DIE WAHRHEIT: Yps 2.0
Darwineum: Evolutionsmuseum im Rostocker Zoo eröffnet.
Mit Riesenbrimborium wurde am letzten Wochenende das sogenannte Darwineum eröffnet, eine 20.000 Quadratmeter umfassende Freizeitanlage auf dem Gelände des Rostocker Zoos, in der den Besuchern „die Entwicklung des Lebens auf der Erde als spannendes Abenteuer“ präsentiert wird.
Sogar ein Ururenkel des Namensgebers Charles Darwin war eingeflogen worden, damit auch ja keiner auf die Idee kommen würde, hier habe ein Provinzzoodirektor namens Udo Nagel mit 23 Millionen Euro Steuergeld sein höchstpersönliches „Nageleum“ hingeklotzt, ungeachtet der Frage, ob und wie sich das angeblich „modernste Edutainmentcenter entlang der Ostsee“ jemals amortisieren soll. Der Nürburgring lässt grüßen.
Das „Darwineum“ bietet dem Besucher für 16 Euro Eintritt eine Vielzahl an Schautafeln und musealen Staubfängervitrinen, die tatsächlich zu allem anderen taugen, als „die Geburt des Universums bestaunen, explodierende Sterne sehen und die Entstehung der Erde erleben“ zu können. Das Ganze ist ungefähr so spannend und pädagogisch wertvoll wie ein Yps-Heftchen aus den 1970ern.
Selbst die Kleinterrarien, in denen Schlammspringer, Blattschneiderameisen oder Pfeilschwanzkrebse besichtigt werden können, erinnern an die „Urtierchen“, die jedem zweiten Heft beigelegt waren. Ob es Yps in der DDR gab, ist nicht bekannt. Nagel jedenfalls, gebürtiger Rostocker, scheint in seiner Sicht der Dinge nicht viel darüber hinausgewachsen zu sein.
Auch die dem „Darwineum“ angeschlossene Dauerausstellung zur „Kulturellen Evolution des Menschen zwischen Höhlenmalerei und Kernfusion“ hat was von Yps, zumal der Besucher in einer Art „Forschungslabor“ selbst kleine Experimente durchführen kann.
Kernstück des „Darwineums“ ist eine sogenannte Tropenhalle, in der, folienüberdacht, auf 4.000 Quadratmetern eine Art Urwaldlandschaft nachgebaut wurde. Hier bekommt der Besucher weitere „Tiere der Evolution“ zu sehen (als gäbe es andere): Faultiere, Gibbons, Flughunde sowie je zwei Gruppen Gorillas und Orang-Utans. Tatsächlich dient das „Darwineum“ in erster Linie der Aufhübschung des Rostocker Zoos, dessen Tiergehege zu großen Teilen noch aus frühen DDR-Zeiten stammen.
Gerade die Menschenaffenanlage, deren Bewohner nun in das neue „Darwineum“ umziehen konnten, zählte zu den katastrophalsten ihrer Art: Die 60 Jahre alten völlig heruntergekommenen Käfige, in denen Gorillas und Orang-Utans – bis vor ein paar Jahren auch Schimpansen – dahinvegetierten, waren schon zu Zeiten der Wende völlig indiskutabel.
Anstatt jedoch die bestehenden Anlagen so weit zu modernisieren, dass sie den Tieren ein einigermaßen erträgliches Leben ermöglichen – alternativ hätte man auch sehr viel früher schon ein von den Baukosten her wesentlich günstigeres neues Affenhaus erstellen können –, wurde das prestigeträchtige Protzprojekt des „Darwineums“ anvisiert, bis zu dessen Fertigstellung die Tiere auf beengtestem Raum in vorsintflutlichen Gitterkäfigen ausharren mussten. Selbstredend wurde kein Cent mehr in die alten Anlagen investiert, das Wohlergehen der Tiere war nachrangig.
Die Frage, ob es ethisch überhaupt noch vertretbar ist, Menschenaffen in Zoos gefangen zu halten, wird im „Darwineum“ nicht gestellt, gleichwohl gerade die Bezugnahme auf Charles Darwin solche Fragestellung nahelegte. Während die bahnbrechenden Entdeckungen Darwins, mithin die gemeinsamer Vorfahren von Menschen und Menschenaffen, relativ schnell und so gut wie universell akzeptiert wurden, werden Letztere nach wie vor und unter ausdrücklichem Verweis auf ebendiese enge Verwandtschaft in Gitterkäfige gesteckt und zur Schau gestellt.
Der prinzipiell aufklärerische Wert des „Darwineums“ wird allein dadurch in sein Gegenteil verkehrt: der Mensch wird nicht als Teil der Evolution dargestellt, sondern – wie Religionen jeder Art dies seit je verkünden – als gottgleiche „Krone der Schöpfung“, befugt, mit Tieren zu verfahren, wie es ihm beliebt: „Machet sie euch untertan und herrschet …“ (1. Mose 1,28). Darwin würde sich ob dieser Schizophrenie – und ob der Usurpation seines Namens – wohl im Grabe umdrehen.
Das Rostocker „Darwineum“ hat mit evolutionsbiologischer Aufklärung und Wissensvermittlung nur wenig zu tun. Mit Blick auf die Großen Menschenaffen dient die Gesamtanlage allenfalls dazu, deren ethisch längst nicht mehr vertretbare Haltung und Zurschaustellung durch Einbindung in eine Art Evolutionsdisneyland zu kaschieren. Es passt ins Bild, dass der Besucher in kunstvoll gestalteten Dioramen und auf Schautafeln zu sehen bekommt, wie Flugsaurier in den Urwäldern der oberen Kreidezeit herumfliegen, während der real existierende Rostocker Stadtwald großflächig abgeholzt wurde, um Platz für das „Darwineum“ zu schaffen. Auch eine Art Evolution.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin