Die Werbepause: Klarer Fall von Schwarmdummheit
Eine weltweite Demonstration die nur in Deutschland stattfindet. Wie der Occupy-Netzwerkeffekt in die Hose geht und keiner was in Frage stellt.
Schön sind sie ja, die bunten Flyer und Banner, die zu dieser weltweiten Angelegenheit locken: "Globaler Aktionstag", "Internationale Demonstrationen", "Weltweiter Protest" – das sind die Metaphern, mit denen deutsche Globalisierungskritiker seit Wochen schon zu Massenprotesten rufen. In linken Szenelokalen liegen die Flugblätter aus, auch auf Demos werden sie verteilt.
Am Sonntag soll es so weit sein – wenn es nach der deutschen Occupy-Bewegung und den Aktivisten von Attac geht. Proteste in bis zu 30 deutschen Städten. Und in etlichen Städten rund um den Globus auch. Angeblich. Wenn da dieser Fakt nicht wäre: Zwar gehen in Deutschland tatsächlich viele auf die Straße – doch hinter der Landesgrenze hat vom "globalen Aktionstag" leider niemand etwas mitbekommen.
Der "Global Action Day" am 15. Januar - er ist eine nationale Erfindung kollektiven Irrglaubens. Die Frankfurter Rundschau ist darauf reingefallen, das Hamburger Abendblatt – und auch die taz: In einem Text vom 7. Januar glaubte sie der Ankündigung und verbreitete die Nachricht weiter.
Doch bei genauerer Betrachtung fällt auf: Nahezu alle Facebook-, Twitter- und Internetaufrufe – gerne englischsprachig – stammen aus dem deutschsprachigen Raum. Zwar gibt es auch in den USA einen Aufruf zu einer Lichterkette. Doch sonst ist am 15. Januar genauso viel los wie an jedem anderen Tag.
So langsam sorgt das auch für peinliches Schweigen in den Reihen der sonst so möchtegern vernetzten, hybriden, globalen und transnationalen Bewegung. "Das ist wohl ein Netzwerkeffekt", sagt ein an der Demo-Organisation maßgeblich Beteiligter. Und so ist es jene gern gelobte Schwarmintelligenz sozialer Netzwerke, die hier ein anschauliches Beispiel von Schwarmdoofheit ausdrückt. Weil alle das Gleiche glauben, fragt niemand, ob es stimmt.
Jetzt zeigen die Globalvernetzer mit dem Finger auf die anderen: Die Occupy-Gruppen hätten das so propagiert, heißt es bei Attac. Umgekehrt heißt es, Attac habe maßgeblich vom internationalen Aktionstag gesprochen. Ach, egal. Demonstrieren wollen sie am Wochenende dennoch. Global – aber nur deutschlandweit.
Anmerkung des Autors: Diese Kolumne hat für zahlreiche Leserzuschriften gesorgt. Eine Antwort darauf finden Sie in der Kommentarspalte.
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