Die Suche nach dem Urteilchen: Die Teilchengötter
Wissenschaftler in der Schweiz suchen den sogenannten Higgs-Boson. Er ist der Schlüssel zur Erklärung der Masse. Wie seine Popularität zur Gefahr werden kann.
Das Higgs-Teilchen ist bekanntlich ein Skalarboson mit einem vermutlich ganzzahligen Spin und einer Masse, die zwischen 117 und 153 Gigaelektronenvolt durch Lichtgeschwindigkeit im Quadrat liegen müsste. Aha.
Man muss wissen, dass dieses eben beschriebene Ding berühmt ist. Es soll die Erklärung sein, warum die Materie eine Masse hat. Um seine mögliche Entdeckung hat sich seit Jahren ein gewaltiger Hype entwickelt. Nur warum? Bei Lichte betrachtet handelt es sich um eine wissenschaftliche Messung, die eventuell ein physikalisches Modell bestätigen könnte, das bereits heute als unzureichend gilt.
Hans Magnus Enzensberger hat für das Forschungszentrum Cern, in dem sie das Teilchen jagen, den Begriff "Kathedrale der Physik" erschaffen. Eine Art Tempel, den nur die besten Baumeister ihrer Zeit errichten konnten, der ungeheure Mittel verschlingt, in dem nicht Latein, sondern die Sprache der Mathematik gesprochen wird und der Antworten liefern soll auf die großen Fragen der Menschheit.
Natürlich wäre es grober Unfug, wissenschaftliche Erkenntnis und religiösen Glauben in einen Topf zu werfen. Trotzdem offenbart sich am Higgs-Teilchen ein Dilemma moderner Wissenschaft. Sie verliert ihre Fähigkeit, die Öffentlichkeit aufzuklären. Stattdessen wird sie zum Medienphänomen, das zu Dogmen neigt.
Die Popularität des Higgs-Teilchens außerhalb des wissenschaftlichen Betriebs geht auf eine PR-Maßnahme zurück. Der Nobelpreisträger Leon Ledermann veröffentlichte 1993 ein Buch über Teilchenphysik, das er "The God Damn Particle" nennen wollte - das gottverdammte Teilchen. Sein Verleger schlug vor, "Damn" zu streichen - das Buch hieß "Das Gottesteilchen". Gemeint war das Higgs-Teilchen, das auf einmal einen eingängigen Spitznamen hatte und zum Star wurde.
Welche Fragen die Wissenschaft umtreiben, speist sich aus zwei Quellen: aus den Fragen des Wissenschaftlers selbst, aber viel mehr aus seinem Umfeld, den Moden des Denkens, dem Geist der Zeiten. Ein Effekt, der durch Gottesteilchen, PR-Wissenschaft und Milliardenbeträgen, die in einige wenige wissenschaftliche Experimente fließt, potenziert wird. Bei all der Kohle muss ein Ergebnis her.
Weltformel oder Holzweg?
Das soll nicht heißen, dass sie am Cern Blödsinn forschen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die Wissenschaft jene Fähigkeit zur permanenten Selbstkritik einbüßt. Riesenexperimente verleiten das Denken zum Herdentrieb. Der Mensch war von jeher ein Baumeister von Gedankengebäuden, die er später wieder lustvoll einreißt, um bei Kant zu bleiben. Momentan scheint er besonders kühn zu konstruieren.
Was würde es nun bedeuten, wird das Higgs-Teilchen zweifelsfrei entdeckt? Die Weltformel? Es bedeutet vor allem, dass sich die Menschheit vorerst weiter an ihr gegenwärtiges physikalisches Weltbild kuscheln kann. Das ist weiterhin voller Löcher und Inkonsistenzen und schreit nach einer großen Theorie, die alles erklärt.
Wobei, vielleicht ist ja ebendiese Suche nach der großen Theorie bereits ein großer Holzweg. Zumindest werfen immer mehr Physiker genau diese Frage auf. Robert Betts Laughlin zum Beispiel, der 1998 den Nobelpreis für Physik erhielt. Er stellt in dem beachtenswerten Buch "Abschied von der Weltformel" die Welt auf den Kopf.
Das bisherige physikalische Weltbild lautet, dass alle Phänomene der Natur auf einige Grundkräfte und -gesetze zurückzuführen sind. Das ist laut Laughlin ein Grundirrtum unserer Zeit. Er geht davon aus, dass die Welt, je komplexer sie ist, neue Gesetze hervorbringt, die nicht aus ihren Elementen zu erklären sind.
Das Bewusstsein könnte beispielsweise ein solches Phänomen sein. Das Higgs-Teilchen würde demnach erklären, warum im Cern ein paar Messgeräte ausschlagen, wenn Teilchen mit beinahe Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen. Mehr aber auch nicht.
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