Berlusconi-Partei am Ende: Spätrömische Dekadenz
Die Abgeordneten der Provinz Latium beweisen eine ganz eigene Auffassung von ihrem Job. Selbst in einem skandalumwitterten Land ist das ein Skandal.
ROM taz | Champagner und Austern, Häuser und Autos, Luxusfeiern und pompöse Partys: Franco Fiorito, ein 41-jähriger schwergewichtiger Provinzpolitiker, der gern Nadelstreifen mit weißem Hemd und offenem Kragen trägt, ist die Schlüsselfigur des neuesten Skandals in Italien. Die Abgeordneten der Region Latium sollen sich im großen Stil bereichert haben – auf Kosten der Steuerzahler.
Fraktionsgelder wurden dabei missbraucht. Fiorito war bis Anfang August Fraktionsvorsitzender der Berlusconi-Partei Popolo della Libertà (PdL – Volk der Freiheit) im Regionalparlament.
Das erlaubte ihm den Zugriff auf einen reich gefüllten Topf: Die Region Latium schießt, zusätzlich zur generellen Wahlkampfkostenerstattung, den Fraktionen pro Jahr etwa 16 Millionen Euro „für die politischen Aktivitäten der Abgeordneten“ zu – das macht über 200.000 Euro pro Mandatsträger.
Den Begriff „politische Aktivitäten“ interpretierten Fiorito und seine Kumpane allerdings auf ihre Weise. So gönnte der Fraktionschef sich im Jahr 2010 erst einmal einen schicken Sardinien-Urlaub mit der Freundin, Kosten: 29.000 Euro.
Dann schaffte er sich einen BMW-SUV für schlappe 88.000 Euro an; ein mit Fraktionsgeldern gekaufter Smart allerdings war nach seiner Aussage nicht für ihn bestimmt. Die überzeugende Ausrede des 170-Kilo-Mannes: In die kleine Kiste passe er „gar nicht rein“.
Zudem hatte Fiorito mehr als eine Million Euro auf Privatkonten überwiesen. Gegen ihn läuft jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung. Doch Fiorito konterte. Dutzende Rechnungen für Partys mit Austern und Champagner seien von seinen Fraktionskollegen saldiert worden.
Gastgeber Odysseus
Zum Inbegriff des Skandals wurde das Megafest, das der junge Abgeordnete Carlo De Romanis nach seiner Wahl vor zwei Jahren organisiert hatte. 2.000 geladene Gäste kamen zu der Motto-Party, verkleidet als antik-römische Maiden in knappen Tunikas oder als griechische (wahlweise römische) Krieger, der Gastgeber selbst trat als Odysseus auf.
Die spätrömische Dekadenz versprühenden Bilder der albern maskierten Jeunesse dorée der italienischen Hauptstadt gingen in den letzten Tagen durch alle Medien; De Romanis schwört, er habe die Sause seinerzeit selbst bezahlt, Fiorito dagegen behauptet, auch hier seien über eine Stiftung Fraktionsgelder geflossen, um die 20.000-Euro-Rechnung für das „politische Ereignis“ zu begleichen.
Am Montagabend zog die Gouverneurin von Latium, Renata Polverini, mit ihrem Rücktritt einen vorläufigen Schlussstrich um den Großskandal.
Es wird Neuwahlen geben
Erst im Frühjahr 2010 hatte Polverini an der Spitze eines Parteienbündnisses aus dem Berlusconi-Lager den Sieg über die vorher regierende Linke davongetragen – doch jetzt werden Neuwahlen unvermeidlich.
Polverini hatte zunächst ihren Kopf mit der These zu retten versucht, sie selbst habe „nichts gewusst“ – dann aber, bei ihrer Rücktritts-Pressekonferenz, sagte sie, es sei alles „noch viel schlimmer“, sie habe „unglaubliche Dinge erlebt“, und in den nächsten Tagen werde sie auspacken.
Schon jetzt darf als sicher gelten, dass die Berlusconi-Partei PdL diesen Skandal nicht überleben wird. Das „Volk der Freiheit“ war erst im Jahr 2008 aus der Fusion von Berlusconis Forza Italia mit der postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN) entstanden.
Keine Chance mehr
Deren Politiker steuern zunehmend auf einen Alleingang hin, und auch Berlusconi wird nachgesagt, er sehe keine Chance mehr für die PdL.
Stattdessen überlegt er, bei den nationalen Wahlen im Jahr 2013 mit verbündeten Listen zu kandidieren. Das Hauptwahlversprechen der neuen Kraft lautete dann, wenn man den Spekulationen glauben darf: Berlusconi will endlich in der italienischen Politik „aufräumen“.
Einen Partner für das „groß Reinemachen“ hätte er angeblich schon: Franco Fiorito will bei der nächsten Regionalwahl auch wieder antreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin