Debatte Konflikt in Ostkongo: Zehn Jahre für nichts
Erneut muss die Staatsmacht im Kongo vor Rebellen zurückweichen, die internationale Aufbaupolitik von zehn Jahren ist gescheitert. Es ist Zeit, neue Wege zu gehen.
G eht es jetzt tatsächlich zu Ende mit dem Kongo? Innerhalb weniger Tage hat es die junge Rebellenarmee M23 (Bewegung des 23. März) geschafft, alle Welt vorzuführen. Kampflos konnte eine Gruppe ostkongolesischer Militärs, die sich im April von der Regierung losgesagt hatten, eine Stadt nach der anderen einnehmen und Militärstützpunkte besetzen, als seien es Kindergärten, während sich die Regierungstruppen scharenweise absetzten, plünderten oder gleich in Uganda entwaffnen ließen.
Jetzt droht eine möglicherweise entscheidende Schlacht um die Millionenstadt Goma, wo selbst die massive Präsenz von UN-Elitekampftruppen kein Gefühl von Sicherheit mehr zu erzeugen vermag.
Bemerkenswert ist dabei weniger, dass es in einem so schlecht regierten Land wie dem Kongo bewaffnete Aufständische gibt. Das Außergewöhnliche an der jetzigen Situation ist vielmehr, wie wenig außergewöhnlich sie ist. Der Blitzkrieg der M23 ist der vierte seiner Art in den vergangenen sechzehn Jahren.
ist Leiter des Auslandsressorts und Afrikaredakteur der taz. Den Kongo besucht er regelmäßig, zuletzt im Juni. Im Verlag Brandes & Apsel erschien 2008 sein Buch „Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens“.
Wieder einmal ziehen es die besten Offiziere des Landes vor, in den Busch zu gehen statt in den Staat. Wieder einmal entpuppt sich die Regierungsarmee als ein Haufen verelendeter und verängstigter Banditen. Wieder einmal beweist sich, dass kampferprobte Militärs in ihrer eigenen Heimatregion nicht zu schlagen sind. Wieder einmal herrscht unter der betroffenen Bevölkerung in den Kriegsgebieten ohnmächtige Wut. Wieder einmal macht die ferne Hauptstadt Kinshasa alle Welt für das Desaster verantwortlich außer sich selbst.
Internationale Aufbauarbeit für nichts
Und all dies nach zehn Jahren milliardenschwerer internationaler Aufbauarbeit für einen funktionierenden Sicherheitsapparat, nach zehn Jahren Präsenz der schon seit einiger Zeit größten UN-Blauhelmmission der Welt, nach zehn Jahren Amtszeit des international hofierten Präsidenten Joseph Kabila, nach zehn Jahren Friedens- und Demokratisierungsprozessen mit den teuersten und logistisch kompliziertesten Wahlen, die es in einem Bürgerkriegsland je gab.
Zehn Jahre, in denen die große Hoffnung der Kongolesen auf eine bessere Zukunft erst geweckt wurde – die jetzt umso wuchtiger zerschellt. Woran soll ein Kongolese denn noch glauben?
Freie Wahlen? Gab es, zweimal, und sie endeten beim zweiten Mal 2011 in einem Wahlbetrug, den alle Welt hinter vorgehaltener Hand eingesteht, aber dessen Ergebnis – Kabilas Wiederwahl – alle Welt anerkennt. Friedensabkommen? Gab es unzählige, letztlich wurden sie nicht umgesetzt. Irgendwer griff immer wieder zu den Waffen, so wie jetzt die M23. Wiederaufbau? Gibt es, mit Milliardeninvestitionen und Geberprogrammen, an denen sich vor allem die Elite bereichert.
Kinshasa, Bühne für Ausbeuter
Der international geduldete Wahlbetrug von 2011 und die Niederschlagung aller Proteste dagegen waren wohl der Punkt, an dem viele Kongolesen endgültig Abschied nahmen vom Glauben an Demokratie und Rechtsstaat mit westlicher Unterstützung. Und sie nahmen auch Abschied von ihrem Staat, so wie er in den letzten zehn Jahren als Kunstgebilde über ein zerrissenes Land gestülpt worden war.
Seit sich der Rest der Welt im Kongo für Frieden und Demokratie einsetzt, dreht sich das Land in einem mörderischen Kreislauf aus auswärtig gefördertem Staatsaufbau und lokal genährter Instabilität. Wo Geld erwirtschaftet wird, sei es in den Minen Katangas oder an den Grenzposten Ostkongos oder im Atlantikhafen Matadi im Westen, wird damit der parasitäre und korrupte Zentralstaatsapparat in Kinshasa am Leben gehalten, in dem sich die Ausbeuter der jeweiligen Landesteile wiederum zur Schau stellen und um internationale Gelder und staatliche Gunst werben dürfen. Mit diesem Geld und dieser Gunst können sie dann im Namen von Demokratie und Frieden ihre lokalen Widersacher kleinhalten.
Es gibt darüber so viele Geschichten im Kongo wie lokale Welten. Zum Beispiel der Wahlkreis Kalehe, ein idyllischer Landstrich aus zerklüfteten, bewaldeten Bergen am Westufer des ostkongolesischen Kivu-Sees. Vor den Wahlen vom November 2011 steckte der Regionalleiter der Wahlkommission das Wahlbudget in die Tasche und verschwand. Sein Stellvertreter löste das Problem, indem er die lokalen Honoratioren zur Kasse bat und die Wahlergebnisse später gemäß den eingegangen finanziellen Beiträgen sortierte.
Wie durch ein Wunder ging aus der Parlamentswahl in Kalehe ein früherer Milizensprecher als Sieger hervor, der später als Umweltminister in Kinshasa Karriere gemacht hatte, jetzt wieder nach Hause zurückgekehrt war und sich rühmte, erneut lokale Milizen zu finanzieren. Ohne das ihm jemand Wahlbetrug nachweisen kann, erleben diese Milizen seit seinem Wahlsieg einen beispiellosen Aufschwung, es gibt in Kalehe ständig Massaker und Ströme verzweifelter Flüchtlinge.
Staat ohne Legitimation
Eine ähnliche Konfliktdynamik gibt es in vielen anderen Regionen des Kongo. Das ist der Boden, auf dem die M23 gedeiht und in dem der Staat jede Legimitation einbüßt, sich wieder als Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen. Die M23-Rebellion ist selbst nur ein Symptom dieser Probleme, keine Lösung. Ihr Verdienst ist es, den kongolesischen Kaiser nackt dastehen zu lassen.
Wie weiter? In Kongos reichster Provinz Katanga mit ihren fantastischen Kupfer- und Kobaltvorkommen wird längst über Sezession nachgedacht. Unterschriften werden gesammelt für eine Föderalisierung des Kongo ab 2016. Dahinter steckt, das geben Katanger freimütig zu, die Möglichkeit der Abspaltung. „Option Südsudan“ heißt das. Und wenn Katanger darüber mit anderen Kongolesen sprechen, ernten sie zunehmend Beifall, statt wie früher auf Ablehnung zu stoßen.
Im Grunde ging der kongolesische Staat schon vor knapp zwanzig Jahren unter, als die brutale und kleptokratische Mobutu-Diktatur unter ihren eigenen Widersprüchen zusammenbrach. Der sicherste Weg zur Macht im Kongo ist seitdem, Menschenleben auf dem Gewissen zu haben.
Der heutige Kongo ist zur Schaubühne für Verbrecher und skrupellose Machtpolitiker verkommen. Es ist Zeit, sich davon zu verabschieden, damit die Menschen einen Neuanfang wagen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus