Deutsche Muslime halten Satire aus: „Das Grundgesetz reicht aus“
CSU-Chef Horst Seehofer denkt laut über stärkere Strafen für Gotteslästerung nach. Bei Kirchen und Islam-Verbänden stößt dies auf Skepsis oder Ablehnung.
BERLIN taz | Die neuen Mohammed-Karikaturen, mit denen das französische Satireblatt Charlie Hebdo auf sich aufmerksam macht, dürften bei vielen Muslimen auf wenig Gegenliebe stoßen. Einen stärkeren Schutz gegen Blasphemie fordern die deutschen Islamverbände deshalb aber nicht.
Der CSU-Politiker Johannes Singhammer hatte am Mittwoch dafür plädiert, den Blasphemie-Paragrafen 166 zu verschärfen. CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich dem Vorschlag gegenüber aufgeschlossen. „Wenn das vorhandene Recht solche Provokationen nicht beherrscht, dann muss man überlegen, wie man es beherrschbar macht“, sagte er am Donnerstag im oberfränkischen Kloster Banz.
Aus Kirchenkreisen sprang Singhammer bisher einzig der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick bei. Gerade Christen bedürften des Schutzes durch eine solche Regelung, sagte er. Die Deutsche Bischofskonferenz wollte sich zu dem Thema auf Anfrage der taz nicht äußern. Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamts der Evangelischen Kirche in Deutschland, lehnt eine Verschärfung des Strafrechts dagegen klar ab.
Auch bei Muslimen stößt der Vorschlag der CSU auf Skepsis. „Ich bin mir nicht sicher, ob eine Gesetzesänderung viel bewirken würde“, sagte Ali Kızılkaya vom Islamrat, der aktuelle Sprecher des Koordinationsrats der Muslime, am Donnerstag der taz. „Wichtiger als Gesetze ist, dass wir uns als Gesellschaft in einer Kultur des Respekts üben.“
Falscher Zeitpunkt für die Debatte
Auch Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime sprach sich gegen eine Verschärfung des Blasphemie-Paragrafen aus. „Der Schutz der freien Religionsausübung im Grundgesetz reicht aus“, sagte er der taz. Ähnlich sieht das Ali Doğan, Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland. Satire müsse erlaubt sein, auch wenn es um „unseren eigenen Glauben“ gehe.
Die Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, Lamya Kaddor, betonte, dass der Zeitpunkt für eine solche Debatte völlig falsch sei. Eine solche Debatte könne zwar geführt werden, solle aber nicht mit dem umstrittenen Mohammed-Video in Zusammenhang gebracht werden. Anlass für die Gesetzesinitiative der Unionsparteien aus dem Jahr 2000, die Singhammer wieder beleben möchte, war eine Satire auf das Christentum gewesen.
Das Theaterstück „Corpus Christi“ im Theater Heilbronn hatte Jesus und seine Apostel unter anderem als trinkfreudige Schwule dargestellt. Zum Teil reisten Christen damals mit Bussen an, um gegen das Stück zu demonstrieren, dabei kam es auch zu Handgreiflichkeiten. In Karlsruhe ist am Samstag unterdessen eine weitere Demonstration gegen das Anti-Islam-Video aus den USA angemeldet worden. Der erste offiziell angemeldete Protestzug in Deutschland soll am Freitag in Freiburg stattfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse