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Behördenwillkür in TunesienErst vergewaltigt, dann angeklagt

Polizisten vergewaltigen eine junge Frau. Nach ihrer Anzeige landet sie selbst auf der Anklagebank. Tunesische Bürgerrechtler sind schockiert.

Die Frauen in Tunesien müssen noch lange kämpfen für ihre Bürgerrechte. Bild: dapd

TUNIS/BERLIN afp/taz | Die junge Frau befand sich am späten Abend mit ihrem Freund im Auto, als drei Polizisten sich näherten. Sie verlangten die Papiere des Liebespaares, und während der Mann von einem der drei Beamten festgehalten wurde, vergewaltigten die anderen beiden die Frau. Das war am Abend des 3. September in Ain Zaghouan nahe der tunesischen Hauptstadt Tunis. Das Vergewaltigungsopfer erstattete Anzeige.

Am Mittwoch erschien sie vor Gericht – aber nicht als Opfer, sondern als Mitangeklagte. Denn die Staatsanwaltschaft wirft der jungen Frau „unsittliches Verhalten“ und „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ vor. Sie wurde öffentlich mit ihren Vergewaltigern konfrontiert, die in Untersuchungshaft sitzen. Dann wurde das Verfahren auf den 2. Oktober vertagt.

Laut Aussage der Polizisten befand sich die junge Frau im Auto in einer „unmoralischen Position“, berichten tunesische Medien. Dies habe sogar der Sprecher des Innenministeriums gesagt – allerdings hinzugefügt, dies rechtfertige keine Vergewaltigung. Der Sprecher Khaled Tarrouche sagte außerdem, die Anklageerhebung gegen das Opfer sei Sache der unabhängigen Justiz, und Vergewaltigungen durch die Polizei seien „Einzeltaten“, die weder organisiert noch allgemein vorkämen. „Polizisten sind vor allem auch Bürger, und wenn sie Fehler machen, wird das Gesetz angewendet“, erklärte er.

Die Empörung ist groß. Vertreter der Tunesischen Menschenrechtsliga LTDH, des Demokratischen Frauenverbandes ATFD und weitere Bürgerrechtler waren gestern im Gerichtssaal. Hlima Jouini von der LTDH sagte, das Gericht müsse den psychischen Zustand der Frau berücksichtigen. In einer öffentlichen Verhandlung und in Anwesenheit der Polizisten sei ihr nicht zuzumuten, die Vergewaltigung detailliert zu schildern.

Für Tunesiens Bürgerrechtsbewegung steht der Fall für alles, was im Land schiefläuft, seit die konservative Partei Ennahda 2011 die ersten freien Wahlen nach dem Sturz der Diktatur gewann und islamistische Salafisten immer öfter versuchen, ihre Moralvorstellungen mit Gewalt durchzusetzen. „Die vergewaltigte Frau ist das Symbol dieser Revolution“, heißt es in einer Twitternachricht: „Erniedrigt und gequält, und dann soll sie sich auch noch rechtfertigen.“

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6 Kommentare

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  • I
    Ivulkansturm

    Bitte keine voreiligen Schlüsse. Wenn mit "unsittlicher

    Position" gemeint ist, daß die beiden jungen Leute Sex im Auto (ohne Sichtschutz)hatten, dann hätten sie auch in einer lupenreinen christlichen Demokratie wie z.B. den USA eine Anklage zu erwaten, so bescheuert man das auch finden mag.

    Die Proteste von Frauenorganisationen und Menschenrechtsorganisationen zeigen eigentlich Fortschritte in der Demokratisierung und die Funktionsfähigkeit der Zivilgesellschaft. Kein Grund, den arabischen Frühling abzuschreiben.

    Positiv ist auch, daß die Polizeibeamten in Untersuchungshaft genommen wurden. Wie oft wird auch in christlichen Demokratien Polzeibeamten mehr geglaubt, als den Opfern.

  • S
    Schande!

    Ein eindeutiges Versagen des Demokratisierungsprozesses in Tunesien!

     

    Eine moderate muslimische Partei kann sich noch nicht vorstellen können, dass tunesische Frauen weiterhin nach Mitternacht unterwegs sein können. Solange die Staatsanwälte eine politische Farbe innehaben, wird Tunesien keinen Vorschritt erreichen.

     

    Diese Szene und der Angriff der Salafisten auf die amerikanische Botschaft fassen den Zustand von Tunesien zusammen.

  • F
    frank

    Gibt es jetzt auch schon Bildzeitungsniveau in der taz? Offenbar und obendrein eine weitere Ohrfeige für Vergewaltigungsopfer, die auch hierzulande durch den Status der Täter sowie ihrer Staranwälte zu Angeklagten werden können. In welchem Land leben Sie Herr Johnson?

  • A
    Ant-iPod

    Für ein Volk, das Jahrzehntelang unterdrückt und klein gehalten wurde, das durch eine kleine Machtclique autokratisch beherrscht und in seiner Freiheit beschnitten wurde, finde ich es ein sehr bemerkenswertes und ermutigendes Zeichen, dass die Menschen sich als Bürger verstehen und diesen Fall in der Öffentlichkeit anprangern.

    Es ist kaum 60 Jahre her, da hätte auch in Deutschland einer Frau ähnliches passieren können, dass sie erst vergewaltigt wird und man vor Gericht plötzlich sie und ihr Verhalten in Frage stellt.

    Insofern halte ich es weder für ein "islamisches", noch für ein "arabisches" Problem als solches, sondern für eine Frage der gesellschaftlichen Entwicklung.

     

    Hier hat das Volk Tunesiens den richtigen Weg eingeschlagen und das finde ich ermutigend.

     

    Es bleibt zu wünschen, dass die Bürger sich mit ihren Interessen durchsetzen und das eigentliche Ziel der Revolution auch Schritt für Schritt umsetzen können.

     

    Der vergewaltigten Frau wünsche ich eine bessere Zukunft, ein gerechtes Urteil für ihre Peiniger und das sie durch die Öffentlichkeit nicht belästigt wird. Was ihr an dem Abend und vor Gericht widerfahren ist, war mehr als schlimm genug!

  • BG
    Bernd G.

    Erschreckend.

  • J
    Jörn

    Ohne die Schwere der Straftaten gleichstellen zu wollen. Auch in Deutschland ist es "üblich", dass Opfer von Polizeigewalt selbst angeklagt werden. Wer z.B. geschlagen wird, wird wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verfolgt.

    Dadurch wird das Opfer eingeschüchtert und ist im Endeffekt froh, wenn das Verfahren insgesamt eingestellt wird.