Erfolgreiche Gegenwehr: Kein guter Tag für Nazis
In Lübeck blockiert ein gesellschaftliches Bündnis einen Neonazi-Aufmarsch. Nazis wittern "Kumpanei" zwischen "linksradikalen Gewalttätern und Polizei".
LÜBECK taz | Maximal 120 Neonazis treffen in Lübeck auf fast 3.000 Menschen, die gegen sie protestieren. Nur 200 Meter lang ist ihr Marschweg, 1.800 Polizisten sind im Einsatz. Der Lautsprecherwagen kommt trotzdem nicht durch. Und auch die Ausweich-Veranstaltung in Plön am Nachmittag ist ein Flop. Nur 25 „Kameraden“ kommen und werden von 500 Protestierenden empfangen. Nach nur 45 Minuten ist auch hier der Spuk vorbei. Der gerichtlich durchgesetzte Trauermarsch der rechten Szene zum 70. Jahrestag des Bombardements von Lübeck durch die Royal Air Force im 2. Weltkrieg ist für die Neonazi-Szene ein trauriger Marsch.
Ursprünglich hatte Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) das Spektakel in Lübeck verbieten wollen. Doch die Gerichte stoppten seinen Vorstoß, und so war klar, dass die Neonazis marschieren. Schon am frühen Morgen folgen 2.500 AntifaschistInnen dem Aufruf des Bündnisses „Wir können sie stoppen“ und setzen sich von der Altstadt in Richtung Bahnhof in Bewegung. In dem Bündnis vertreten sind autonome Antifa, Links- und Piratenpartei, Grüne, SPD und Gewerkschaften sowie Kirchen, die Jüdische Gemeinde und der Rat der muslimischen Moscheen.
Weil Wahlkampf ist, ist viel Politprominenz dabei. CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, der eigentlich auf der Kundgebung reden wollte, aber nicht reden durfte, und auch CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager lassen sich blicken. Die Demonstration geht über den Bahnhof bis zum sogenannten Ziegelteller – einem Kreisel hinter dem Bahnhof, der außer einer Stichstraße an der St.-Lorenz-Kirche die einzige Verbindung zum Kundgebungsplatz der Neonazis am Bahnhof ist. Als ein Bewohner eines Hochhauses am Ziegelteller „Heil Hitler“ skandiert, erklimmen Polizisten das siebte Stockwerk und nehmen den Mann fest.
Am Bahnhof treffen indes die Neonazis nur spärlich ein und warten beharrlich auf den Lautsprecherwagen, der wegen der Blockade nicht durchkommt. Als der Fahrer bei der Anfahrt panisch zurücksetzt, rammt er ein Zivilfahnder-Auto und verletzt zwei Polizisten.
In der Nacht zum Palmsonntag des 28. / 29. März 1942 bombardierten 241 Bomber der britischen Royal Air Force die Stadt Lübeck als Test für die "Moral Bombing"-Strategie. 320 Menschen starben, 15.000 Lübecker wurden obdachlos.
Es war der Anfang einer Serie von Bombardements deutscher Städte. Damit sollten die Zivilbevölkerung gegen den Hitler-Faschismus aufgebracht und die Angriffe von V 2-Raketen der deutschen Wehrmacht auf englische Städte vergolten werden.
Seit zehn Jahren nutzen Neonazis den Jahrestag, um ihn für ihre Propaganda zu nutzen. Dabei prangern sie die sogenannten "Verbrechen der Alliierten" an. Jedes Jahr marschieren die Rechten seither in Lübeck auf.
Ohne Lausprecherwagen setzt sich der Neonazi-Aufmarsch in Richtung Ziegelteller in Bewegung. Nach nur 200 Metern ist Schluss. In 100 Metern Hörweite stehen sich Neonazis – die auffällig sichtbar ihre Frauen von „Jungen Nationaldemokraten“ medial in Position bringen – und Demonstranten gegenüber. Der Neonaziführer und Hamburger NPD-Vizechef Thomas „Steiner“ Wulff preist das Event im Gestapo-Mantel als „propagandistischen Erfolg“ und prangert das „marode System“ aus einer „Bande von Gaunern“ an.
Auf dem Ziegelteller sprechen währenddessen Vertreter politischen Parteien, sie sprechen sich für ein entschiedenes Eintreten gegen Neonazis aus. Der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner und die Bundesvorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch, fordern ein Verbot der NPD. „Das ist hier ein grandioses Zeichen gegen rechts“, sagte die evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs. Es sei „undenkbar“, dass „eine Stadt wie Lübeck gegen ein Auftreten von rechts kein Zeichen setzt“.
Wenig später bricht Wulff die Neonazi-Kundgebung vorzeitig ab, weil angeblich die im benachbarten Pansdorf abgestellten Autos der angereisten Neonazis „angegriffen“ werden. „Die zur Sicherung eingesetzten Kameraden können das allein nicht schaffen“, sagt Wulff. Und dass der Lautsprecherwagen wegen Blockaden nicht durchgekommen sei, nennt er eine „Kumpanei linksradikaler Gewalttäter und der Polizei“.
Dass sich die Rechten nicht mit dem Bombardement Lübecks befasst haben, dokumentiert dann der NPD-Landesvorsitzende Jens Lütke bei der Kundgebung in Plön, die vorsorglich als Ersatz für ein Lübecker Demo angemeldet worden war, falls deren Verbot doch durchkommen sollte. „Wir gedenken“, sagt er, „der Opfer von vor 68, äh 66 Jahren – oder was auch immer.“
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