Big Brother-Awards 2012: Negativpreis für Sachsens Innenminister
Der Negativ-Preis BigBrotherAward geht an Personen oder Institutionen, die den Datenschutz missachten. Dieses Mal trifft es den Innenminister, Softwarefirmen und eine Wolke.
BERLIN taz | Wer Daten besitzt, besitzt Macht. Eine Macht, die leicht missbraucht werden kann – und auch missbraucht wird. Wann immer Unternehmen und Behörden fahrlässig oder rechtswidrig mit den persönlichen Daten von Bürgern und Kunden umgehen, werden die Organisatoren des BigBrotherAwards aufmerksam. Auch dieses Jahr wurde der Negativ-Preis wieder an die dreistesten „Datenkraken“ aus Politik und Wirtschaft verliehen. „Es gab eine Menge 'kreativer' Preisträger, die sich wirklich was einfallen lassen haben“, sagt Jury-Mitglied Rena Tangens vom BigBrotherAwards-Veranstalter „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“ – kurz FoeBuD.
Zu diesen Kreativen gehört unter anderem der sächsische Innenminister Markus Ulbig, der sich dank der Dresdner Funkzellenabfrage am 19. Februar 2011 einen Award sichern konnte: Während 20.000 Menschen gegen einen Neonazi-Aufmarsch demonstrierten, sammelte die Polizei über eine Million Datensätze mit mehr als 55.000 identifizierten TelefonanschlussinhaberInnen. Der Skandal war durch die Berichterstattung der taz an die Öffentlichkeit gelangt. Die Verbindungsdaten wurden wenig später noch zweitverwertet und tauchten in Ermittlungen auf, “für die man sicher keine Funkzellenabfrage genehmigt bekommen hätte“, sagt Sönke Hilbrans von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V.. Markus Ulbig hingegen verteidigt die Maßnahme bis heute als rechtmäßig.
Ähnlich uneinsichtig zeigte sich der Tiefkühlhersteller Bofrost, der widerrechtlich auf den Computer eines Betriebsratsmitgliedes zugegriffen hatte. Dabei kam eine Stellungnahme mit Tipps für gekündigte Beschäftigte zu Tage, die ein Mitglied des Betriebsrates verfasst hatte. Da die Mail während der Arbeitszeit geschrieben worden war, wurde der Autor wegen „Arbeitszeitbetruges“ gefeuert. Bofrost bekommt den BigBrotherAwards allerdings auch stellvertretend für andere Firmen, denn: „Der Jury lagen in diesem Jahr noch mehrere ähnlich gelagerte Fälle vor“, betont Arbeitsrechtler Peter Wedde.
Markus Ulbig, sächsischer Innenminister: Funkzellenauswertung in Dresden
Die Cloud: US-Behörden greifen auf Cloud-Daten zu
Hans Peter Friedrich, Bundesinnenminister: Cyber-Abwehrzentrum
Blizzard Entertainment: Speicherung von Spieler-Verhalten
Gamma International: Spionagesoftware FinFisher
Bofrost: Ausforschung eines Betriebsratscomputers
Brita GmbH: „Schoolwater“-Wasserflaschen mit RFID-Funkchips
Ob 2011 ein gutes oder schlechtes Jahr für den Datenschutz gewesen sei, kann Rena Tagens nicht eindeutig sagen. „Wir hatten im letzten Jahr keine wirklich neue Qualität der Datenschutzverletzungen“, sagt sie, „dafür es gibt Fortschritte in der Vermittlung des Themas, wie auch die Diskussion um die Staatstrojaner gezeigt hat. Insofern war 2011 ein gutes Jahr.“
Trotz aller Verstöße sei die Situation in Deutschland auch immer noch verhältnismäßig gut, sagt Tangens: „Im Vergleich zu vielen anderen EU-Ländern haben wir eine Gesetzgebung, eine wachsame Öffentlichkeit und eine sehr große Bewegung für den Datenschutz.“
Problematisch ist nur, dass viele Menschen immer mehr von Datenschutzverletzungen betroffen sind, die außerhalb der eigenen Landesgrenzen geschehen. Der mysteriöseste Preisträger in diesem Jahr ist daher „die Cloud“.
Das englische Wort für Wolke ist eine Metapher für die Technik, die das sogenannte Cloud-Computing ermöglicht. Dabei werden private Daten wie Fotos, Musik oder Textdokumente nicht mehr auf dem eigenen Rechner gespeichert, sondern auf internationale Server geschoben, um so Speicherplatz zu sparen.
Gefährliche Wolken
Während viele Nutzer die Auslagerung von digitalem Speicherplatz bereits munter nutzen, weist Rena Tangens auf das Risiko hin, welches das Sichern persönlicher Daten etwa auf amerikanischen Servern birgt: „Microsoft räumte im Juni 2011 ein, europäische Daten aus seinem Cloud-Dienst Office 365 an US-amerikanische Regierungsstellen weiterzureichen.“ Ähnliches ist auch von Cloud-Anbietern wie Google und Apple zu berichten.
„Vielleicht“, sagt Tangens, „ist die Wolke ja auch das falsche Bild und es handelt sich eigentlich um eine alte Bekannte: Eine Datenkrake, die sich nur mit einer Wolke aus Tinte vernebelt.“ Der BigBrotherAward ging nicht an eine bestimmte Institution, sondern an die nebulöse Cloud selbst. Dies sei ganz bewusst geschehen, sagt Tangens: „Wir wollen nicht nur die Anbieter verantwortlich machen, sondern auch die Nutzer.“
Mit einem regelrechten Daten-Drachen haben es hingegen die Nutzer von Online-Games des „World of Warcraft“-Entwicklers Blizzard Entertainment zu tun. Wer in Fantasy-Welten Schätze sammeln und Orks besiegen will, muss erst einmal weitreichende Nutzungsbedingungen unterschreiben. In diesen steht unter anderem wörtlich, dass Spieler auf „alle Persönlichkeitsrechte, die sie ggf. in Bezug auf Nutzerinhalte haben“ verzichten.
Klarnamen gehen zu weit
Das ermöglicht es Blizzard, Chat-Unterhaltungen während des Spiels aufzuzeichnen, den Spielverlauf zu protokollieren und daraus detaillierte Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Als Blizzard 2011 jedoch auch noch alle Nutzer dazu verpflichten wollte, mit Klarnamen aufzutreten, wurde es den Spielern zu viel, und sie zwangen den Konzern durch energischen Protest, von seinem Vorhaben abzurücken.
Neben acht „tadelnden Erwähnungen“, die nicht mit einem Preis bedacht worden waren, gab es erstmals bei den deutschen BigBrotherAwards auch zwei lobende Erwähnungen, unter anderem für den Personalrat und den Intendanten Helmut Reitze des Hessischen Rundfunks (HR). Beide hatten sich gegen das elektronische Einkommens-Nachweissystem „Elena“ gewehrt. Reitze hatte 2011 die Elena-Datenübermittlung von Seiten des HR gestoppt und damit ein Bußgeld riskiert. „Elena“ wurde im Dezember 2011 eingestellt.
„Man sollte sich ständig über seine Rechte informieren und nicht immer nur den bequemsten Weg gehen“, sagt Rena Tangens, „wir müssen uns unsere digitale Mündigkeit immer wieder neu erarbeiten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag