Befragung der Neu-Mitglieder: Grünen-Neulinge lieben Rot-Grün
Die grüne Basis hält nichts von Regierungsbündnissen mit der Union - zu wenige Überschneidungen. Allerdings wollen künftig viele CDU-Fans grün wählen.
BERLIN taz | Frisch in die Partei eingetretene Grüne sind konservativ, wenn es um Machtoptionen geht. Nur eine Koalitionsvariante bekommt in einer internen Befragung von Neumitgliedern hohe Zustimmungswerte - die mit der SPD. "Die Präferenz der neuen Mitglieder ist eindeutig Rot-Grün oder eben Grün-Rot", sagte Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke der taz. Nur diese Koalition werde durchgängig positiv bewertet. "Allen anderen stehen die Mitglieder skeptisch gegenüber."
Die Grünen hatten in einer repräsentativen Erhebung neue Mitglieder nach ihrer Meinung zu verschiedenen Themen befragt - gut 4.000 füllten den Fragebogen vollständig aus. Die Ergebnisse, die der taz vorliegen, wurden jüngst vom Parteirat diskutiert. Für experimentierfreudige Grünen-Strategen sind sie ein Dämpfer: Andere Varianten mit grüner Beteiligung bekommen negative Wertungen von den Neumitliedern, auch hier wird eine klare Verortung links von der Mitte deutlich. Rot-Rot-Grün ist deutlich beliebter als Schwarz-Grün, Ampel oder Jamaika, bei denen CDU oder FDP beteiligt wären.
Führende Grüne leiten daraus ab, dass die Partei bei schwarz-grünen Bündnissen unter einem starken Rechtfertigungsdruck gegenüber der Basis stehe. Lemke sagt: "Schwarz-Grün ist nichts, was unsere Mitglieder wollen. In so einer Konstellation müsste die grüne Handschrift in den zentralen Fragen wirklich sehr deutlich zu erkennen sein."
Mit diesem Problem kämpft derzeit Renate Künast in Berlin. Die Grünen-Fraktionschefin trat mit dem ehrgeizigen Ziel an, Klaus Wowereit (SPD) als Regierende Bürgermeisterin abzulösen. Nach aktuellen Umfragen ist das für die weit hinter der SPD liegende Grüne nur möglich, wenn sie auf Grün-Schwarz setzt.
900.000 CDU-Fans wählen jetzt grün
Die Befragung der Neumitglieder ergab außerdem, dass ein knappes Fünftel früher schon einmal Mitglied einer Partei war. Die meisten von ihnen sind von der SPD zu den Grünen übergelaufen: Die Grünen kalkulieren insgesamt mit 800 bis 1.000 Ex-Genossen, die gewechselt haben.
Aufschlussreich ist auch eine interne Analyse der Wählerwanderung. Sie untersucht, aus welchen politischen Lagern sich das Plus der Grünen in den Umfragen seit der Bundestagswahl 2009 speist. Die Infratest-Untersuchung, die der taz ebenfalls vorliegt, zeigt, dass viele Sympathisanten von CDU und FDP in Umfragen angeben, künftig Grün wählen zu wollen.
Die Forscher gehen von Anfang April bis Ende Juli von einem Zugewinn von 5,1 Millionen Stimmen gegenüber September 2009 aus. Von der CDU wanderten 900.000 herüber, von der FDP 730.000 - mehr als von der Linkspartei. Zwar sind Wählerwanderungen auf Basis von Umfragen nur bedingt aussagekräftig. Aber die Zahlen deuten darauf hin, dass die Grünen bei anstehenden Wahlen in der Klientel von Schwarz-Gelb wildern könnten. Gerade die Wechselbereitschaft der FDP-Wähler wird intern als neu gewertet. Es existiert also ein Widerspruch: Während die Grünen-Basis Rot-Grün will, ist die Wählerschaft sehr flexibel.
Die Grünen können sich - anders als andere Parteien - über ein kontinuierliches Wachstum freuen. Im September 2009, bei der letzten Bundestagswahl, verzeichneten sie bundesweit gut 47.000 Mitglieder, aktuell gut 58.000.
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