Gefangen in Syrien: Ein Erfahrungsbericht: Schnupperkurs in Rechtlosigkeit
Ich wollte das Land mit den Augen seiner Bewohner sehen und flog hin. Nur fünf Tage später wurde ich verhaftet und blickte so wie Tausende Syrer auf die Wände einer Zelle.
DAMASKUS taz | Ein Betonquader – vier Schritte lang, drei Schritte breit. Der gestreckte Arm berührt die Decke. Unterbrochen wird der Beton nur von den vergitterten Neonröhren, die jede Tageszeit ersetzen. Ein Fladenbrot liegt unbeachtet in der Ecke. Eine Filzdecke verdeckt ihren eigenen fettigen Abdruck am Boden.
Und da ist dieses Loch am hinteren Ende des Raumes. Aus ihm dringt manchmal die Stimme einer Frau. Selten singt sie. Meistens weint sie.
Ich liege in einer Gefängniszelle in Damaskus. Wo genau ich bin, sagt niemand. Warum ich dort bin, weiß ich nicht. Wie lange ich dort bleiben werde? Keine Ahnung! „In fünf Minuten“ werde man mich „zum Schutz vor Al-Qaida-Terroristen“ zum Hotel eskortierten, kündigte der Soldat an der Straßensperre an. „Eine halbe Stunde. Maximum!“, erwiderte der Polizist zu Beginn des sechsstündigen Verhörs auf der Polizeiwache der südsyrischen Stadt Daraa. „Morgen sind Sie wieder frei“, versprach mir der Fahrer, als ich angekettet auf der Rückbank eines Polizeiwagens in den Gefängnishof einbog.
Gefängnis statt Sightseeing
Mein Tag besteht daraus, zu schlafen, von einer Wand zur anderen zu laufen und auf die Tür zu starren. Manchmal sitze ich hinter ihr und spüre den Luftzug, der aus einem Spalt strömt. Dort warte ich auf das Geräusch, das ein Schlüssel macht, wenn er die Bolzen in die richtige Position drückt.
Meist warte ich vergebens, hoffe auf die Stimme aus dem Lüftungsschacht oder einfach darauf, zu gähnen. „Los! Toilette!“, befiehlt zweimal täglich der Wärter, und ich freue mich auf drei Minuten außerhalb meiner Zelle. Den Höhepunkt des Tages begehe ich hockend in einer Lache aus Exkrementen und Urin. Mein Klopapier rationiere ich sorgsam. Wer weiß, ob ich neues bekomme.
Als Journalist kam ich Anfang April nach Syrien. Ein Touristenvisum klebte in meinem Pass. „Die Gängelungen der Behörden werde ich so eher umgehen können“, dachte ich mir. Syrien wollte ich unverfälscht erleben. Seit acht Jahren fuhr ich immer wieder in ein Land mit Basaren und ritualisierten Einladungen zum Tee; in ein Land, das jede klischeehafte Beschreibung aus Reiseführern übertraf. Aber erst nachdem Polizisten mich in einen fensterlosen Betonquader sperrten, ohne Pass, ohne Kontakt zur Außenwelt, bekam ich eine Ahnung von Syrien.
Al-Qaida ist überall
Die Frau hinter dem Lüftungsschacht scheint eingeschlafen zu sein, als das Geräusch der Bolzen mich aufspringen lässt. Zwei Uhr nachts, verrät die Wanduhr im Verhörraum. Ein Dutzend Männer erwarten mich. Sie stellen sich vor als Übersetzer, Arzt und Techniker und bemühen sich jedoch vor allem um Namen, Passwörter und Telefonnummern. In einer Hand entdecke ich mein Handy. Eine andere blättert in ausgedruckten Fotos. Ein Dritter tippt auf der Tastatur des Laptops, der mittlerweile aus meinem Hotelzimmer geholt wurde.
Breitbeinig positioniert sich vor mir ein schnauzbärtiger Kraftprotz und krempelt sich demonstrativ die Ärmel seines Kampfanzuges auf. Warum ich al-Qaida unterstütze, will er schreiend wissen. Ein Mann im lockeren Jackett entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten: „Helfen Sie uns, Ihnen zu helfen.“ Später übernimmt er die Rolle des Anschreiers.
Frage, Ohrfeige, Antwort
Im Gang vor dem Verhörraum pressen zwanzig arabische Gesichter gegen den Putz. Auch sie sollen Al-Qaida-Anhänger sein. Sicher ist: Die meisten von ihnen sind fast noch Kinder. Eine schwarze Augenbinde nimmt ihnen die Sicht, nicht aber ihre Angst. Sie zittern oder wippen im Gebet vor und zurück, bis ein Wächter sie einzeln ins benachbarte Zimmer brüllt: Frage, Ohrfeige, Antwort, immer wieder. Dazwischen flehen sie oder listen Familienmitglieder auf. Mitleid sollte ich empfinden, aber es steigt bloß Erleichterung in mir auf: Selbst als Häftling muss ich Syrien nicht als Syrer wahrnehmen.
Von Mitgefangenen erfahre ich später den Namen des Gefängnisses: Far Falestin. Als geheimes Verhörzentrum tauchte es vor einigen Jahren in Medien auf. Der Deutschsyrer Mohammad Zammar wurde hier gefoltert, ebenso Dutzende, die den USA als Terrorverdächtige gelten. Für Syrer ist es gerade deswegen ein gewöhnliches Stadtgefängnis.
Primitive Einschüchterung
„Los, hinein ins Auto!“ Vor zwei Stunden hatte ich die syrisch-türkische Grenze überquert. Vier Tage blieben noch bis zu meiner Inhaftierung, als mit dieser Aufforderung und einer vorgehaltenen Kalaschnikow meine Neuentdeckung des Landes begann, über welches seine Bürger aus Angst vor Aufforderungen wie dieser ungern berichten. Die erzwungene Autofahrt endete in einem Verhör im Geheimdienstgebäude der nordsyrischen Stadt Aleppo.
Zwei Stunden später bin ich wieder frei. Zwei weitere Male wurde ich in den folgenden Tagen festgenommen, nie dauerte meine Befragung länger als einige Stunden. Ein Polizist ließ mich zurück, weil er auf dem Sitz seines Motorrades schon ein Huhn transportierte. „Dilettantische Einschüchterungsversuche“ beschwichtigte ich besorgte Freunde und mich selbst.
Nun unterstütze ich Terroristen, weil man den arabischen Begriff für regimekritische Demonstrationen in meinen Notizblock findet. Ein Link zum israelischen Innenministerium in meinem Internetbrowser zeugt von meiner Arbeit für den Mossad. Eine Rechnung für eine staatliche finanzierte Studentenorganisation macht mich zum Agenten der Bundesrepublik.
31 Varianten systematischer Folter
Die Vorwürfe sind mal skurril, mal besorgniserregend, aber immer willkürlich. „Sagen Sie die Wahrheit, dann sind Sie in einer Stunde frei“, beginnt jedes Verhör mit etwas Hoffnung. Einige Stunden und etwas Verzweiflung später stellt sich dies als Lüge heraus. Trotzdem ist meine Zeit in Haft bestenfalls ein Schnupperkurs in jener Rechtlosigkeit, die 20 Millionen Syrer ein Leben lang ertragen. 31 Varianten systematischer Folter weist Amnesty International für Syrien aus. Ich hingegen verbringe die VIP-Version der Haft, in die laut Human Rights Watch Zehntausende Syrer seit Beginn der Unruhen gebracht wurden.
„Für immer“, ruft mir ein Wärter triumphierend hinterher, als die Tür ins Schloss und mein Körper auf die Decke fällt. Jede anfängliche Widerspenstigkeit habe ich aufgegeben. Beim letzten Verhör sank meine Forderung vom Telefonanruf auf einen Schokoriegel. Der liegt nun versteckt unter meiner Decke. Die wimmernde Gesellschaft aus dem Lüftungsschacht macht mich noch resignierter. Ich ziehe die Filzdecke über den Kopf und hoffe, bald einzuschlafen, damit die Zeit vergeht, bis sich das Schloss umdreht.
Ohne Grund auf freiem Fuß
Mein dreiseitiges „Geständnis“ sehe ich fünf Sekunden. So lange brauchen zwei Gefängniswärter, um meinen Daumen erst auf das Stempelkissen und dann auf das Blatt Papier zu pressen. Wieder baut sich der Mann im Kampfanzug vor mir auf. In der Nacht meiner Ankunft hatte er meinen Versuch, die Notrufnummer des Auswärtigen Amtes zu wählen, noch mit einem Schlag in den Unterleib unterbunden. Jetzt gratuliert er freudig, dass ich nach Hause fahren könne.
Ohne Begründung wurde ich eingesperrt, ohne Begründung werde ich zehn Tage später wieder freigelassen. „Willkommen in Deutschland“, verabschiedet sich der Kapitän der Syrian Airlines am Frankfurter Flughafen und drückt mir meinen Pass in die Hand. Ich bin zu Hause – zum Glück. Menschen, deren Stimme nur bis zum anderen Ende des Lüftungsschachtes reicht, sind es leider auch.
Fabian Köhler war vom 30.3. bis zum 14.4. 2012 in Syrien. Der 29-jährige Journalist studierte in Jena und Damaskus Politik- und Islamwissenschaft. Er arbeitet u. a. für die Nachrichtenagentur dapd und für Zenith – Zeitschrift für den Orient.
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