Die Wahrheit: Unter Peking-Palmen
Es gibt viele Dinge, über die sich Ausländer in China amüsieren. Allerdings sollte man aufpassen, worüber man sich lustig macht.
E s gibt viele Dinge, über die sich Ausländer in China amüsieren. Allerdings sollte man aufpassen, worüber man sich lustig macht. Manches nämlich, was gestern noch urkomisch war, hat heute bereits das Vorzeichen geändert. Seitdem beispielsweise Modedesigner wie Louis Vuitton und Alberta Ferretti Schlafanzüge in ihre Outdoorkollektionen aufgenommen haben, ist ein in einer chinesischen Großstadt auf der Straße getragener Schlafanzug nicht mehr zum Prusten, sondern extrem hip, cool und zukunftsweisend.
Auch die ganzen Plastikpflanzen im öffentlichen Raum finden momentan noch nahezu alle Ausländer lächerlich. Tatsächlich kommt hier fast keine Shoppingmall ohne einen Dschungel von Plastikgewächsen aus. Auch in Schwimmbädern, Tempeln oder Restaurants stehen Plastikficusci herum, oder es rankt wilder Wein aus Kunststoff. In Parks, auf Verkehrsinseln oder Parkplätzen wachsen neben gigantischen Gipskakteen lebensgroße Kokospalmen, bisweilen mit grellen Leuchtfarben lackiert. Vor allem bei tiefen Minusgraden macht das aufs ausländische Auge einen recht befremdlichen Eindruck.
Chinesen stören sich dagegen überhaupt nicht an der Plastikflora. Es findet auch keiner etwas dabei, dass in einer Stadt, in der es mindestens vier Monate im Jahr friert, eine Palme namens „Beijing Palm“ produziert wird. Das ist ein bis zu zwölf Meter hoher Baum, mit einem Stamm aus glasfaserverstärktem Kunststoff, einem Stahlrohr im Inneren und Palmwedeln aus Anti-UV-Plastik.
Statt sich über die Palme zu mokieren, sehen die Chinesen nur die Vorteile, die sie hat und die auch der Hersteller Beijing Palm Technique Development Co., Ltd. auf seiner Verkaufshomepage auflistet. Hier heißt es unter Punkt zwei: „Extrem resistent gegen UV-Strahlung, Wind, Frost, Regen, Schnee und Verrotten.“ Und unter Punkt sechs fasst man zusammen: „Braucht keine besondere Pflege und Bewässerung. Also muss man sich keine Sorgen um das Überleben des Baumes machen und spart Kosten.“
Und natürlich haben die Chinesen recht: Eine Plastikpalme ist einem echten Baum vielfach überlegen. Allerdings sollten sie dann auch konsequent sein und die zur Vegetation passenden Menschen produzieren. Okay, man muss nicht gleich alle Menschen durch Plastikdoubles ersetzen. Man nehme erst einmal nur welche, die eher überflüssig sind. So könnte man mit der Herstellung eines deutschen Plastikbundespräsidenten beginnen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ein Plastikpräsident ist genauso unverwüstlich wie unbestechlich. Er verrottet nicht und hält auch keine dummen Reden. Und er kostet nach der Fertigung den Steuerzahler keinen Cent.
Sollte sich das Plastikstaatsoberhaupt bewähren, könnte man sukzessive weitere Taugenichtse (Talkshowmoderatoren und so weiter) gegen artifizielle austauschen. Bis endlich mal ein bisschen Ruhe ist. So gesehen liegt in den Schubladen der Beijing Palm Technique Development Co., Ltd. der Schlüssel zu einer perfekten Gesellschaft. Und das ist ja wohl kaum lächerlich.
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