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Dramaturg Koall über seine Kritik„Lewitscharoffs Thesen sind abstrus“

Robert Koall schrieb den Offenen Brief an Sibylle Lewitscharoff. Besonders ihr Sprachduktus sei gefährlich, ihr Gesellschaftsbild kleingeistig und religiös-verbrämt.

Das Dresdner Schauspielhaus. „Man traute seinen Ohren nicht.“ Bild: dpa
Erik Peter
Interview von Erik Peter

taz: Herr Koall, in einem Offenen Brief an die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff bezeichnen Sie ihre Rede im Dresdner Schauspielhaus als „gefährlich“. Was genau ist das Gefährliche an ihren Thesen?

Robert Koall: Ich wende mich ja gar nicht gegen ihre Thesen. Die teile ich nicht, empfinde sie abstrus und zum Teil als nicht von dieser Welt, aber damit habe ich kein großes Problem. Das fällt unter die Meinungsfreiheit und die hält man aus. Ich finde den Sprachduktus gefährlich und wende mich gegen den Sprachraum, in dem sie sich bewegt. Ich unterstelle ihr, dass sie sich darüber sehr genau bewusst ist, als Schriftstellerin muss sie das.

Gefährlich ist, dass da ja niemand Verwirrtes vom rechten Rand spricht, sondern Frau Lewitscharoff, die mit dem höchsten Literaturpreis der Republik ausgezeichnet worden ist (2013 erhielt sie den Georg-Büchner-Preis – d.R.) und die durchaus interessante Bücher geschrieben hat. Sie stand zwar schon immer ein bisschen in dem Ruch, konservativ zu denken, gerade in Glaubensfragen, aber war nicht bekannt dafür, derartig steile Thesen zu vertreten. Wenn so jemand aus der bürgerlichen Mitte unwidersprochen solch ungeheuerliche Sachen sagen darf, wie sie das auf unserer Bühne getan hat, dann finde ich das in der Tat gefährlich – und deswegen habe ich mich zum Widerspruch herausgefordert gefühlt.

Wenn es kein Versehen war, welche Motivation liegt Ihrer Meinung nach der Rede zugrunde? Ist es die Lust am Tabubruch oder ein bewusster politischer Akzent für ihre politisch-kulturellen Ansichten?

Ich weiß nicht, welcher Mission sie folgt. Ich weiß nur, dass sie eine streitbare Person ist, die Widerspruch herausfordert, was ich angenehm finde. Schade nur, dass sie es auf diese Art und Weise tut. Immerhin haben wir jetzt eine Debatte.

Sie haben sie in eine Reihe mit Thilo Sarrazin und Matthias Matussek gestellt. Wo sehen sie das verbindende Element zwischen den dreien?

Ich will sie nicht in eine Reihe stellen, sie kommen aus ganz unterschiedlichen Ecken. Aber alle drei benutzen eine sorgsam gewählte Sprache, die sich in die gesellschaftliche Debatte als Gift einschleicht, weil sie plötzlich zu einem normalen Ton zu werden droht, wenn ihr nicht widersprochen wird. Diesen Tendenzen muss man möglichst früh entgegenwirken. Was sich im Moment an Widerspruch und Empörung regt, zeigt, dass die Gesellschaft noch in einem guten Zustand ist.

Während der Rede im Schauspielhaus blieb es aber ruhig. Niemand hat öffentlich protestiert.

Bild: Staatsschauspiel Dresden
Im Interview: Robert Koall

geboren 1972 in Köln. Von 1995 bis 1998 Assistent von Christoph Schlingensief. Danach Wechsel in die Dramaturgie des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg (Intendanz Frank Baumbauer). Von 2000 bis 2004 Dramaturg am Schauspielhaus Zürich bei Christoph Marthaler und anschließend am Schauspiel Hannover im Team von Wilfried Schulz. Seit der Spielzeit 2009.2010 ist er Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden.

Es stimmt, es gab keine Zwischenrufe. Ich glaube aber, dass es auch daran lag, dass man seinen Ohren nicht traute. So ging es mir ja auch: Ich stand am Rand und brauchte immer wieder einige Sekunden, um mich selber in die Realität zurückzubeamen und zu sagen, dass hat sie doch gerade nicht wirklich gesagt. Ich bedauere zutiefst, dass ich nicht die Kaltblütigkeit besessen habe, in den Schlussapplaus hinein auf die Bühne zu gehen und sie zu einem Gespräch über das Gesagte aufzufordern. Es ist schade, dass ich es in diesem Moment nicht hingekriegt habe, die Debatte sofort öffentlich auszutragen. Deshalb war ich danach fast gezwungen, den Brief zu schreiben.

Erst mit dem Brief ist die Debatte entstanden. Niemand sonst hat sich öffentlich gegen die Thesen von Sibylle Lewitscharoff gestellt. Auch in einem Artikel in der Sächsischen Zeitung wurde die Rede als „mutig“ bezeichnet. Wie erklären sie sich das?

Die anwesende Presse hat in der Tat sehr gemäßigt reagiert. Aber die Reaktionen, die jetzt vom Publikum kommen, zeigen, dass es durchaus eine große Erregung bei den Leuten gab, aber eben auch eine gewisse Hilflosigkeit darüber, wohin diese zu richten sei. Mir wird gerade sehr viel gedankt, der Kritik Ausdruck verliehen zu haben. Aber warum die Wellen jetzt erst so hoch schlagen, weiß ich nicht.

Weil es schwerfällt, den Thesen angemessen entgegenzutreten?

Mir geht es um die Geisteshaltung, die dahintersteckt. Wir leben im Jahr 2014 in einem Land, das sich auf Solidarität, Gemeinschaft und Toleranz gründen sollte, und nicht in einer kleingeistigen, engen, religiös-verbrämten Gesellschaft von Fundamentalisten, die bestimmtes menschliches Leben als weniger wertvoll als anderes menschliches Leben erachtet.

Wie soll mit jemandem, die für eine solche Gesellschaft steht, nun in der öffentlichen Debatte umgegangen werden? Würden Sie sich erneut mit ihr auf ein Podium setzen?

Mein Bedarf an der Weltanschauung von Frau Lewitscharoff ist im Moment gedeckt. Aber als Gesellschaft muss man eine Meinung wie die ihre aushalten. Nur in dem Moment, wo sie wieder auf einem Podium sitzt und wieder Menschen die Würde abspricht, hat sie nicht mehr das Recht, ein öffentliches Mikrofon unter die Nase gehalten zu bekommen.

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10 Kommentare

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  • Streitbare Person aus dem Debattenland

    Frau Lewitscharoff führt einen kaufmännischen Duktus. Das bezeugen diese Worte:

    «Mir geht es um die Geisteshaltung, die dahintersteckt. Wir leben im Jahr 2014 in einem Land, das sich auf Solidarität, Gemeinschaft und Toleranz gründen sollte, und nicht in einer kleingeistigen, engen, religiös-verbrämten Gesellschaft von Fundamentalisten, die bestimmtes menschliches Leben als weniger wertvoll als anderes menschliches Leben erachtet.»

    Wir leben in Europa( sei es Deutschland, Spanien, die Ukraine oder Rumänien), Europa, wo vor allen Dingen progressive Denkweise und Mitleid herrschen muss. Bravo, Robert Koall!

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Mir geht es um die Geisteshaltung, die dahintersteckt. Wir leben im Jahr 2014 in einem Land, das sich auf ..."

     

    Die Antwort: Heuchelei, Verlogen- und Verkommenheit in UNWahrheit des kreislaufend-geistigen Stillstandes seit "Vertreibung aus dem Paradies" (erster und bisher einzige geistige Evolutionssprung), woraus die nun zeitgeistlich-herrschende Symptomatik von bewußtseinsbetäubender Bildung zu Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche (Staat & Kirchen) resultiert, für den nun "freiheitlichen" Wettbewerb um ... - weil sie ja offensichtlich keine respektable Antwort zur Geisteshaltung gegeben haben, Herr Koall!

     

    Konfus, abstrus und religiös-verbrämt ist schon richtig - vielleicht aber auch nur weil dies der Sprachraum im Tanz um den heißen Brei und das goldene Kalb ist!?

     

    Es steckt aber einiges an diskussionswürdigem darin, worauf ihr / die Spitzen der Hierarchie in Suppenkaspermentalität so aber nicht mit entsprechendem Ernst reagieren, wenn es konkret formuliert rübergekommen wäre!!!

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @688 (Profil gelöscht):

      "Mir geht es um die Geisteshaltung, die dahintersteckt."

       

      Also der Spiegel, in dem "braver" Bürger nicht gern schaut wenn ..., bzw. gern einen "Anderen" sieht???

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @688 (Profil gelöscht):

      "... die Würde abspricht, ..."

       

      Das ist in dieser Welt- und "Werteordnung" doch ein gängiges Format, der wettbewerbsbedingten Symptomatik / Systemrationalität in "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei"!?

  • L
    Luther

    Seltsam, Ihre Zensur, wenn ich mir die übrigen Kommentare betrachte. Deshalb nochmal: Frau L. stellt Thesen auf, die sie gleichzeitig durch Wort (Geist) Seele (Empathischer Verstand) und Leib (Körper) ergo ganzheitlich, sozusagen vollmenschlich,auf abscheulichste Weise widerlegt. Meine Antithese: Lieber nicht ganz echt, als nicht ganz dicht. Was daran widerspircht den Netiquetten (angesichts der Tatsache, dass Frau L. ihre Thesen in der Dresdener Staatsoper, offen und ohne gelynicht zu werden, verkünden durfte?

  • WI
    wayne interessierts
  • E
    erikius

    Die FAZ hat im Gegensatz mit Sibylle Lewitscharoff gesprochen an statt nur über sie zu schreiben. Daraus geht sehr deutlich hervor, dass die "Halbwesen" (was ja neben vertreteten christlichen Werten zur natürlichen Fortpflanzung das zweitschlimmste Verbrechen zu scheinen seid, was die taz ihr vorwirft), mehr eine Warnung dahingehend war, was andere Menschen über Kinder künstlicher Befruchtung denken könnten.

    Das selektive Zitieren ist aber leider ein beliebtes Mittel, nicht nur der taz, um einen Menschen zu glorifizieren oder zu verdammen.

     

    Der geneigte taz-Leser wird sich auch nach dem FAZ-Interview von ihr abwenden, was aber mehr an ihrer Kritik zur "Selbstermächtigung" der Frauen festzumachen sein wird.

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/sibylle-lewitscharoff-im-gespraech-darf-ich-nicht-sagen-was-ich-denke-12835124.html

    • S
      Sarah
      @erikius:

      @ Erikius: Schauen wir doch mal in den genauen Wortlaut von Frau Lewitscharoffs Original-Rede statt in nachfolgende FAZ-taz- und sonstige Artikel. Sie sagte: „Ich übertreibe, das ist klar, übertreibe, weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas.“ Dies ist keine Warnung, sondern ein klares Urteil, und zwar eines von absolut menschenverachtender Art. Im Übrigen gibt es neben dieser, auf welche Sie sich bezogen haben und welche ich darum hier exemplarisch aufgreife, noch einige Passagen mehr in ähnlichem Tenor.

      Ein bloßes Abwenden, wie von Ihnen angesprochen, und Kopfschütteln genügt da nicht – darum bin ich dankbar für Reaktionen wie die von Hr. Koall, denn entschiedener Widerspruch muss hier die Reaktion sein, und zwar nicht nur inhaltlicher. Denn über ihre Thesen, wären sie denn sachlich vorgetragen worden, könnte man ja inhaltlich diskutieren – und auch hierbei bekäme sie meines Erachtens (oder hoffe dies vielleicht nur?) viel Gegenwind aus der breiten Gesellschaft. Über das Inhaltliche hinaus ist aber aufgrund ihrer unsachlichen, menschenverachtenden Sprache und Art, ihre Thesen zu untermauern, jedoch zu eben dieser Sprache und Art der Argumentation Widerspruch angezeigt. Darum: Danke und dito, Herr Koall (Auch hier empfehle ich die Lektüre des Original-Textes des offenen Briefes von Herr Koall an Frau Lewitscharoff)!

    • A
      adabei
      @erikius:

      In Göttingen steht ein Denkmal des Chemikers Friedrich Wöhler, der J.J. Berzelius schrieb: „Ich muss Ihnen sagen, dass ich Harnstoff machen kann.“ - Anfang vom Ende der „vis vitalis“ in der Chemie. Frau Lewitscharoff stehen da noch einige Erkenntnisschritte offen.

      Das Recht, moralische Fragen aufzuwerfen, besteht (und wird zu selten ausgeübt), doch Madame stellt keine Fragen, Madame urteilt. Richtschnur ist ihr dabei ein rückwärtsgewandtes „sentiment“, eine Befindlichkeitsnostalgie, die umso ekler ist, wenn sie nicht andere Haltungen, sondern Menschen abqualifiziert.

      Um dem Missverständnis vorzubeugen: Pluralität bedeutet nicht Positivismus – aber die Unterscheidung von glauben und wissen muss gewahrt bleiben.

  • A
    adabei

    Nun, in vielerlei Hinsicht ist Frau Lewitscharoffs Rede nicht überraschend. Zum einen gehört sie zur großen Gruppe der „Illiterati“, denen die Kenntnis des Titels „Der Mensch erschien im Holozän“ naturwissenschaftliches Rüstzeug genug dünkt, um ansonsten die freie Reichsunmittelbarkeit des Geistes für sich zu reklamieren.

    Wer dann, wie Frau L., Vororte einer Stadt ironiefrei als "Lockfallen für Heiterkeit" apostrophiert, dem möchte man – quasi als Einstieg mit beschränkter Haftung –wenigstens Das Fliegenpapier von Musil zur Lektüre anempfehlen. Ob’s denn hülfe?

     

    Schlimm auch, dass ein hochverehrtes Publikum artig klatscht – so jedenfalls auch schon 2011 bei ihrer Dankrede für den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis. Darin wandte sich Sibylle Lewitscharoff auch den Marienkäfern und Wespen zu. Vermehrten sich die einen angeblich in ihrer Berliner Wohnung und würden im Frühjahr ins Freie entlassen, so nannte sie die anderen „Nazis der Luft“, denen sie gewaltsame Tode zudachte, eventuell sogar in Aussicht stellte.

    Halt - stopp mal, Gleichsetzung von Menschen und Insekten plus Vernichtungsgedanken, wer war das doch gleich? Ich sehe, Sie sind bei mir. Dieselbe Denke in anderer Couleur: Oh ja, der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.