Chinesischer Bürgerrechtler Chen: In die „Sicherheit“ entlassen
Der chinesische Bürgerrechtler Chen harrte sechs Tage in der US-Botschaft aus. Nun ist er wieder bei seiner Familie – nachdem diese von Behörden bedroht wurde.
PEKING taz | Kurz nach der Ankunft von US-Außenministerin Hillary Clinton in China verließ Chen Guangcheng – derzeit bekanntester Bürgerrechtler Chinas – am Mittwoch die amerikanische Botschaft in Peking, in der er sechs Tage lang Unterschlupf gefunden hatte: Botschafter Gary Locke persönlich soll den 40-Jährigen in ein Krankenhaus der chinesischen Hauptstadt begleitet haben.
Unklar blieb zunächst, ob der Dissident die amerikanische Vertretung aus freien Stücken verließ: Gegenüber der Nachrichtenagentur AP sagte Chen am Abend (Ortszeit), chinesische Behördenvertreter hätten seine Familie für den Fall bedroht, dass er in der Botschaft bleiben wollte.
Clinton war extra zwölf Stunden früher als vorgesehen in Peking gelandet, um sich für den blinden Aktivisten einzusetzen. Am Donnerstag beginnen die 4. jährlichen Regierungsgespräche zwischen China und den USA über Wirtschafts- und Sicherheitsfragen. Die Flucht Chens in die US-Botschaft drohte diese Gespräche zu überschatten.
Der 1971 geborene Chen Guangcheng erblindet als Kind. In seiner Jugend macht er sich im Selbststudium mit den Gesetzen vertraut, um seine Ansprüche als Behinderter gegenüber den örtlichen Behörden in seiner Provinz Shandong durchzusetzen. Bald klärt er auch andere Dorfbewohner über ihre Rechte auf. Er verfasst Zeitungsartikel und beantwortet Hörerfragen im Radio.
Im Juni 2005 protestiert Chen im Namen von Frauen, die illegal von den Familienplanungsbehörden zur Abtreibung gezwungen wurden. Daraufhin entführen Shandonger Polizisten Chen aus der Wohnung eines Anwalts in Peking. Sie stellen ihn in seinem Heimatdorf unter Hausarrest.
2006 verurteilt ein Gericht Chen in einem umstrittenen Verfahren wegen "Aufhetzung einer Menge zur Störung des Straßenverkehrs" zu vier Jahren und drei Monaten Haft. Nach dem Ende seiner Haft stellen die örtlichen Behörden ihn in seinem Dorf Dongshigu wieder unter Hausarrest. Am 22. April 2012 gelingt Chen die Flucht, er findet Unterschlupf in der US-Botschaft in Peking.
Chen Guangcheng gilt als eine der Schlüsselfiguren der chinesischen Bürgerrechtsbewegung. Der Barfußanwalt wurde über die Grenzen des Landes bekannt, als er sich gegen Zwangsabtreibung im Zuge der chinesischen Ein-Kind-Politik einsetzte. Immer wieder gelang es ihm, die Willkür der Behörden anzuprangern, die ihn zuletzt in seiner Provinz Schandong im Hausarrest festhielten. Am 22. April gelang ihm die Flucht. Unterstützer brachten ihn in die US-Botschaft in Peking.
„Menschlicher Umgang“
Ein Mitarbeiter der US-Botschaft betonte am Mittwoch, dass es dem Wunsch des blinden Bürgerrechtlers entspricht, mit seiner Familie in China bleiben zu können. Chen ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Volksrepublik habe versprochen, mit dem Regierungskritiker „menschlich umzugehen“, sagte der US-Beamte. Er wiederum versicherte, dass die USA den Fall Chen weiter im Blick haben und prüfen werde, dass die chinesische Führung sich an die Zusagen hält.
Offiziell zeigte sich die chinesische Führung verärgert über die USA. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Liu Weimin, wetterte, die US-Botschaft in Peking habe „keine normalen Mittel“ angewandt, als sie den chinesischen Bürger Chen Guangcheng aufnahm.
Dieses Vorgehen bedeute „eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ und sei „inakzeptabel“. Er forderte von den USA eine Entschuldigung, eingehende Ermittlungen, Strafmaßnahmen für die Verantwortlichen und eine Garantie, dass sich eine solche Angelegenheit nicht wiederholt. Ein US-Diplomat antwortete: „Das war ein außerordentlicher Fall mit außergewöhnlichen Umständen.“
Fast eine Woche lang hatten die US-Diplomaten nicht zugegeben, dass sich Chen Guangcheng bei ihnen befindet. Die chinesischsprachige Presse berichtete zunächst nicht über den Fall. Im Krankenhaus wurde Chen nun mit seiner Familie zusammengebracht. Auch für ihre Sicherheit sei gesorgt, versprach Clinton.
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