Entsorgung teurer als gedacht: Akw-Abriss dauert 75 Jahre
Der Abriss des Akws Rheinsberg wird noch Jahrzehnte dauern. Die Kosten liegen schon um die Hälfte höher, als einst vorgesehen war: nämlich bei 600 Millionen Euro.
GÖTTINGEN taz | Die meisten Ostdeutschen kannten das Atomkraftwerk Rheinsberg zumindest vom Sehen. Eine Abbildung des Reaktor-Leitstandes zierte die Rückseite des 10-Mark-Scheins der DDR. Ab 1960 wurde der kleine 70-Megawatt-Meiler mitten im brandenburgischen Seengebiet errichtet. 1990 erfolgte die Stilllegung wegen massiver Sicherheitsbedenken. Der 1995 begonnene Abriss wird aber noch rund 60 Jahre dauern.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl erkundigte sich jetzt per Parlamentsanfrage bei der Regierung nach dem Stand der Dinge in Rheinsberg und den weiteren Zeitplänen. Die noch nicht veröffentlichte Antwort liegt der taz vor.
Danach geht das Finanzministerium davon aus, dass die Demontage der nuklearen Teile bis 2014 und der Abriss eines unterirdischen Atommülllagers für feste und flüssige Abfälle bis 2013 erfolgen können. Die im vergangenen Jahr begonnene Dekontamination des Gebäudes wäre 2018 beendet.
Der Rückbau wird von den Energiewerken Nord (EWN) abgewickelt. Das Unternehmen gehört zu 100 Prozent dem Bund. Nach einer 50-jährigen "Verwahrzeit" sollen der Abriss des Hauptgebäudes und die "anschließende Entlassung aus dem Atomgesetz" dem Ministerium zufolge erst 2069 beginnen. Entlassung bedeutet, dass dann alle radioaktiv belasteten Teile von dem Areal verschwunden sind und der Beton als Bauschutt abtransportiert werden kann.
Geld ausschließlich vom Staat
"Rheinsberg zeigt, über welch enorme Zeitspanne die Atomkraft eine Gesellschaft in Geiselhaft nimmt", sagt Kotting-Uhl. "Noch mindestens sechs Jahrzehnte lang muss der Staat sicherstellen, dass mit den strahlenden Bestandteilen der Ruine kein Schindluder getrieben wird und dass niemand Schaden nimmt."
Aber auch die Abrisskosten sind erheblich gestiegen. Schon bis 2010 wurden 479 Millionen Euro ausgegeben. Die voraussichtlichen Gesamtkosten schätzt das Ministerium mittlerweile auf 600 Millionen Euro – 50 Prozent mehr als die ursprüngliche Kalkulation.
Rechnet man das wesentlich größere Atomkraftwerk Lubmin bei Greifswald dazu, summieren sich die Rückbau-Kosten für die früheren DDR-Meiler sogar auf mindestens 3,2 Milliarden Euro. Geld, das in diesem Fall ausschließlich vom Staat, also den Steuerzahlern, aufgebracht werden muss.
Für Kotting-Uhl sind die deutlich gestiegenen Rheinsberg-Kosten nur das "neueste Glied einer schier endlosen Kette der explodierenden Kosten der Atomkraft, die systematisch auf die Gesellschaft abgewälzt werden, während sich einige wenige Konzerne eine goldene Nase verdienen". Zum Dank dürfe die Gesellschaft neben den Kosten auch die Risiken tragen.
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