. Noch was, das sich die Franzosen abschauen sollten.

  • A
    AntiFunt

    Nuja, war ja schliesslich auch inheränt rassistisch.