Aus dem taz Buch (5): Die Grünen : „Was hättet ihr denn gemacht?“
Früher wohnten tazlerInnen und Grüne auch mal in der gleichen WG. Spätestens mit Rot-Grün 1998 trennten sich die Wege.
von ULRICH SCHULTE
Eigentlich ist es ja ganz einfach. Die taz ist eine Zeitung, die Grünen sind eine Partei. Wir von der Zeitung beobachten, schreiben und kommentieren, die von der Partei machen Politik. Fertig. Aber so einfach ist es eben nicht. Es gibt immer wieder Erlebnisse, die mich, der ich nun schon einige Jahre über die Grünen schreibe, über das Verhältnis von taz und Grünen nachdenken lassen.
Ich sieze PolitikerInnen zum Beispiel aus Prinzip, manche Grüne verstehen das nicht. Ein nicht unbekannter Europapolitiker verwickelte mich in eine Grundsatzdiskussion darüber, ob meine Duz-Verweigerung für eine allgemeine Verspießerung der taz stünde. Auf mein Argument, ein bisschen Distanz sei doch ganz angenehm und ich müsste vielleicht mal böse über ihn schreiben, entgegnete er. „Kein Problem. Dann sagen wir: Du Arschloch!“
Da ist der wichtige Grüne, der bei einem dieser Berliner Sommerfeste aus heiterem Himmel die taz und ihre „neoliberale Berichterstattung“ beschimpft. Oder der Pressesprecher, der noch ein Jahr später spitz anmerkt, die taz habe ja damals ein Foto gedruckt, auf dem der Fraktionsvorsitzende unvorteilhaft zur Geltung kam. Oder der Ministeriumsmitarbeiter, der mich nach einem Text, in dem ich den Grünen vorwarf, öffentlicher Kritik zu schnell nachzugeben, vorwurfsvoll fragt: „Was hättet ihr denn gemacht?“ Momente sind das, in denen ich mir vorkomme wie in einer echten Beziehung.
Die Grünen und die taz, das ist etwas Besonderes. Da sind Gefühle im Spiel, Wut, Sympathie, manchmal auch unrealistische Erwartungen. Da denken die einen, die anderen müssten doch. Oder könnten zumindest.
Der entscheidende Schub
Ganz wichtig ist bei einer Beziehung natürlich die gemeinsame Geschichte. Nichts verbindet so wie geteilte Erfahrungen. Die taz und die Grünen sind Zellhaufen, die in der gleichen Ursuppe entstanden. Januar 1978, im nüchternen Betonbau der Technischen Universität in Berlin findet der Tunix-Kongress statt. Fast 20.000 Leute aus der linken Szene diskutieren über eine bessere Welt, Feministinnen sind dabei, Ökos und Landfreaks, Schwule und Lesben, enttäuschte Maoisten. Es herrscht Aufbruchsstimmung.
Hans-Christian Ströbele stellt im überfüllten Auditorium Maximum die Idee einer linken Tageszeitung vor, Abgesandte der „Libération“ aus Paris und der „Lotta continua“ aus Rom erzählen von ihren Erfahrungen.
Das Projekt, so erinnert es taz-Mitgründer Michael Sontheimer, stieß „auf erregte Zustimmung“. Der Kongress, ein Festival der linksalternativen Szene, liefert den entscheidenden Schub. Danach bilden sich Initiativgruppen in 30 Städten, die taz erscheint ab April 1979 täglich. Tunix ist nicht nur der Startschuss für die taz, sondern auch ein Ideenlabor für die Grünen. „Grünes Gründungsfieber“, titelt die taz auf Seite 1, als sich die Partei wenig später, im Januar 1980, in Karlsruhe gründet.
Gegensätze ziehen sich an? Das ist ein Mythos. Forscher, die Paarbeziehungen untersuchen, sagen, dass Gemeinsamkeiten entscheidend seien. taz und Grüne haben nicht wenige. Das Chaos der Anfänge, unerfüllbare Ziele, die DNA ist ähnlich. Die eine will die Stimme der Gegenöffentlichkeit sein, die anderen ihr politischer Arm. Sozial, ökologisch, basisdemokratisch und gewaltfrei. An den Küchentischen der linken WGs der Republik wird die taz studiert – und die Politik der Grünen diskutiert, die sich damals als Anti-Parteien-Partei sehen.
Nach der Verliebtheitsphase
Ströbele ist eine Schlüsselfigur. Mit abgewetzter Ledertasche, Jeans und Holzclogs spielt er mehrere Rollen für die taz, wie sein Biograf Stefan Reinecke schreibt. „Er ist Spiritus Rector des Projekts, Mädchen für alles, Caterer, ruhender Pol, Justitiar der in Rechtsfragen ahnungslosen Redaktion, entschlossener Verfechter der Basisdemokratie.“ Ströbele berät die tazler, die damals noch in der Berliner Wattstraße die Zeitung produzieren. Schlichtet zwischen zerstrittenen Grüppchen. Oder bringt mit seinem VW-Passat Frühstück vorbei, Gouda, Brötchen, Joghurtpaletten. Ströbeles Leidenschaft für die taz ist ein Sonderfall und nicht für alle Grünen verallgemeinerbar.
Aber wahr ist auch, dass die Grenzen zwischen Journalismus und Politaktivismus in den Anfängen verwischen. tazler halten nicht viel von Distanz, mehrfachen Quellenchecks und anderen journalistischen Regeln. tazler und Grüne wohnen zusammen in WGs, treffen sich abends in der Kneipe. Ein Innenpolitik-Redakteur ruft morgens öfters grüne Entscheider an, um Thesen auszutauschen. Der Jour fixe beeinflusst die Kommentarlinie nicht unwesentlich.
taz und Grünen geht es wie einem Paar nach der Verliebtheitsphase. Der Euphorie folgt Ernüchterung. Beide, Zeitung und Partei, professionalisieren sich. Die taz gibt das Prinzip auf, dass alle alles machen. Sie zieht Hierarchien ein, 1984 leitet erstmals ein Chefredakteur die Konferenz. Die RedakteurInnen lernen das journalistische Handwerk. Die Grünen verabschieden sich vom Rotationsprinzip, weichen die Trennung von Amt und Mandat auf – und bereiten sich aufs Regieren vor.
Und, natürlich, wie in jeder Beziehung wird gestritten. Das Politische liegt der Zeitung ebenso am Herzen wie der Partei. Manchmal geht es um tiefe Überzeugungen, dann wird es schmerzhaft. Als die Grünen 1998 in Gerhard Schröders Regierung eintreten, ist bereits absehbar, dass sie über die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg entscheiden müssen. Der Sonderparteitag in Bielefeld, die gellenden Pfiffe der Kriegsgegner, der Farbbeutelwurf, Joschka Fischers Rede. Die Grünen verabschieden sich unter Qualen vom Pazifismus.
Eine Parteizeitung der Grünen?
Auch in der taz wird erbittert gerungen. Bettina Gaus, damals Leiterin des Parlamentsbüros, verurteilt in scharfen Kommentaren den Kriegseinsatz, Erich Rathfelder aus dem Ausland hält dagegen. Fischer, der charismatische Alphamann der Grünen, weiß um seine Attraktivität für Medien. Der grüne Außenminister stellt vor einem taz-Interview die Bedingung, dass seine Kritikerin nicht dabei sein darf. Dass die taz einwilligt und Gaus im Regen stehen lässt, ist einer der blamableren Momente ihrer Geschichte.
Ein bis heute bemühtes Klischee ist, dass die taz eine Parteizeitung der Grünen sei. Das aber ist sie nie gewesen, schon in den Anfängen war harte Kritik üblich, seit Langem gilt sowieso: Interesse bedeutet keine Distanzlosigkeit.
Zeitung und Partei spiegeln auf ihre Weise die Debatten des linksalternativen Milieus. Sie fechten die Konflikte aus, die ihre Leute interessieren. Jürgen Trittins Atomkonsens, die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die Agenda 2010. So, wie es bei den Grünen Realos und Linke gibt, gibt es auch in der taz diejenigen, die sagen, die Grünen holten in der Regierung das Bestmögliche heraus. Und diejenigen, die über die „Fischerchöre“ lästern. Die KritikerInnen finden es fürchterlich, wie die Grünen die neue Mitte für sich entdecken. Als seien sie endlich angekommen, philosophieren ihre Spitzenleute mit Perlenkette oder Seidenkrawatte auf Dachterrassen in Berlin-Mitte darüber, wie Arbeitslose zu behandeln seien.
Die Zeitung der Delegierten
Gibt es auch Kränkungen? Aber ja, mannigfaltige. Fischer, Trittin und Co. legen sich mit dem Regieren eine neue PR-Strategie zu. Die taz, bis dahin gerne kontaktiert, ist zu klein für die gewachsene Bedeutung. Fortan erzählen die Damen und Herren Minister die neuesten Drehs der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen oder dem Spiegel. Nicht schön für die taz, am Ende aber verständlich. Informationen mit größtmöglicher Wirkung zu platzieren ist nur professionell, und konservative Medien eignen sich dazu, bürgerliche WählerInnen zu umwerben. Eins allerdings wird sich nie ändern: Vor Parteitagen rufen Spitzengrüne gerne die taz an, um ihre Botschaften loszuwerden. Der Funktionärsmittelbau, wissen sie, tickt linker als die Parteispitze. Die taz ist die Zeitung der Delegierten.
An dem obligatorischen Vor-Parteitags-Anruf hat sich bis heute nichts geändert. Doch auch die Grünen leiden unter der taz. 2001, als ein Sonderparteitag das Ja zum Afghanistan-Einsatz abnickt, druckt das für Satire zuständige Wahrheit-Ressort Claudia Roth auf die Eins – in Ballkleid und Stola. Überschrift: „Die Gurke des Jahres“. Roth muss am selben Tag in Rostock auf die Bühne. Sie weint, als sie die Zeitung sieht.
Wie kalt die taz auf die Grünen blicken kann, beweist sie im Wahlkampf 2013. Eigentlich sympathisiert sie mit dem linken Kurs des Spitzenkandidaten Trittin, der moderate Steuererhöhungen für Besserverdiener und Investitionen in die ökosoziale Wende vorsieht. Für die Grünen läuft es schlecht. Sie leiden unter den Diskussionen über den Veggieday und den Verstrickungen mit Pädophilen in den 80er Jahren.
Bundestagswahl 2013
Die Partei beauftragt ein Forscherteam vom Göttinger Institut für Demokratieforschung damit, die Parteigeschichte aufzuarbeiten. Als der Politologe Franz Walter herausfindet, dass Trittin 1981 das Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) in Göttingen presserechtlich verantwortete, gerät die taz in eine Zwickmühle. Was tun mit der brisanten Information?
Die AGIL plädierte in dem Programm für eine strafrechtliche Freistellung von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen, die ohne Anwendung und Androhung von Gewalt zustande kamen. Walter bietet kurz vor dem Wahlsonntag einen Text an. Die taz entscheidet sich, den Text zu drucken, wissend, dass dies den Grünen und ihrem Spitzenkandidaten schaden wird – und dass Trittin mit den Pädophilen nichts am Hut hatte. Die Fakten, so die Einschätzung, waren trotzdem eine Geschichte. Grüne sind bis heute der Ansicht, dass sie ihr 8,4-Prozent-Debakel bei der Wahl 2013 auch der taz zu verdanken haben.
Trittin tritt ab, andere übernehmen. Sein Gegenspieler Winfried Kretschmann, Oberrealo und Ministerpräsident in Baden-Württemberg, prägt den neuen Kurs. Er wird in der taz als Staatsphilosoph gelobt, der endlich gesellschaftliche Mehrheiten organisiert. Und er wird für seine laxe Haltung gegenüber der Autoindustrie oder seine Ignoranz gegenüber Verteilungsfragen scharf kritisiert. Wenn sich ein tazler eine grüne Position zu eigen macht, kann man sicher sein, dass ein anderer bald darauf etwas zu Nörgeln findet. Ein Phänomen zieht sich nämlich durch. In der taz gibt es so viele Meinungen über die Grünen, wie es MitarbeiterInnen gibt. Jeder tazler ist im Zweitjob Grünen-Experte.