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Direkte Demokratie in BerlinMüller wird Feldherr

Michael Müller will die Zuständigkeit für ein Bauprojekt auf die Landesebene ziehen – damit wären 6.000 Bürgerunterschriften wertlos.

Dieses Feld wollen die Anwohner bewahren. Bild: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

Der designierte Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) will ein Bürgerbegehren in Neukölln aushebeln. In Buckow sollen auf einem Feld direkt an der Grenze zu Brandenburg mehrere hundert Wohnungen gebaut werden. Anwohner sammeln derzeit Unterschriften gegen das Projekt. Müller will nun im Senat beantragen, dass die Zuständigkeit für das Bauprojekt von der Bezirksebene auf die Landesebene übergeht. Das bestätigte seine Sprecherin Petra Rohland am Donnerstag. Wenn der Senat dem Antrag zustimmt, wäre kein Bürgerbegehren auf Bezirksebene mehr möglich. Dann wäre nur noch eine landesweite Volksabstimmung denkbar wie zuvor beim Tempelhofer Feld. Dafür müssten die Anwohner aber erheblich mehr Unterschriften sammeln.

Bei der letzten Parlamentssitzung sagte Müller, es gebe ein „erhebliches Interesse an Wohnungsbau gerade in Neukölln, wo wir einen erheblichen Nachholbedarf haben“. Auf dem Areal auf den Buckower Feldern könnten mindestens 450 Wohnungen gebaut werden. „Alle hier im Parlament sind immer dafür, dass es möglichst viel und möglichst schnell Wohnungsbau in dieser Stadt gibt – solange es abstrakt bleibt. Aber wenn es konkret wird, wenn wir über eine Fläche und ein Vorhaben reden, sind alle dagegen. Und das geht nicht!“ Müllers Ziel ist, dass jedes Jahr 10.000 Wohnungen neu gebaut werden. Dieses zusätzliche Angebot auf dem Wohnungsmarkt soll den steigenden Mieten entgegenwirken.

Müller sagte, es gebe schon länger „eine Grundsatzdebatte, ob es nicht sinnvoll ist, dass bei größeren Bauvorhaben ab 200, 250 Wohnungen die Landesebene zuständig sein soll“. Der Senat kann die Zuständigkeit an sich ziehen, wenn es nach seiner Ansicht von „dringendem gesamtstädtischem Interesse“ ist.

Sabine Werth von der Bürgerinitiative sagt, sie sei „empört darüber, was hier hinter unserem Rücken passiert“. Es sei „ein Armutszeugnis, wenn die Politiker mit uns nicht klarkommen und zu solchen Methoden greifen“. Der Vorgang sei „ein Angriff auf unsere demokratischen Rechte“.

Oliver Wiedmann, Vorstandssprecher von Mehr Demokratie, kritisiert: „Offenbar will der Senat Wohnungsbauprojekte künftig mit der Brechstange statt mithilfe von Bürgerdialogen durchsetzen.“ Bei fast der Hälfte aller bisherigen Bürgerbegehren sei es um Bauprojekte gegangen.

Jochen Biedermann von der Neuköllner Grünen-Fraktion kommentiert: Dies gebe „den Menschen das Signal, all ihre Bemühungen sind am Ende wertlos“. Die knapp 6.000 von der Initiative gesammelten Unterschriften würden mit einem Schlag wertlos, kritisiert seine Fraktion. „Die Botschaft, die SPD und CDU damit aussenden, ist verheerend: Bürgerschaftliches Engagement nehmen wir nur dann ernst, wenn es unseren eigenen Interessen nicht zuwiderläuft.“

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2 Kommentare

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  • "Anwohner sammeln derzeit Unterschriften gegen das Projekt".

     

    Man hat so ein Gefühl, dass es den Menschen, die gegen das Bauprojekt die Unterschriften sammeln, gar nicht um das Projekt an sich geht. Sondern um die Verteilung der Wohnungen, wenn der Bau abgeschlossen ist.

     

    Das Hauptkriterium, wonach man eine Wohnung in Berlin bekommt ist das Einkommen. Da fängt die soziale Verdrängung schon an. Zudem kaufen reichere Bürger mehrere Wohnungen und vermieten die anschließend weiter, um geld zu machen.

     

    Wir brauchen mehr soziale Wohnungen und mehr Einflüss durch den Staat, damit nicht Spekulanten und Wohnungseigentümer, sondern vorwiegend Mieter - und zwar nicht nach Einkommen gemessen, davon "profitieren" können.

     

    Wir brauchen auch andere Verteilungskriterien. Bspw. staatlich erbaute Wohnungen könnten, unter Berücksichtigung des Einzelfalls und des Datums der Antragstellung von einem Wohnungsinteressenten, durch den Senat oder Bezirk verteilt werden.

     

    Dann wird es bestimmt weniger Widerstand gegen den Wohnungsbau geben.

  • Auf welchem, vom Berliner Senat kostenlos überlassenen Filet-Grundstück - in Mitte? in Kreuzberg Nord? - läßt denn die taz ihr neues Gebäude bauen? Auch mit ein paar teuren Single-Wohnungen von 42 qm ab 900 Euro oder 1.100 Euro Kaltmiete? Wäre eine gute Einnahmequelle für die taz als Zweit-Immobilienbesitzerin und Zweit-Bauherrin - ein Genossenschaftsprojekt! Oder Stiftungsprojekt?

     

    Die Kreativität hat bekanntlich keine Grenzen!