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Debatte WallraffAm Ende doch ein guter Journalist

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Hinter den Vorwürfen gegen Günter Wallraff stehen menschliche Enttäuschungen, keine Skandale. Das sollte auch der "Spiegel" wissen.

E s ist Juni 1987. Auf dem Titel des Spiegels prangt eine Ankündigungszeile, die es in sich hat: „Die Türken packen aus“, zu einem Artikel über Günter Wallraff. Damals war Wallraffs größter Bucherfolg, „Ganz unten“, für den er in die Rolle eines türkischen Arbeiters geschlüpft war, noch keine zwei Jahre alt.

Noch im Oktober 1985 hatte der Spiegel einen Vorabdruck des Buchs übernommen und damit nicht unwesentlich zum Erfolg beigetragen. Jetzt, knapp zwei Jahre und fast 3 Millionen verkaufte Exemplare später, kam die kalte Dusche. „Die Türken“, genauer gesagt zwei ehemalige türkische Mitarbeiter von Wallraff, packten aus.

In einem ausführlichen Interview ließ der Spiegel zwei Leute zu Wort kommen, von denen der eine einen wichtigen Anteil am Zustandekommen von „Ganz unten“ hatte und der andere später ein von Wallraff eingerichtetes Solidaritätsbüro leitete. Beide beklagten sich bitter über ihn. Lässt man einmal alle Details beiseite, ging es darum, dass Wallraff zuvor geweckte politische und persönliche Erwartungen schwer enttäuschte, was bei beiden zu einer großen Verbitterung geführt hatte. Wallraff, so ihr Fazit, sei nicht besser als die Ausbeuter, die er in seinem Buch anprangert.

Bild: taz
JÜRGEN GOTTSCHLICH

ist Korrespondent der taz in Istanbul. 2007 veröffentlichte er die Wallraff-Biografie „Der Mann, der Günter Wallraff ist“ bei Kiepenheuer & Witsch.

Einmal in der öffentlichen Kritik, meldeten sich prompt weitere ehemalige Mitstreiter. Uwe Herzog, der schon an früheren Büchern mitgewirkt hatte und sich dann auch bei „Ganz unten“ wieder engagierte, fühlte sich ausgenutzt und sah seinen Anteil am Buch nicht genügend gewürdigt. Zu guter Letzt setzte Konkret-Chef Hermann Gremliza allem die Krone auf, indem er behauptete, nicht Wallraff, sondern er habe das Buch „Der Aufmacher“ über dessen Undercover-Recherche bei Bild geschrieben.

Leistungsdruck und Vorwürfe

Wallraff könne überhaupt nicht schreiben, und folglich könne auch „Ganz unten“ nicht von Wallraff sein. Es waren schwere Brocken, die Günter Wallraff damals an den Kopf geworfen bekam. Sie alle erzählten eine Geschichte darüber, wie aus engster Verbundenheit tiefste Abneigung wurde.

Wallraff hat nach dem Welterfolg von „Ganz unten“, einem Buch, das wie kein anderes dazu beitrug, dass türkische Migranten in der damaligen Bundesrepublik endlich als integraler Bestandteil des Landes gesehen wurden, lange kein weiteres großes Projekt mehr angefasst, weil die Erwartungen, dass das Spektakel von „Ganz unten“ noch einmal getoppt würde, so groß waren, dass sie auch von Wallraff nicht erfüllt werden konnten.

Dann kamen der Zeitenwechsel von 1989 und schließlich ganz neue Vorwürfe. Wallraff sei ein Stasi-IM gewesen, hieß es, und die Abwehr dieses Vorwurfs kostete ihn viel Kraft. Aber zum Teil war sein zeitweiliger Rückzug sicher auch darauf zurückzuführen, dass ihn die überzogene Kritik aus dem eigenen Lager schwer getroffen hatte.

Schon das spricht dafür, dass Günter Wallraff nicht der eiskalte Abzocker ist, als den ihn einige ehemalige Mitarbeiter nun darstellen. Aber er ist auch nicht der Kumpel, als den ihn einige Leute, in der Regel zu Beginn einer Mitarbeit, sehen wollten. Ein Kumpel, mit dem sie auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten glauben. Wallraff ist vielmehr ein hoch komplizierter, eigenwilliger Mensch, der bereit ist, zum Erreichen eines Ziels Entbehrungen und Risiken auf sich zu nehmen, die weit über das hinausgehen, was andere Journalisten für denkbar erachten.

Guru und Verräter

Der Auftritt von André Fahnemann, dem jetzt der Spiegel ein Podium bot, kann alle diejenigen, die Wallraff ein wenig besser kennen, deshalb nicht überraschen. Aus der Überidentifikation mit dem Meister wird abgrundtiefe Enttäuschung, wenn sich herausstellt, dass Wallraff kein Heiliger ist, sondern die Zusammenarbeit mit ihm ganz schön anstrengend sein kann.

Die Vorwürfe im Einzelnen sind dann in aller Regel eher moralischer Natur als sachlich relevant. Wallraff ist viel zu erfahren, als dass er mit falschen eidesstattlichen Versicherungen in einen Prozess gehen würde.

Man darf getrost davon ausgehen, dass seine Vorwürfe an den Großbäcker, der für Lidl die Brötchen backen ließ, voll und ganz gerechtfertigt sind und dass er das auch in einem Prozess wird belegen können. Dafür hat Wallraff bereits genug ähnliche Prozesse geführt. Fahnemanns Vorwürfe klingen deshalb auch eher nach der Wut eines enttäuschten Liebhabers, als dass er etwas Neues über den Enthüller Wallraff zu enthüllen hätte.

Was man Wallraff vorwerfen kann, ist, dass er aus seinen Erfahrungen in den 80er Jahren nicht genug gelernt hat. Dass er für seine Arbeit Mitarbeiter benötigt, ist für jeden evident, der den Umfang seiner Recherchen ermessen kann. Damit könnte Wallraff öffentlich viel offensiver umgehen, es würde seiner Arbeit und seinem Ansehen keinerlei Abbruch tun. Im Binnenverhältnis würde das bedeuten, dass Wallraff für seine Mitarbeiter arbeitsrechtlich klare Bedingungen schafft, statt sich auf Menschen zu verlassen, die in ihm erst den Guru und dann den Verräter sehen.

Auch von Kritikern geschätzt

Von vielen, vielen Leuten, die im Laufe der Jahrzehnte mit Günter Wallraff zusammengearbeitet haben, sind nur wenige enttäuscht an die Öffentlichkeit gegangen. Hinter diesen Fällen stecken in der Regel menschlich schwierige Auseinandersetzungen, aber keine politischen Skandale. Das müssten eigentlich auch die Kollegen vom Spiegel wissen.

Die vermeintliche Sensation ist gar keine. Was im Gespräch mit den türkischen Mitarbeitern nach „Ganz unten“ noch seine Berechtigung gehabt haben mag, ist heute nur noch ein müder Aufguss, mit dem sie nicht mal dem Protagonisten André Fahnemann einen Gefallen tun.

Dass Wallraffs Arbeit viel bewirkt hat, bestreiten längst auch solche Kritiker nicht mehr, die ihm politisch nicht nahestehen. Schon nach dem Wirbel um „Ganz unten“ schrieb der Konservative Rudolf Großkopff im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt: „Wallraffs oft nervende Märtyrerhaltung, seine Selbstverliebtheit, seine Humorlosigkeit und sein Einfachst-Stil seiner Reportagen mögen einem missfallen. Aber darauf kommt es nicht an. Er hat eine Aufgabe erfüllt und wesentlich mehr bewegt als alle seine früheren Verbündeten und jetzigen Widersacher zusammen.“

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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14 Kommentare

 / 
  • KK
    Karl K

    Variatio delectat.

     

    Aber hier: Gremliza hatte einfach von der Aufgeblasenheit des Herrn W. die Nase voll.

    Und wer sich einer Fähigkeit angeberisch berühmt, die er ersichtlich - wie's die Spatzen von den Dächern pfiffen - nicht hat, dem gehört auf's Maul.

    Und fertig.

    Mit Gekränktheit hat das nix zu tun.

    Und bezeichnenderweise fällt Herrn Gottschlich auch nichts weiter dazu ein.

    Und einen Ausbeuter darf man auch einen solchen nennen.

    Wer aber dazu Nebelkerzen zu zünden sucht, ist schlicht unseriös.

    Ende des Vorstehenden.

  • UH
    Uwe Herzog

    Wenn an den derzeitigen Vorwürfen gegen Wallraff nichts dran ist - warum erhält Andre Fahnemann dann unmissverständliche Drohungen?

     

    Wallraffs Ghostwriter Albrecht Kieser ließ Andre Fahnemann zum Beispiel wissen, dass er schon bald "beruflich und finanziell verbrannt" sein werde, wenn er so weitermacht.

     

    Eine vielsagende Formulierung.

     

    Günter Zint, ebenfalls ein enger Vertrauter Wallraffs, schrieb am 19.August, 13:13 Uhr:

     

    "Du wirst bald erfahren dass Dein "Vatermord" nicht ungestraft bleibt."

     

    Und weiter:

     

    "Du tust mir jetzt schon leid".

     

    Schließlich versucht Zint, Andre Fahnemann zum Schweigen zu drängen:

     

    "Also mach Schluss und lösche deine Homepage!"

     

    Das sagt doch alles.

  • UH
    Uwe Herzog

    Mein lieber Herr Gottschlich,

     

    in Ihrem Buch "Der Mann, der Günter Wallraff ist" haben Sie zur Genüge bewiesen, dass Sie vor keiner Falschbehauptung zurückschrecken, wenn es darum geht, Wallraff die Weste sauber zu klopfen:

     

    http://www.ruhrbarone.de/mobbing-la-wallraff-oder-bis-bald-dein-guenter/

     

    Mit Ihrem Artikel beweisen Sie nun einmal mehr, dass es Ihnen nicht um die Aufklärung und Fakten geht, sondern um reine Stimmungsmache.

     

    Auch Günter Wallraff muss sich indessen mit den Maßstäben messen lassen, die er selbst an die Welt anlegt.

  • HW
    Hannes W.

    Nachdem Hr. Roth von der TAZ die an ihn gerichtete Frage schuldig bleibt, weshalb er sich vom Pressekodex verabschiedet und einen Artikel über seinen langjährigen Freund und Vertrauten Wallraff schreibt, zieht jetzt Wallraffs Hofbiograph GOTTSCHLICH nach und zieht die Taz weiter runter.

    Die Taz hat doch deutlich gemacht, dass sie mit Neutralität in diesem Fall überfordert ist und Wallraff stumpf Schützenhilfe leistet. Warum legt man diesen Punkt nicht allen Lesern vorher offen?

  • H
    hamann

    Wallraff ist ein selbstgerehter Dampfplauderer, dessen Geschichten man wirklich nicht glauben kann.

  • Y
    yberg

    ach gottchen,beim größten pressehaus gehts mim fahrstuhl auch wieder runter

     

    beim größten wochenmagazin mit belegschaftsbeteiligung dagegen wird man für ne dolle story über die treppe runter geschleift und den giftler lieferanteneingang runter gestoßen

     

    olle augstein wär in so nem umfeld auf ewig clean geblieben.

     

    ooch die spiegel verantwortlichen können nur blind agieren,wenn sie mit een ooge dem schwindsüchtigen abverkauf und mit dem andern die beunruhigenden werbeeinnahmen im blick haben.

     

    was is nur aus unseren salonsozialisten vom affenfelsen geworden....

  • PP
    Peter Pander

    Vor einigen Monaten hat die WELT am SONNTAG eine Stasi-Story über Wallraff lanciert.

     

    Nach über 20 Jahren Abonnement der WamS habe ich den Bezug gekündigt. Hätte ich den SPIEGEL abonniert, würde ich auch diesen kündigen.

     

    Z.Zt. bleiben mir zur Lektüre nur noch Süddeutsche, FTD und TAZ.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Ein großartiger Artikel. Bravo! Wallraf wird wohl leider damit leben müssen, dass ihm seine Gegner immer mal wieder mal einen Köter auf den Hals hetzen.Auch das er gelegentlich von Leuten beschossen wird macht seine Arbeit nicht schlechter. Ich glaube an ihn, und freue mich über jeden der ihm journalistisch gerecht werden will.

  • B
    Bastler4711

    ... und dann darf man auch die Solidargemeinschaft um Steuern und Sozialabgaben betrügen???

    Neue fürstliche Privilegiengesetze?

  • D
    Detlev

    Wieso machen so wenige Spiegel-Journalisten undercover-Einsätze in den miesesten Jobs Deutschlands?

    Warum geht ausgerechnet dieses super-wohlhabende Magazin so selten direkt, so nah dran, wie es geht? Warum leihert gerade dieses Magazin nur zu gerne Storys aus der Perspektive der Mächtigen runter, während Millionen Menschen mit schlechter Arbeit, miesen Arbeitsbedingungen und prekären Sozialversicherungen kämpfen?

     

    Das frage ich mich seit langem.

    Und diese Wallraf-Story wird eine Psyeudo-Enthüllungsstory werden, prognostiziere ich mal, denn im Kern haben Sie ihn nicht erwischt. Aber probieren geht beim Spiegel übers Studieren (und leider auch übers echte Recherchieren).

  • M
    Matthias

    Mir ist es ein Rätsel, wie man diesen Herren hier über GW schreiben lassen kann. Einen Biographen, der die weniger appetitlichen Seiten von GW in seinem Buch entweder übersehen oder unterschlagen hat. Dass so einer die Sache hinterher schön redet, ist ja wohl klar.

     

    Über was soll man da mehr die Stirn runzeln? Über den TAZ-Redakteur, der Herrn Gottschlich ein Forum gibt (gab es wirklich niemand besseren?) - oder über den Autor und seinen Versuch, die Sache klein zu reden?

  • K
    Kaboom

    Ach naja, der Spiegel. Das ehemalige Sturmgeschütz der Demokratie ist heute bekanntlich eine neoliberale Hurra-Brülltüte, eine etwas dickere BILD-Zeitung. Insofern war zu erwarten, dass dieses Blättchen eine solche Gelegenheit zur Schädigung der Person Wallraff nutzen würde.

  • KB
    Kees Berkouwer

    In Gespräche mit, und aus mir bekanntes Benehmen von Günter Wallraff, ist mir klar, dass Günter Wallraff

    ehrlich ist.

  • T
    Takoda23

    Was ihm der Spiegel doch vorallem als unseriösen Journalismus vorgeworfen hat, war das Unterschreibenlassen von Blankoaussagen über Arbeitsbedingungen durch Angestellte in Firma XY.

     

    Hat sich dieser eine Vorwurf, der wirklich gerade was die Bewertung als Journalist angeht, immanent ist, erhärtet oder entkräftet? Leider kein Wort davon im taz Artikel, deswegen einfach heisse Luft.

     

    Schade, hätte mich interessiert