Ausstellung „Besser scheitern" in Hamburg: Das Vergebliche als Antrieb
In der Hamburger Kunsthalle rütteln Videokünstler in der Ausstellung „Besser scheitern“ am Erfolgszwang unserer Gesellschaft.
Richard Sennett hat das Scheitern als das große Tabu der Moderne bezeichnet. Damit hat er ziemlich recht, zumal auch der Versuch, das öffentliche Scheitern – Depression und Suizid von Fußballstars etwa – zu integrieren, gescheitert ist. In anderen Worten: Das Akzeptanzproblem ist gesellschaftspolitisch nicht gelöst und von einer Umwertung des Begriffs kann keine Rede sein. Rare Ausnahme waren schon immer die Künstler, die – neben den Theologen vielleicht – verstanden, dass Scheitern lediglich ein Umweg ist und nicht das ultimative Knock-out.
Folgerichtig also, dass die Hamburger Kunsthalle ihre aktuelle Film-Video-Ausstellung „Besser scheitern“ genannt hat, was man sowohl komparativ als auch appellativ verstehen kann. Und obwohl die Schau offiziell von den 1960er Jahren bis heute reicht, stammen die Exponate interessanterweise fast ausschließlich aus den 1970er und den 1990er/2000er Jahren – der Zeit des Fluxus und jener von IT-Blase und Finanzkrise.
So substanziell verschieden wie die Epochen sind auch die Exponate. Die 1970er, das war Performance, irgendwo zwischen Fluxus und noblem Dilettantismus. Das waren ironisch-philosophische Versuchsanordnungen von Künstlern wie Bas Jan Ader, der sich samt Stuhl aufs Dach setzte, sehr langsam abrollte und gemächlich in die Büsche fiel. Der ein anderes Mal mit dem Rad auf eine Gracht zufuhr, um stoisch hineinzufallen.
Ein Spiel für Wissende
Das Scheitern – Probe und Auftragswerk. Der Fall – eine Harmlosigkeit, bewusst unauffällig inszeniert, ein Spiel für Wissende. Einziger Zynismus dabei: Bas Jan Ader scheiterte höchstpersönlich, als er von einer Atlantik-Überquerung mit dem Segelboot nicht wiederkam.
Doch zum Tragisch-Biografischen später. In erster Linie will die Ausstellung das Scheitern in und an der Kunst zeigen. Und das tut sie etwa mit einem Marina-Abramovic-Video, in dem sie sich bürstet, bis die Frisur zerzaust und das Gesicht verzerrt ist: „Kunst und Künstler müssen schön sein.“ So heißt der Film – und das gesellschaftliche Postulat, gegen das sich die Künstlerin wendet und an dem sie, hoch artifiziell inszeniert, scheitert; eine Prise Feminismus inbegriffen.
Andere probieren vergebens die Kommunikation mit dem Betrachter – wie Vito Acconci, der in Gulliver-großer Grimasse Unverständliches spricht. Oder Bruce Naumans Video-Köpfe, die „Feed me, help me – hurt me“ schreien und sich so schnell drehen, dass man ihnen nicht in die Augen sehen kann. Geschweige denn mit ihnen reden.
Die Geburt der Idee aus der Panne
Einziges 1980er-Jahre-Exponat ist das Video „Der Lauf der Dinge“ von Fischli & Weiss, die eine Endlosgeschichte aus einander bewegenden Alltagsdingen erzählen. Die Frage dahinter: Ist es Zufall – oder hat es jemand so arrangiert, das jede Panne letztlich Konstruktives gebiert? Eine Parabel auf das Leben mit einem Schuss Theodizee.
So weit, so bekannt, aber was haben die Künstler der 1990er und 2000er diesen Deutungen voraus? Oder ist das schon wieder die falsche, weil Fortschrittsdynamik implizierende Frage? Vermutlich, denn die jüngeren Werke entwickeln die Versuchsanordnungen ihrer Vorgänger nicht weiter. Sie teilen auch nicht deren Bedürfnis, spielerisch über das Scheitern zu sinnieren.
Die Exponate der 1990er und 2000er sind radikaler und pragmatischer: Sie beziehen ihr Material aus dem Leben, in dem man ganz konkret scheitert. Gillian Wearing etwa drehte ein Video mit einer Alkoholabhängigen, die aber während des Projekts starb. Die Texte musste später die – trauernde – Zwillingsschwester der Toten einsprechen. Sie erzählt vom Scheitern an der Sucht und an der Suche nach Mutterliebe.
Theorie scheitert an Biografie
Christoph Schlingensief hat den realen Sturz eines Schauspielers bei der Probe „Siegfrieds Sturz“ genannt, in einen Endlos-Loop gebracht und zum Anlass für eine Reflexion über das „Siegfriedhafte“ unseres Landes genommen. 2000 gründete er die Partei „Scheitern als Chance“ und scheiterte später selbst – am Leben. Hier platzt – wie schon bei Bas Jan Ader – das brutal Biografische in die Schau: das einzig endgültige und unvermeidliche Scheitern, nämlich das am biologischen Überleben.
Auf dieser Folie wird alles zu Sisyphusarbeit: das vergebliche Bemühen von Francis Alys’ rotem VW, einen Hügel hinaufzufahren. Jeanne Fausts Versuch, im Video das Misstrauen zweier Interviewpartner aufzubrechen. Es sind Kreisbewegungen – nur dass der Loop diesmal inhaltlich statt formal ist. Aber die Zwecklosigkeit bleibt – es sei denn, man taufte sie Zweckfreiheit, Selbstzweck gar und deutete sie als osmotisches Leck zur Kreativität.
Möglich ist das nach dem Besuch dieser Schau. Und letztlich ist es das, was diese vielen scheinbaren Sackgassen suggerieren: dass ein objektives Scheitern abgesehen vom Tod nicht existiert. Und dass Sisyphus und seine modernen Urururenkel womöglich Freude haben an ihrem vordergründig absurden Tun. Am Experiment und dessen ungewissem Ausgang. Dieses Überraschende zu schätzen und das Scheitern als Phänomen nicht nur in der Kunst aufzuwerten: Dahin will einen die Hamburger Schau geleiten. Und sie macht ihre Sache gut.
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