Auf der Rendsburger Hochbrücke: Ich hier oben, ihr da unten

Wer mit der Bahn von Neumünster nach Flensburg will, kommt über die Rendsburger Hochbrücke. Von dort sieht er das Leben auf der Erde mit anderen Augen.

Über der Welt: die Eisenbahnbrücke in Rendsburg. Bild: dpa

RENDSBURG taz | Fährst du mit dem Zug nach Rendsburg, brauchst du keinen Dom. Die Achterbahn ist drin: Rendsburger Hochbrücke. Geht, wie die Achterbahn, langsam los, über Rampen, plötzlich ist die Erde weg. Ist hoch. Ist atemberaubend.

Du fährst erst über eine andere Brücke, von der du die Rendsburger Brücke siehst, und dir vorstellst, wie es sein wird, wenn du gleich oben bist. Die Rendsburger Brücke ist keines von den Dingern, die dir die Sicht verstellen, sie ist filigran. Durch die Brücke kannst du gucken, auf Horizont und Himmel. Und wenn du auf der Rendsburger Brücke bist, siehst du die andere, von der aus du dir vorgestellt hast, wie es sein wird. Das ist Fahren.

Längst hast du dein Buch zugeklappt. Du bist erst von Gras umgeben, Sträuchern, Bäumen, und dann ist das alles weg, auch die Erde, aus der das Gras, Sträucher und Bäume wachsen. Wupp. Es ist nicht, wie bei der Achterbahn oder im Flugzeug, ein Schock, der durch Plötzlichkeit und Geschwindigkeit entsteht, sondern sanfter. Trotzdem hängst du dann in der Luft, mit so ein bisschen Zug um dich rum.

Erbaut wurde die Eisenbahnbrücke von 1911 bis 1913, um den Nord-Ostsee-Kanal zu überwinden.

Mit einer Schwebefähre, die an der Unterseite der Brücke hängt, kommen Fußgänger und Fahrzeuge über den Kanal.

Wegen der großen Steigung ist die Brücke vom Rendsburger Bahnhof nur über eine 360-Grad-Schleife erreichbar.

„Tock, tock, tock“, macht der Zug und rumpelt. Dann guckst du runter. Siehst einen Sportplatz, Gelbrote spielen gegen Braune. Siehst einen Tennisplatz, spielt keiner, ist viel Laub drauf. Braunes Laub auf rotem Sand. Ein Bassin. Du willst, dass der Zug anhält, damit du mehr Zeit hast. Fährt schon langsam, aber nicht langsam genug. Da gibt es eine Aussichtsplattform, aber da kommst du jetzt nicht hin. Du musst ja nach Schleswig.

Siehst einen Kinderspielplatz, gelbes Klettergerüst. Häuser, alles Klinker, ein Hotel, viele Einfamilienhäuser, Wintergarten, weiß, Campingstühle, sitzt keiner drauf. Die Stühle sind mit dem Rücken gegen die Tische gelehnt. Siehst ein Postauto, eine Fahne, die sagt: „Hier ist Deutschland, Däne, siehst du das wohl!“ Ein Trampolin, noch eins, noch eins. Alle blau. Ein Pizzaofen, weiß. „Ui“, macht das Kind in unserem Abteil, das an der Scheibe hängt und runterguckt. Du kannst nicht so schnell schreiben, wie du guckst. Du kannst nicht so schnell sehen, wie du guckst.

Guckst in ein Haus, Frühstückstisch. Gehört sich nicht, da so hineinzustarren. Du denkst dir eine schwarzhaarige Frau, die Eier mit Speck brät. Eine Straße, leer. Geparkte Autos vor den Häusern glänzen, die Bäume und der Himmel spiegeln sich im Lack. Eine verschlammte Wiese, Pfützen, Heuballen. Spaziergänger, ein Radfahrer. Alles unecht. Ab einer bestimmten Höhe sieht die Wirklichkeit so aus wie die Welt im Hamburger Miniatur-Wunderland.

Da ist der Nord-Ostsee-Kanal. „Uihhh“, macht das Kind. Das in mir auch. Als 1911 die Eisenbahnstrecke von Neumünster nach Flensburg gebaut wurde, war die Überquerung des Kanals schwierig. Da, wo wir jetzt sind, in der Mitte der Brücke, ist sie 42 Meter hoch, mit Auffahrtrampen 7,5 Kilometer lang, die Brücke über den Kanal, auf den wir jetzt gucken, ist 317 Meter lang. Kein Schiff in Sicht. Die Brücke hat nur Strom im östlichen Gleis, das westliche Gleis ist außer Betrieb. Soll aber wieder Strom rein, dann ist die Brücke wieder zweigleisig befahrbar.

Du siehst – nichts. Falsch. Du siehst Planen. Hängen Planen an der Brücke, wegen der Bauarbeiten. Siehst du wieder runter, dann wieder Planen. Die Brücke wird instand gesetzt und verstärkt. Nicht nur die Schiffe, auch die Züge – vor allem Güterzüge – werden dicker. Es werden Stahlteile eingefügt, der alte Korrosionsschutz entfernt und durch neuen ersetzt. Die Nieten, alles in allem 3,2 Millionen, werden durch Schraubverbindungen ersetzt. Auch die Fundamente werden verstärkt. Damit über die Brücke schwere Güterzüge nach Skandinavien und zurück rollen können. Es gibt Leute, die sagen, die Bahn habe die Idee, die Brücke abzureißen, damit die Züge schneller fahren, weil die Brücke Zeit kostet.

Zum Teufel mit den Leuten, die solche Ideen haben, und wem das hier zu langsam geht, auch zum Teufel. „Uiuihhh“, macht der Junge in meinem Abteil.

Irgendwann im Jahr 2013 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Und dann wird die Brücke von der Bundesingenieurkammer als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet. Wenn du sie dir hochkant denkst, hast du den Eiffelturm.

Du siehst die Schiffsbegrüßungsanlage, keiner da, keiner sitzt auf der Terrasse des Cafés. Hast die ganze Zeit Gänsehaut, denkst an den Satz, dass die Angst vor der Tiefe mit dem Drang, hinunterzuspringen, zu tun hat. Ist das von Walter Benjamin oder von Freud? Auf alle Fälle stimmt es. Siehst Kleingärten, bunte Lauben, blaue Türen, grüne Dächer, hinten Stadt, weiter hinten Hochhäuser, noch weiter hinten Strommasten, ganz hinten Dunst. Rosa und zart.

Da unten heißt was „Die Pantry“, ist ein Restaurant, da ist die Kegelsporthalle des Rendsburger TSV von 1859, Sportplätze, wenn da wer kicken würde, bei dem sich das Zugucken lohnen würde, dann stünden auf der Aussichtsplattform Leute, und würden für lau Fußball gucken. So wie sie das in Stuttgart-Degerloch machen, vom Fernsehturm runter, bei Spielen der Stuttgarter Kickers. Jedenfalls war das früher so.

Zurück fahre ich in der Nacht. Unter mir, im Tal, viele Lichter, und über uns viele am Himmel, und auf der Brücke ein kleines.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.