Duma-Abgeordneter über das System Putin: "Europa hat kein Rückgrat"
Wahlbetrug, Putins Rückkehr, drohende Aufstände und die Nachsicht der Europäer mit den russischen Machthabern. Der Duma-Abgeordnete Gennadi Gudkow findet klare Worte.
taz: Herr Gudkow, Sie haben als einziger Abgeordneter die Kreml-Partei Geeintes Russland (GR) ausdrücklich aufgefordert, die Vorbereitungen für einen Wahlbetrug einzustellen. Sonst drohten Russland "Extremismus und Zerfall". Sind Sie ein Nestbeschmutzer?
Gennadi Gudkow: Wenn ich mich zum ersten Mal so eindeutig geäußert hätte, wäre ich wohl auf der schwarzen Liste gelandet. Meine Position ist jedoch seit Langem bekannt. Ich gehöre wohl zu jenem kleinen Kreis, den man gewähren lässt.
Warum lässt man Sie?
Als Alibi, weil es ganz ohne Kritik doch ziemlich dumm aussähe. Noch bin ich nicht unter Druck gesetzt worden. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Wahlen fair verlaufen. Es findet nicht einmal eine Debatte statt.
Ihre Stimme wurde also nicht gehört, der Wahlbetrug geht weiter?
Nach dem Krönungsparteitag Wladimir Putins habe ich keinen Zweifel mehr daran, dass es in großem Umfang zu Fälschungen kommen wird. Es geht den Herrschenden um den nackten Machterhalt. Präsident Dmitri Medwedjew hat alle Oppositionsparteien als unfähig und korrupt verunglimpft. Sein Auftreten war peinlich, denn es ist sein Geeintes Russland, das im Volk "Partei der Diebe und Gauner" genannt wird.
Was schätzen Sie, wie stark wird manipuliert werden?
Die GR kann mit maximal 42 Prozent rechnen. Jedes weitere Prozent stammt aus dem Beutegut anderer Parteien. Wir erwarten für die GR rund 13 Prozent, davon werden sie uns drei bis vier Prozentpunkte stehlen. Den anderen Parteien natürlich auch. Die GR ist im Volk nicht populär. Rund 30 Prozent halten zu ihr, und das auch nur dank der Medienpräsenz, an der wir nicht teilhaben. Die Partei klammert sich an die Macht und wird daher alles tun, um an der Macht zu bleiben.
56, ist Duma-Abgeordneter und stellvertretender Vorsitzender der Partei Gerechtes Russland. Von 1982 bis 1993 war er Mitarbeiter des KGB, aus dem er als Oberst der Reserve ausschied. In der Duma ist er stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsausschusses.
Was bedeutet die Rückkehr Wladimir Putins in den Kreml für die Entwicklung Russlands?
Im besten Fall Stillstand. Ich schließe aber auch eine politische Krise nicht aus. Wenn Putin zurückkehren, seine Fehler eingestehen und eine Reformagenda präsentieren würde, sähen die Dinge anders aus. So aber wird alles beim Alten bleiben: Einparteiensystem, ein abhängiges und ineffektives Parlament, keine unabhängigen Gerichte. Ich erwarte nichts Gutes für die Zukunft. Medwedjews Werben für Modernisierung und Innovation hat sich auch als eine PR-Blase herausgestellt.
Hat das System Putin überhaupt eine Überlebenschance?
Nein. Spätestens in zwei, drei Jahren werden die sozialen und wirtschaftlichen Probleme eine solche Sprengkraft haben, dass einschneidende Maßnahmen nötig werden, um die politische Stabilität zu bewahren. Gelingt das nicht, bricht ein Aufstand der Straße los und nationalistische Extremisten übernehmen die Macht.
Was könnte die EU tun?
Europa könnte das verhindern, wenn es nicht zu allem Ja und Amen sagen würde. Seine Haltung gegenüber Russland ist schlaff und ohne Rückgrat. Würden die Europäer bei Verstößen gegen Demokratie und Menschenrechte nicht nur mit Einreiseverbot drohen, sondern ihre Drohung wahr machen, kämen viele Amtsträger ins Grübeln.
Was macht Sie so sicher?
Fast die gesamte Elite ist inzwischen in Europa zu Hause. Kapital und Familien sind längst da. Die Kinder studieren in Europa und haben nicht vor, nach Russland zurückzukehren. Durch ihre Zurückhaltung stützt die EU das System Putin. Da die Machthaber von außen nichts zu fürchten haben, ziehen sie die Schrauben an und gehen immer brutaler gegen die Opposition vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands