Debatte Parlamentarismus: Das Ende der Demokratie
Die Grundlagen des parlamentarischen Systems erodieren zusehends. Die Gefahr geht dabei von seinen treuesten Wächtern aus.
![](https://taz.de/picture/210902/14/mazedonien_mohnfeld_rtr.jpg)
W elche Vorstellungen verbinden sich mit den Feinden der Demokratie? Vor dem geistigen Auge entstehen Bilder von zynischen Diktatoren und Putschisten. Niemand denkt an nette, umgängliche Leute, die sich selbst für aufrechte Demokraten halten. Das ist ein Fehler. Diejenigen, von denen derzeit höchste Gefahr droht, gehören nicht zu den politischen Verbrechern. Sie meinen es gar nicht böse. Viele Totengräber des Parlamentarismus sehen sich als seine treuesten Wächter.
Die parlamentarische Demokratie war niemals eine ungefährdete Staatsform, aber bisher ist sie nirgendwo lautlos und undramatisch abgeschafft worden. Das ändert sich gerade.
Spiegelstriche in öffentlich zugänglichen Dokumenten werden zu Waffen gegen das System. Es ist gar nicht mehr nötig, Geheimpapiere zu veröffentlichen. Die Lektüre der Tagespresse genügt für die Erkenntnis, dass die Grundlagen des Systems erodieren.
Das Haushaltsrecht – auch als Königsrecht des Parlaments bezeichnet – ist eine der wichtigsten Aufgaben der Abgeordneten. Was davon übrig bleibt, wenn es ernst wird, lässt sich angesichts der Krise in Griechenland beobachten.
Dort wurde das Budgetrecht bereits eingeschränkt. Ein Teil der Staatseinnahmen fließt auf ein Sperrkonto. Das war im Februar eine Bedingung der Euro-Finanzminister für weitere Gelder und entsprach auch und vor allem dem Wunsch der deutschen Bundeskanzlerin.
Es gibt immer gerade Wichtigeres
Außerhalb Griechenlands war die Erleichterung, eine drohende Staatspleite – zunächst – abgewendet zu haben, so groß, dass jede demokratietheoretische Kritik weltfremd wirkte. Es gab doch wahrlich Wichtigeres! Das ist übrigens ein wiederkehrendes Element, wenn demokratische Strukturen verändert werden: Es gibt immer gerade Wichtigeres.
Sollte infolge der griechischen Krise wirklich einmal Zahltag sein, dann bleibt auch vom Haushaltsrecht des Bundestages nicht viel übrig. Es ist dann nämlich einfach kein Geld mehr da für Gestaltung des Etats.
Die Festung Haushaltsrecht ist also geschleift. Aber das Parlament hat ja noch weitere, bedeutende Aufgaben. Es entscheidet über Krieg und Frieden. Noch.
Da Waffen teuer sind, teilen sich militärische Bündnispartner ihre Aufgaben. Die Idee ist übrigens so neu nicht, wie kürzlich auf dem Nato-Gipfel in Chicago suggeriert wurde, wo der Eindruck von Kostenbewusstsein und Innovationskraft erweckt werden sollte. Diese Arbeitsteilung wird bereits seit Jahren praktiziert und sie wird „Synergie“ genannt.
Früher wurde allerdings behauptet, das ändere selbstverständlich gar nichts daran, dass auch künftig der Bundestag autonom über die Teilnahme an jedem Militäreinsatz entscheiden dürfe und müsse. So lästig der so genannte Parlamentsvorbehalt allen deutschen Bundesregierungen stets gewesen ist, so wenig glaubten sie, einen Krieg ohne Zustimmung des Parlaments führen zu können. Auch das hat sich offenbar geändert.
Stichwort Bündnisfähigkeit
Das Stichwort heißt jetzt Bündnisfähigkeit, und um die gewährleisten zu können, darf angeblich niemand mehr ausscheren. Die deutsche Bundesregierung hat bereits signalisiert, am Parlamentsvorbehalt in seiner bestehenden Form nicht festhalten zu wollen. Jetzt müssen nur noch die Abgeordneten zustimmen.
Sie werden es schon tun. Hätte nicht Bundestagspräsident Norbert Lammert tapfer Widerstand geleistet, dann wäre ja kürzlich sogar eine Änderung der parlamentarischen Geschäftsordnung durchgewunken worden, die das Rederecht von „Abweichlern“ im Bundestag verkürzt hätte – also von Abgeordneten, die nicht die Meinung ihrer jeweiligen Fraktion vertreten. Dabei hat der Fraktionszwang keinen Verfassungsrang. Das Gewissen der Abgeordneten hingegen schon.
Die Rechte der Parlamentarier genießen in der öffentlichen Diskussion derzeit keinen hohen Stellenwert mehr. Ihre wichtigste Aufgabe besteht übrigens darin, die Regierung zu kontrollieren. Wie sollen sie das tun, wenn ihnen die meisten wirksamen Instrumente erst einmal genommen worden sind?
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschien kürzlich ein erhellender Kommentar. Der Autor kritisierte die SPD dafür, dass sie im Bundestag gegen eine Ausweitung des Mandats der Militäroperation vor dem Horn von Afrika gestimmt hat.
Wenn es den Sozialdemokraten ernst gewesen wäre mit ihrer Überzeugung, so meint der Verfasser, „dann hätten sie viel früher in befreundeten Staatskanzleien der EU-Mitgliedsländer ihren Argumenten Geltung verschaffen müssen“. Da ja fast immer Parteifreunde in irgendeinem anderen EU-Land an der Regierung seien, wäre das „eigentlich das Mittel der Wahl“, um einen einstimmigen Beschluss der EU-Regierungen zu verhindern. Statt „einer folgenlosen Demo im Bundestag“.
Demo im Bundestag
Hoppla. So weit sind wir also inzwischen. Wenn Abgeordnete im Bundestag das tun, wofür sie gewählt wurden – nämlich entsprechend ihrer politischen Überzeugung zu stimmen –, dann ist das eine folgenlose „Demo“. Vielleicht sollte die Opposition die Abgabe ihres Votums demnächst bei der Polizei als politische Kundgebung anmelden.
Wahr ist: Je enger die supranationale Verzahnung, desto geringer der Handlungsspielraum auf nationaler Ebene. Niemand hat je bestritten, dass die EU gravierende strukturelle Defizite im Hinblick auf die Demokratie aufweist. Aber stets wurde so getan, als ließe sich das schon regeln – irgendwann, wenn die Sonne mal ganz lange scheint. Als ob es eine neue Erkenntnis wäre, dass jede Exekutive gefräßig ist und ihre Macht vergrößern will. Das gilt auch für demokratisch gewählte Regierungen. Die Gewaltenteilung ist ja nicht zum Spaß eingeführt worden.
Diese Gewaltenteilung wird gerade abgeschafft. Möglich, dass Historiker unsere Gegenwart einmal das „postdemokratische Zeitalter“ nennen werden. Und sagen werden, dass der Systemwandel von der Bevölkerung achselzuckend hingenommen wurde. Das wäre traurig.
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