Filmrezension von "Wüstenblume": Vergewaltigt bis zum Schluss
Mit "Wüstenblume" gerät die Lebensgeschichte der Somalierin Waris Dirie zum Feelgood-Movie mit Pauschalreisen-Happy-End.
Nicht auszumalen, was alles hätte schieflaufen können bei der Verfilmung von "Wüstenblume". Die abenteuerliche Geschichte des somalischen Nomadenmädchens, das mit 13 vor seiner Zwangsverheiratung nach London flieht, dort bald Topmodelkarriere macht und dann, auf dem Höhepunkt des Erfolgs, der amerikanischen Starreporterin Barbara Walters ins Mikro diktiert: "Ich wurde mit fünf Jahren genital verstümmelt, weil es die Tradition in Somalia für Mädchen so vorsieht" - Waris Diries Autobiografie also hätte auf der Leinwand leicht zu einer ziellosen Aneinanderreihung von Klischees geraten können; zu einem leicht anpolitisierten, ein bisschen glamourösen Feelgood-Movie.
Und, ach je, genauso ist es gekommen: Die Rechte an der Verfilmung des Bestsellers sind in die Fänge einer mehrparteilichen deutschen Koproduktion und des deutschen Filmförderungssystems geraten, und in "Wüstenblume" bleiben neben Pauschalreisen-Happy-End und Weltverbesserungsaureole unterm Strich übrig: größtmögliche Komplexitätsreduktion, ein gellender, unerträglich langer Mädchenschrei in der somalischen Wüste und sehr viel Kitschmusik.
Waris Dirie, heute 44-jährig und in Österreich lebend, hat dem Kampf gegen die Verstümmelung weiblicher Genitalien vor elf Jahren international ein Gesicht gegeben. Ihr Buch "Wüstenblume" verkaufte sich allein in Deutschland drei Millionen Mal, in Ländern wie Ägypten, Eritrea und Ghana ist die grausame Praxis seitdem offiziell verboten. Dirie selbst wurde zur UN-Sonderbotschafterin. Seltsamerweise vertraut die Verfilmung mit dem äthiopischen Model Liya Kebede in der Hauptrolle und Sherry Hormann ("Irren ist männlich") im Regiestuhl aber nicht auf den Erfolg der Vorlage. "Wüstenblume" ist eine Produktion, der man vor allem die Angst anmerkt, aus dem ernsten Buch einen nicht ausreichend seichten Film zu machen.
Das Buch wird zum Steinbruch. Halwu, die hilfsbereite Somalierin, mit der sich Waris in London anfreundet, wird mit Marilyn, einer britischen Freundin, zusammengelegt - eine zweite Afrikanerin vor der Kamera hätte der Film wohl nicht vertragen. Marilyn, gespielt von Sally Hawkins, die seit ihrer Rolle der durchgeknallt-herzlichen Poppy in Mike Leighs "Happy-Go-Lucky" abonniert ist auf ansteckende Sorglosigkeit, sorgt vor und nach der grausamen Beschneidungsrückblende für jede Menge Comic Relief.
Am entschiedensten vergreift sich der Film aber bei der Schilderung von Waris' Libido: Im Buch verliebt sich Waris gegen Ende in New York in einen schwarzen Schlagzeuger namens Dana. Im Film heißt der Mann Harold Jackson, und Waris trifft ihn gleich zu Beginn bei ihrem ersten Clubbesuch in London. So darf sie sich also den ganzen Film nach einem Wiedersehen sehnen - was nicht nur heißt, dass es für romantisch veranlagte ZuschauerInnen spannend bleibt, sondern auch, dass hier mit einigermaßen plumpen Mitteln der Beweis geführt wird, dass diese genital verstümmelte Frau eben doch eine "richtige" Frau ist.
Nämlich eine, die sich nach einem Aufreißertyp verzehrt. Waris Diries Anliegen, der Verstümmelung von Mädchen und damit auch ihrer emotionalen und kulturellen Bevormundung ein Ende zu setzen, und dieses doch einigermaßen retrograde Frauenbild wollen nicht zusammenpassen.
Viel sinnvoller wäre es hier gewesen, etwas ernsthafter das Modesystem anzuschauen, in dem Waris Dirie zu einem der ersten afrikanischen Starmodels wurde. "Wüstenblume" konzentriert sich auf die hysterischen "Morgens Givenchy, am Nachmittag Dior und Chanel"-Ansagen von Waris' abgebrühter Bookerin Lucinda (Juliet Stevenson). Man hätte aber gern noch eine Ahnung davon bekommen, was aus Diries' Modelkarriere nach ihrem Outing wurde. Oder anders gesagt: Die Macher des Films hätten überlegen können, was es für die Modelkarriere bedeutet, wenn die übliche Addition "Sexy Körper + williger Blick = Lust" nicht mehr aufgeht, weil das unaufgeklärte westliche Publikum annimmt, dass diese schöne Exotin zwischen den Beinen taub ist. Mitleid verkauft keine Kleider.
"Wüstenblume" ist so zu einem "Happy-Go-Lucky"- und "Der Teufel trägt Prada"-Verschnitt geraten, der bemüht ist, mit Symbolramsch Betroffenheit auszulösen. Die hübsche Protagonistin trägt die Hälfte der Spielzeit einen Momo-Blick. Und während ihres Nacktshootings für den Pirelli-Kalender stellt sie sich mit Rosamunde-Pilcher-Weichzeichner ihre Hochzeitsnacht mit dem extra hineinkonstruierten Muskelmann Harold Jackson vor. Arme Waris - vergewaltigt bis zum Schluss.
"Wüstenblume". Regie: Sherry Hormann. Mit Liya Kebede, Sally Hawkins u. a. Deutschland/Österreich/Frankreich 2009, 120 Min.
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