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Geschredderte NSU-Akten„Der Skandal ist systembedingt“

Geheimdienstexperte Rolf Gössner findet den Verfassungsschutz „demokratieunverträglich“. Stattdessen sollten offen arbeitende Stellen die Neonaziszene durchleuchten.

Von Hand zu Hand weiterreichen – und vernichten. Bild: dpa
Sebastian Erb
Sebastian Erb
Interview von Sebastian Erb und Sebastian Erb

taz: Herr Gössner, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erfahren haben, dass der Bundesverfassungsschutz wichtige Akten geschreddert hat?

Rolf Gössner: Ich habe erwartet, dass wir es bei der Aufarbeitung rund um die Taten der NSU-Zelle auch mit Beweismittelunterdrückung zu tun haben würden. Andererseits hat es mich jetzt doch schockiert, dass ein geheimes Sicherheitsorgan in einem Fall von zehnfachem Mord Akten vernichtet. Es geht dabei schließlich um V-Leute und verdeckte Operationen im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes, jener Neonazi-Truppe, aus der der NSU entstanden ist.

Der schreddernde Beamte argumentierte offenbar mit Datenschutz. Die Löschungsfrist sei bei den betreffenden Akten überschritten gewesen.

Das halte ich für sehr unglaubwürdig. Auch wenn tatsächlich die Löschungsfristen nicht eingehalten worden sind: Wenn die Akten noch existieren zu einem Zeitpunkt, in dem die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernimmt, ist eine Vernichtung ungeheuerlich und meines Erachtens auch illegal.

Wurde hier versucht, etwas zu vertuschen?

Der Zeitpunkt deutet darauf hin. Ich kenne die Akten nicht, aber was man daraus weiß, ist so wichtig und gravierend, weil es einen unmittelbaren Bezug zu den mutmaßlichen Tätern des NSU hat.

Heide Schneider-Sonnemann
Im Interview: ROLF GÖSSNER

64, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von 1970 bis 2008 wurde er selbst vom Bundesverfassungsschutz beobachtet – rechtswidrig.

Ein Referatsleiter soll die Aktenvernichtung eigenmächtig angeordnet haben. Halten Sie das für möglich?

Fachlich und politisch verantwortlich sind der Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm und letztlich auch der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Von Fromms Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss kommende Woche erwarte ich mir aber nicht viel. Eine lückenlose Aufklärung wäre von einem Verfassungsschutzpräsidenten auch zu viel verlangt. Da etwa der Schutz von V-Leuten auch von Fromm selbst als so überragend eingeschätzt wird, ist eine rücksichtslose Aufklärung gar nicht möglich.

Sollte Fromm zurücktreten?

Ich halte hier nicht viel von personellen Konsequenzen, denn das Geheimdienstsystem würde uns erhalten bleiben. Der Skandal ist systembedingt, an den Strukturen muss angesetzt werden. Denn die Geheimdienststrukturen führen zwangsläufig zu amtlichen Verdunkelungsstrategien. Der Inlandsgeheimdienst mit dem euphemistischen Tarnnamen Verfassungsschutz ist demokratieunverträglich, weil er den demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widerspricht. Und mit seinen kriminellen V-Leute-System ist er Teil des Nazi-Problems geworden.

In der Politik ist die Empörung jetzt groß. Meinen Sie, dass das Ihrer Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes Rückenwind gibt?

Die Empörung ist jetzt groß, sicher. Aber wir haben schon oft die Erfahrung gemacht, dass sich Empörung auch schnell wieder legt. Aber die Zeit ist jetzt wirklich reif für politische Konsequenzen.

Welche Organisation soll statt des Verfassungsschutzes frühzeitig vor Gefahren warnen?

Ich plädiere für offen arbeitende Forschungs- und Dokumentationsstellen, die etwa neonazistische Strukturen analysieren. Der Vorteil: Diese Stellen wären weniger interessengeleitet und besser kontrollierbar als ein Regierungsgeheimdienst. Das wäre zum Schutz unserer Verfassung deutlich sinnvoller als das, was der sogenannte Verfassungsschutz in Jahrzehnten geboten hat.

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8 Kommentare

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  • OP
    Otto Pardey

    Nein,es ist das wahre Gesicht von Deutschland.

  • D
    Detlev

    Das ist - leider - alles Nichts Neues.

     

    Die Fakten sprechen, trotz geschredderter Akten für sich: Ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes war ganz offiziell nach Aktenlage bei einem Mord der NSU anwesend. Der Mann soll selber rechtsextremen Ideen angehangen haben. Das Amt in Thürigen war rechts-extrem-freundlich und hat offenkundig Nähe zur harten Szene gesucht und die haben sie vielleicht auch gefunden. Und: Profiler haben nahe gelegt, dass es gar nicht um OK, sondern um Extremismus und Hass ging. Dazu: Zwei Personen, eine davon Zschäpe, verliessen das Wohnmobil, wo sich Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos töteten, getötet wurden oder abgrannt wurden oder was auch immer. Das spricht für sich. Da können sie ihre Akten schreddern. Das Ganze stinkt nach Verfassungsschutz und Geheimdienstaktionen der miesesten Art. Und es wäre gar nicht Mal das erste Mal, schon der britische Dienst hatte einen IRA-Mann jahrelang gedeckt und dies bezahlten Hunderte Iren und Briten mit ihrem Leben.

  • S
    spiritofbee

    Lieber Rolf Gössner, diesem Statement schließe ich mich gerne an.

    Das aber selbst der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte eine Verfassung nicht von einem Grundgesetz unterscheidet, zeigt wie leichtfertig selbst von solchen Menschen Worte in Tatsachen umgemünzt werden.

    Als Menschenrechtler darf einem so was m.E. nicht passieren.

  • L
    lvm

    mich würde mal interessieren, was denn die gute vera und ihre freunde von der achse des guten als ratschläge für die armen beamten in petto hätten? die frau hat doch auch für ihre ehemaligen politischen weggefährten und heutigen rivalen immer sehr gute ratschläge auf vorrat.

     

    also liebe taz, befragt doch mal diese nichtgutmenschen dazu! wäre bestimmt interessant ein solchen interview.

     

    mfg

    lvm

  • G
    gesche

    Verfassungsschutz abschaffen JETZT

  • H
    Halunke

    Die Sache stinkt doch zum Himmel.Da soll auf Teufel komm raus vertuscht werden..)Tschäppe ist die einzige wo noch einsitzt und wie es aussieht in fünf jahren wieder frei.Mundlos und Böhnhart haben sich angeblich selbst erschossen,vieleicht wurden aber nur zwei bei Seite geschafft die zuviel wußten.So was kann ein Geheimdienst ganz leicht inszinieren...)Große Teile vom Osten sind bis in die Führungsebenen der Regierung vom braunen Sumpf unterwandert,und der eine oder andere wird auch im NSU U-ausschuss sitzen.Die Sache wird im Sand verlaufen,der Eine oder Andere wird sein Pöstchen verlieren,und der U-ausschuss wird feststellen daß nicht alles rund gelaufen ist und fehler gemacht wurden.Dann wird die Akte geschlossen.

  • U
    Ute

    Hatten die verfassungsschuetzer v-leute in der nazi-scene oder hat die nazi-scene v-leute bei den verfassungsscguetzern?

  • U
    Ute

    Hatten die verfassungsschuetzer v-leute in der nazi-scene oder hat die nazi-scene v-leute unter den verfassungsschuetzern?