Aufschwung in Mogadischu: Tanzen, hämmern, hoffen
Mogadischu befindet sich nach 20 Jahren Bürgerkrieg in einer Phase des Wiederaufbaus. Eine Enklave in einem zerstörten Land. Viele Somalier kehren aus dem Ausland zurück.
MOGADISCHU taz | Die Bässe wummern durch die Nacht. Der Klang tanzbarer Musik ist geradezu elektrisierend, so ungewohnt ist das Geräusch. Seit über 20 Jahren wird in Mogadischu gekämpft, zuletzt gegen die islamistische Al-Shabaab-Miliz, die zum Terrornetzwerk al-Qaida gehört.
Jahrelang waren in der somalischen Hauptstadt viele Straßen selbst tagsüber menschenleer. Das Stadtzentrum rund um die Ruinen von Bankgebäuden und Luxushotel war verlassen, Gestrüpp überwucherte die zerstörten Gebäude. Nur Hyänen und andere wilde Tiere lebten hier noch.
Und nun diese Musik. Im Näherkommen werden neben den Bässen Einzelheiten erkennbar. Westliche, arabische und somalische Rhythmen lösen einander ab. Die Party findet hinter einer Mauer statt.
Am Eingang werden die Taschen kontrolliert, drinnen noch einmal mit Metalldetektoren abgesucht. Denn obwohl die Al-Shabaab-Miliz ihre Stellungen in Mogadischu im letzten Sommer weitgehend räumen musste, blieben einige Kämpfer in der Hauptstadt zurück.
Ihnen gelingt es regelmäßig, Selbstmordanschläge zu verüben. Außerdem ist die halbwegs sichere Zone nur klein. Die meisten Gebiete im Umland sind immer noch in der Hand der Islamisten.
Fußball war verboten
„Wir veranstalten ein- bis zweimal im Monat solche Partys“, sagt Mohammed Abdi. Ihm gehört das traditionelle somalische Restaurant, das eine Nacht lang zur Disco wird.
Abdi hat eine große Plastikplane auf dem sandigen Boden des „Speisesaals“ ausgebreitet, die jetzt als Tanzfläche dient. Dicht an dicht gehen Männer und Frauen mit den Rhythmen mit, lassen sich vom Spiel der Körper treiben. Einige flirten beim Tanzen, etwas verschämt zwar, aber doch unverkennbar.
Solche Abende waren noch vor Monaten völlig undenkbar. Als die Al-Shabaab-Miliz die Hauptstadt militärisch kontrollierte, waren nicht nur Musik und Tanzen verboten, sondern auch andere „weltliche“ Vergnügen wie Fußballspielen oder Fernsehen. Immer noch ist eine Veranstaltung, die das ganze Viertel beschallt, ausgesprochen gefährlich.
Unerträgliches Misstrauen
Mohammed Abdi spricht mit leicht amerikanischem Akzent, obwohl er schon vor elf Jahren nach Somalia zurückgekehrt ist. Er verließ die USA kurz nach dem 11. September, weil er das Misstrauen unerträglich fand, das ihm nach dem Anschlag auf das World Trade Center entgegengebracht wurde.
„Egal ob Taxifahrer oder Büroangestellter, man konnte jederzeit verhaftet werden oder unsere Telefone wurden abgehört“, berichtet er. In Minnesota hatte er IT-Technologie studiert, gut verdient und sich ein Haus gekauft. Das verkaufte er, um das Geld in Somalia investieren zu können. Allerdings gingen viele seiner Projekte im Chaos der ständig wechselnden Bürgerkriegsfronten unter.
Aus dieser Erfahrung heraus bleibt er auch jetzt noch vorsichtig, obwohl die Stadt seit Monaten von einer Welle des Optimismus erfasst wird. Statt viel Geld in ein einziges Projekt zu investieren, hat er lieber mehrere Standbeine, damit er nicht alles verliert, wenn in einem seiner Geschäfte eine Bombe hochgeht.
Kostenfaktor Sicherheit
Außer dem Restaurant gehören ihm ein Internetcafé, eine Apotheke, ein Lebensmittelladen und eine mobile Eisdiele. Bis zu drei Viertel seiner Einnahmen gebe er nach wie vor für die Sicherheit aus.
Damit meint er nicht mal die Wächter, die seine Gäste mit Metalldetektoren auf Sprengstoffgürtel, Waffen oder Bomben absuchen. Sondern Informanten, die er dafür bezahlt, dass sie sich umhören und berichten, „was die Al-Shabaab-Milizionäre vorhaben, ob sie zum Beispiel ihre Taktik ändern“.
Seine Gäste lieben Abdi für den Mut, Partys zu veranstalten. „Die sind einfach klasse“, sagt einer, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will. Er ist Anfang 30 und vor acht Monaten aus London zurückgekommen, nach fast zwanzig Jahren im Exil. „Sie erinnern mich an meine Zeit in Großbritannien.“
Dabei kann man sich einen solchen Veranstaltungsort dort kaum vorstellen. Rund um die Tanzfläche stehen Plastikstühle und -tische, an denen die Gäste in den Tanzpausen sitzen.
Kuchen, Keks und Limo
Vor sich haben sie Pappteller mit einem Stück Kuchen und einem Keks, außerdem eine Limo-Flasche. Alkohol ist nirgends zu sehen, und die Frauen sind streng islamisch gekleidet, mit weiten Gewändern und Kopftüchern, die keine Haarsträhne freilassen.
„Ich genieße Mogadischu“, meint ein anderer Gast, ebenfalls ein Heimkehrer aus London. „Klar, hin und wieder gibt es kleinere Vorfälle, jemand sprengt sich in die Luft oder so, aber im Allgemeinen ist es ruhig.“
Wie sein Freund zog er nach Somalia, um beim Wiederaufbau von Staat und Gesellschaft zu helfen. Der Wirtschaftswissenschaftler und der Verwaltungsfachmann arbeiten beide in der Stadtverwaltung von Mogadischu, unter einem Bürgermeister, der auch aus London zurückgekehrt ist.
Der Aufschwung
Mogadischu befindet sich derzeit in einer Phase wirtschaftlichen Aufschwungs, von dem auch Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter profitieren. Viele sind Flüchtlinge, die nach wie vor unter widrigsten Umständen in der Stadt hausen.
Sie finden nun Arbeit auf dem zentralen Bakhara-Markt, wo wieder gehandelt wird. Träger und Schubkarrenschieber sind gefragt. Wegen seiner engen Gassen war der Markt viele Jahre lang Rückzugsgebiet der Islamisten und wurde von der Armee und Amisom immer wieder beschossen.
Jahrelang hatten auch die Fischer kaum Kunden, weil sich niemand traute, den weiten Weg durch die Stadt zu ihnen zurückzulegen. Sie fuhren nur noch selten aufs Meer hinaus, jetzt wird jeden Morgen am Fischmarkt wieder lautstark gehandelt, die Arbeit lohnt wieder.
Nur politisch sind die Somalier nicht besonders optimistisch. Der wirtschaftliche Aufschwung findet eher trotz als wegen der Leistungen ihrer UN-gestützten Übergangsregierung statt, die zu den korruptesten weltweit gehört.
Die Baubranche boomt
Im August endet die Übergangsphase, bis dahin soll es nach UN-Vorgaben eine Verfassung geben, dann ein Präsident gewählt werden. Das Rennen um den Spitzenplatz hat bereits begonnen – es sind überwiegend bekannte Gesichter, die sich in Position bringen. Auf ihren alten Posten konnten sie genug Geld beiseitelegen, um sich Einfluss kaufen zu können.
Mancher fürchtet, dass der Kampf ums lukrative Präsidentenamt neue Konflikte bringt. Aweys Mohammed Mohamud bleibt gelassen. „Natürlich hoffe ich auf Frieden. Aber ich lebe schon so lange in Mogadischu, dass ich mich an den Krieg gewöhnt habe.“
Der Bauunternehmer hat die Stadt nie verlassen, aber zuletzt trotzdem nicht schlecht gelebt. Schließlich bedeute Zerstörung „neue Aufträge“. Zurzeit boomt die Branche, denn seitdem weniger Granaten fliegen, investieren mehr Menschen in den Wiederaufbau ihrer Häuser oder bauen neu. Mohamuds größtes Problem ist zurzeit, dass qualifizierte Arbeiter und Baumaterial knapp werden.
Einschusslöcher verputzen
Der 39-Jährige inspiziert eine seiner Baustellen. Arbeiter sind in allen Etagen einer Villa damit beschäftigt, Einschusslöcher zu verputzen, Mauern aufzurichten, geplünderte Kabel zu erneuern. Der Unternehmer hat etwa 200 Mitarbeiter, noch vor sechs Monaten kam er mit einem Drittel aus.
Trotzdem kann er mit seiner Firma Khalab Hor nicht alle Aufträge auf einmal abarbeiten. Seine Auftraggeber seien exilierte Somalier, die angesichts der Stabilisierung nach Mogadischu zurückkehrten, oder Geschäftsleute, die vor Ort zu Geld kommen.
Gerüchten zufolge werden vor allem in der Bauwirtschaft die Lösegelder „gewaschen“, die Piraten vor Somalias Küste mit dem Kapern von Schiffen verdienen. Er könne das aber nicht bestätigen, sagt Mohamud, er wisse nicht, ob die Bauherren Hintermänner hätten.
Dann ist er auch schon wieder durch die Tür und unterwegs zur nächsten Baustelle. Für Partymachen hat er keine Zeit.
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