Chinesische Weltrekordlerin Ye Shiwen: Noch sind nur die Männer schneller
Sie ist 16 und schwimmt über 400 Meter Lagen so schnell wie keine Frau vor ihr: Ye Shiwen! Kommt es im Schwimmbecken zum Kampf der Geschlechter?
LONDON taz | Es war der Tag der Menschwerdung einer Maschine. Michael Phelps kann doch verlieren bei Olympischen Spielen. Das ist eine neue Erkenntnis nach den 14 Goldmedaillen, die er in Athen und Peking gewonnen hat. Er konnte einfach nicht mithalten mit seinem Landsmann Ryan Lochte, der sich am Ende auch gewundert hat, dass Phelps nicht einmal auf dem Podium stand.
Über 400 Meter Lagen gewann Lochte in 4:05 – 18 Sekunden vor dem Brasilianer Thiago Pereira und Kosuke Hagino aus Japan. „Er ist eben auch nur ein Mensch“, meinte Lochte über den geschlagenen Landsmann, der nach dem Rennen ratlos und mit offenem Mund vor der Presse stand, dem einfach keine Ausrede einfallen wollte, der einfach nur sagte, wie „frustrierend“ das alles ist.
Und während Lochte noch nach Erklärungen für den Absturz seines Rivalen suchte und davon redete, wie schwer doch die lange Lagendistanz sei, da hatten alle Zeugen dieses denkwürdigen Abends noch das Bild im Kopf wie die junge chinesische Schwimmerin Ye Shiwen in ihrem Wettbewerb über die selbe Strecke auf den letzten 50 Metern so geschwommen ist, wie noch keine Frau, wie beinahe kein Mensch vor ihr. Die letzte Bahn ihres olympischen Weltrekordrennens (28:93 Sek.) ist sie schneller geschwommen, als Ryan Lochte bei seinem Olympiasieg (29,10).
Im Schwimmsport ist eine neue Maschine mit menschlichen Antlitz unterwegs. Sie 16 Jahre alt, ein Mädchen. Bei der Schwimm-WM im vergangenen Jahr in Schanghai durfte sie schon einmal ihre Mädchenfreude zeigen, nachdem sie über 200 Meter Lagen gewonnen hatte. Nach dem Rennen von London wusste sie nicht so recht, was sie sagen sollte. Allzu oft ist sie der ganz großen Öffentlichkeit noch nicht vorgeführt worden.
„Glücklich, glücklich, glücklich"
„Glücklich, glücklich, glücklich, ich bin sehr glücklich“, viel mehr sagte die neue Vorschwimmerin zunächst nicht. Das Glück sei ihr gegönnt. Es ist sicher kein Spaß, in China zur Leistungsschwimmerin ausgebildet zu werden, auch wenn Ye versichert hat, dass sie nicht wie ein Roboter trainieren würde, dass das Training sehr wissenschaftlich sei und dass von ihr noch bessere Zeiten zu erwarten seien.
Sie sei ja noch so jung. Noch besser? Wird sie bei den nächsten Olympischen Spielen dann im ersten großen Kampf der Geschlechter im Becken gegen Ryan Lochte um den Titel schwimmen? Dass sie auf den abschließenden 100 Metern Freistil bis auf drei Hundertstel genauso schnell war wie Lochte, scheint sie selbst nicht zu wundern.
„Ich habe viel trainiert“, weckt aber doch Erinnerungen an die erste große chinesische Schwimmstaffel der Frauen. Deren medaillenreiche Zeit war 1998 nach einer Polizeirazzia beendet worden. Bei der Einreise noch in Australien, wo sie an der Schwimm-WM teilnehmen wollte, ist sie vom Zoll mit einer ganzen Tasche voller Dopingmittel entdeckt worden – das Geheimnis der chinesischen Schwimmerfolge jener Jahre war gelüftet.
Mehr als 40 chinesische Schwimmerinnen und Schwimmer wurden in der darauf folgenden anterthalb Jahren wegen Dopings gesperrt. Damit hat Ye Shiwen gewiss nichts zu tun. Doch nach ihrer unglaublichen Leistung vom Samstagabend, muss sie sich über Fragen nach dem Zustandekommen ihrer Leistung nicht wundern.
Dopingsperren im chinesischen Schwimmteam
Das das Doping aus dem chinesischen Leistungsschwimmen seit der Jahrtausendwende nicht verschwunden ist, das zeigt die Sperre von Li Zhe, die mit der 4x100 Meter Freistilstaffel 2009 in Rom Weltmeisterin geworden ist. Sie wurde im März dieses Jahres mit Epo im Urin erwischt. Der Gewinner des zweiten chinesischen Schwimmgolds an diesem Abend, Sun Yang, der Sieger über 400 Meter Freistil, die Distanz, über die der Weltrekordhalter Paul Biedermann die Finalqualifikation verpasst hat, musste sich dagegen keine unangenehmen Fragen anhören.
Die Muskeln von Sun Yang werden ja auch nicht in einem chinesischen Sportlabor geformt, sondern in Australien, beim Trainer des legendären Langstrecklers Steve Hacket. Dem hat Sun bei der WM 2011 in Schanghai den Weltrekord über 1.500 Meter abgenommen, indem er die letzten 100 Meter in 54 Sekunden geschwommen ist, was vielen begabten Schwimmern nicht einmal vom Startblock aus gelingt.
Die Schwimmwelt, sie bleibt rätselhaft, auch wenn sie für Ryan Lochte, der nun nach seinem Auftaktsieg zum besten Schwimmer aller Zeiten aufsteigen will, einfacher nicht sein könnte. „Ich wollte immer nur eines im Leben“, hat er am Samstag gesagt: „Spaß – und Schwimmen bringt mir den Spaß.“
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