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Aserbaidschan begnadigt MörderEin Schock für Jerewan

Regierung und Öffentlichkeit in Armenien reagieren wütend auf die Freilassung des verurteilten Mörders Ramil Safarow. Protestiert wird gegen Ungarn.

Demonstranten verbrennen in Jerewan die ungarische Flagge. Bild: dpa

BERLIN taz | „Ungarn, ein Mitglied der EU und Nato, ist bestechlich!“ und „Schandfleck in Europa!“ – mit diesen Parolen haben am vergangenen Wochenende hunderte Aktivisten in der armenischen Hauptstadt Jerewan protestiert, die ungarische Fahne verbrannt und das ungarische Konsulat mit Tomaten beworfen.

Zuvor hatte der armenische Präsident Sersch Sargsjan den Abbruch der diplomatischen Beziehung zu Ungarn angekündigt: „Mit diesen Schritten haben die Regierungen Ungarns und Aserbaidschans der Wiederholung solcher Verbrechen alle Türen geöffnet. Sie haben den Mördern ein Signal gesandt. Diese sind jetzt überzeugt, dass Mord infolge von ethnischem oder religiösem Hass ungestraft bleiben kann. Das armenische Volk wird das nicht verzeihen“, so Sargsjan.

Am vergangenen Freitag hatte die ungarische Justiz den aserbaidschanischen Offizier Ramil Safarow zurück in seine Heimat geschickt. Safarow hatte 2004 den armenischen Militärangehörigen Gurgen Margarian in Budapest mit einem Beil und Messerstichen brutal ermordet.

Offizielle Stellen in Jerewan betonen, dass Ungarn zugesichert habe, Safarow nicht nach Aserbaidschan auszuliefern. Jetzt, wo er wieder zu Hause ist, fühlt sich die armenische Gesellschaft verraten. Budapest erklärte, man sei von der Freilassung des Mörders nach seiner Auslieferung nach Baku überrascht worden.

„Gibt es jemanden auf der Welt, der der Bevölkerung von Berg-Karabach vorschlagen wird, sich Aserbaidschan anzuschließen, wo ein Mörder als Held gefeiert wird, weil er einen Armenier getötet hat?“, fragte Sargsjan in seiner Rede zum Tag der Unabhängigkeit der Republik Berg-Karabach. Diese ist international nicht anerkannt.

„Am 2. September 1991 hat Berg-Karabach seine Unabhängigkeit erklärt, und die heutige Realität zeigt, dass diese Wahl richtig war“, sagte der Präsident. Am Sonntag traf sich der armenische Außenminister Edward Nalbandian in Paris zu Gesprächen mit Repräsentanten der Minsk-Gruppe der OSZE.Am Mittwoch tritt das armenische Parlament zu einer außerordentlichen Versammlung zusammen.

Druck auf Ungarn

„In Armenien entwickelt sich eine starke gesellschaftliche Bewegung, die vom Parlament Armeniens fordert, die Unabhängigkeit von Berg-Karabach sofort anzuerkennen“, erklärte Naira Sohrabian, Sprecherin der zweitgrößten Oppositionspartei „Blühendes Armenien“.

Unterdessen hat sich das armenische Diasporaministerium an die in der ganzen Welt lebenden Armenier gewandt. „10 Millionen Armenier in der Diaspora werden protestieren und Aktionen durchführen, um von den Regierungen und Parlamenten in den verschiedenen Ländern Druck und Sanktionen gegen Aserbaidschan sowie Ungarn zu fordern“, heißt es in einem offenen Brief des Ministeriums.

„Das war menschenrechtlich und politisch das falsche Signal!“ – unter diesem Motto organisiert die Arbeitsgruppe Anerkennung – gegen Genozid, für Völkerverständigung e. V. (AGA) am 8. September vor der ungarischen Botschaft in Berlin eine Mahnwache.

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11 Kommentare

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  • A
    Annahit

    @ A. Omid

     

    Sie irren sich, wenn Sie denken, dass die meisten Armenier ASALA unterstützen würden. Nur ein Teil derjenigen, die auch die Taschnak unterstützt haben, haben auch die ASALA unterstützt. Die meisten Armenier lehnen die Morde, die in unserer Namen begangen wurden, ab.

     

    Heutzutage lehnen auch viele der ursprünglichen Mitglieder dieser Gruppen Gewalt ab. Viele von uns verstehen aber dennoch diese Menschen, die aus Rache dafür gemordet haben, was ihnen und ihren Familien während des Genozids angetan wurde, bei dem 1,5 Millionen Armenier getötet wurden.

     

    Ich kenne keinen Armenier, der das was sie getan haben, für korrekt erachtet. Anders übrigens als Safarow, der recht zufrieden mit sich selbst zu sein scheint.

  • HL
    Heiko L.

    @A.Omid: Das ist zwar durchaus nicht uninteressant, hat aber mit dem obigen Artikel nicht viel zu tun. Dass die Türkei und Armenien heftig über die Geschichte streiten, ist ja nicht neu. Das Fass würde ich an dieser Stelle aber nicht aufmachen, es bringt nichts, unterschiedliche Themen zusammenzurühren.

    Was sie im Falle Safarovs offenbar meinen, wäre zudem kein Mord, sondern Totschlag (Handlung aus dem Affekt heraus bzw. ohne vorsätzliche Tötungsabsicht). Er wurde in Ungarn aber wegen Mordes verurteilt, zumal er seinerzeit die Tat auch als solche (d.h. als Mord) selbst gestanden hat.

     

    @Mike Haller: Als Berg-Karabach 1921 (Sowjet-) Aserbaidschan zugesprochen wurde, war Lenin noch am Leben und Stalin lediglich erst "Nationalitätenkommissar". Die Entscheidung wurde außerdem nicht von Stalin persönlich, sondern kollektiv vom sog. "Kaukasusbüro" getroffen. An der Abstimmung nahmen seinerzeit übrigens auch drei armenische Vertreter teil. Das Protokoll verzeichnete 3 Enthaltungen (das könnten die Armenier gewesen sein), NEIN-Stimmen gab es keine. Diese historische Tatsache sollte schon zur Kenntnis genommen werden, auch wenn sie sicherlich (damals wie heute) nicht allen gleichermaßen gefallen (haben) dürfte.

  • MH
    Mike Haller

    @ A. Omid: Oh ja, da haben sie natürlich völlig recht. Eine “schlimme beleidigung“, für die es übrigens vor Gericht keinerlei Zeugen gab, ist selbstverständlich Grund genug einen schlafenden Menschen mit der Axt fast den Kopf abzutrennen und etliche male mit dem Messer auf ein einzustechen. Was für eine absurde Argumentation!

  • A
    A.Omid

    A.Omid

    Mord ist Mord egal wer das macht, besonders ein geplanten Mord ist am schlimmster,

    Die Armenier haben, um ihre Pseudo-Genozids-Behauptungen an der Tagesordnung halten zu können, stets an blutige Methoden gehalten. Am 15. März 1921 erschoss Soghomon Tehlirian Talat Pascha in Berlin, Tehlirian war Mitglied des geheimen armenischen Terror- Komando, das die Täter des Genozids an den Armeniern verfolgte und tötete. Er wurde im folgenden Mord-Prozess vom Vorwurf eines Tötungsdeliktes freigesprochen. Im Jahre 1973 fingen die Attentate der armenischen Terrororganisationen an. Der Generalkonsul Mehmet BAYDAR und der Konsul Bahdir DEMIR wurden in Los Angeles durch Armenier Gurken ( Karakin ) Yanikiyan ermordet. Nach diesem Attentat wurde Yanikiyan zur lebenslangen Haft verurteilt. Am 31. Dezember 1984 wurde Yanikiyan begnadigt.

    Bis Heute sind 42 Türkische Diplomaten durch armenische Mörderbande ermordet wurden. Die Meisten davon wurden entweder nicht gefasst, oder mit milder Strafe in Europa und Nordamerika verurteilt. Im Fall Ramil Safarow, ist kein geplanter Mord gewesen, sondern durch schlimme Beleidigungen und Provokation zustande gekommen und er hat 7 Jahren in Gefängnis gesessen. Wir sollten das ganze Geschehen nicht politisieren.

  • M
    Magdalene

    Wenn ich die Phrase "Azeri Deal" höre, denke ich sofort über Betrug, Erdöl und Korruption...

     

    Ungarn hat mich entäuscht :(

  • HL
    Heiko L.

    Interessanter Artikel und die Diskussion nimmt den zu erwartenden Verlauf. Ich finde aber, dass Täterverehrung bzw. Glorifizierung von politisch motivierten Verbrechen generell abgelehnt werden müsste. Das gilt dann für die Freilassung und Beförderung des "Axtmörders" in Aserbaidschan, aber genauso für den anhaltenden Heldenkult um Monte Melkonjan in Armenien und die Ermordung eines erst neunjährigen aserbaidschanischen Kindes durch einen mutmaßlichen armenischen Scharfschützen im März letzten Jahres an der Waffenstillstandslinie um Berg-Karabach.

    Beispiele wie diese zeigen, dass es in erschreckendem Ausmaß (noch) an menschlicher Empathie fehlt.

     

    Mit Blick auf die politisch rechtsgerichtete Orban- Regierung, unter der sich Ungarn immer weiter von einer Demokratie entfernt, hätte in diesem Fall allerdings auch eine diplomatische Protestnote Armeniens ausgereicht.

     

    Die Kriegsrhetorik des Präsidenten Armeniens ist meiner Meinung nach ebenfalls wenig hilfreich, wenngleich dies in erster Linie wohl als Beruhigungspille für die aufgeputschten Nationalisten im eigenen Land gedacht ist.

     

    Am Ende wird ohnehin wohl alles bleiben wie es ist: Keine wesentlichen Fortschritte bei der Konfliktlösung, aber zunehmende militärische Provokationen beider Seiten. Auf diplomatische Anerkennung hofft Berg-Karabach jedenfalls vergeblich. Dies würde allein schon Armeniens "Großer Bruder" (Russland) nicht zulassen, weil dies seinen eigenen Interessen eindeutig zuwider liefe.

     

    Und ob es der AGA gelingen wird, eine Massenkundgebung vor der ungarischen Botschaft zusammenzutrommeln, daran dürfte vermutlich selbst der Autor dieses Artikels (T.P.) seine Zweifel haben.

  • S
    SaCa

    Es scheint sehr komisch zu sein, wenn die linksten Linken, also die supper-pupper Linken Europas und unseres geliebten Deutschlands davon sprechen, wie tief bis ins Mark die armenische Seele von der Auslieferung Ramil Safarovs betroffen sei. Tja, na und. Wo waren die supper-pupper Linken, als Terrorist und Mörder Karapetyan 2001 von Frankreich nach Armenien ausgeliefert wurde, dort bejubelt und zum Nationalhelden erklärt wurde??? Macht euch bitte nicht lächerlich. Für euch schreibe ich das erste und letzte Mal: Jede, und zwar JEDE, auch unsere Regierung in Aserbaidschan hätte alles getan, um Safarov rauszuholen. Nicht weil seine Tat uns sehr begeistert oder so. Aber er ist unser Bürger, unser Soldat und ES IST KRIEG. Und der Krieg hat seine eigene Logik. Genauso wie der Frieden noch weit entfernt ist.

     

    Und sehr interresant, dass TAZ redakteur Herr Petrosyan über armenische Schanden nicht schreibt!!!!

  • U
    Ungarnfreund

    Wenn die ungarische Regierung tatsächlich einen Axtmörder für 2-3 Milliarden Euro frei läßt, dann hat sie den guten Ruf des Landes und der ungarischen Regierung unwiderruflich ruiniert.

    Wenn nicht, dann ist Ungarn listigen Versprechungen Aserbaidschans auf den Leim gegangen.

    So oder so, kommt Ungarn aus der Schande nur, wenn Ungarn DIE REGION BERGKARABACH ALS UNABHÄNGIGEN STAAT

    POLITISCH ANERKENNT. (Kostet nichts, bringt aber Klarheit in die Sache). Nun warten wir ab.

  • MH
    Mike Haller

    @ Jack Stern: Sie sollten sich etwas besser informieren. In Karabach leben keine radikalisierten aus Armenien hinzugezogene Armenier, sondern eine ganz normale ethnische armenische Bevölkerung die in diesem Gebiet bereits seit etlichen Jahrzehnten lebt. Die Bevölkerung in dieser Region bestand zu 94% aus Armeniern(!), als Josef Stalin diese Tatsache ignorierend das Gebiet um Bergkarabach 1921 willkürlich der Sowjetrepublik Aserbaidschan schenkte.

     

    Zu den „Vertriebenen“ die aufgrund dieses Konfliktes entstanden sind:

    Die Anzahl der armenischen Flüchtlinge (diese wurden im Gegensatz zu den aserbaidschanischen Flüchtlinge bislang nirgends erwähnt) beträgt 400.000 die aus Aserbaidschan vertrieben wurden, dazu kommen noch 30.000 armenische Flüchtlinge aus Karabach selbst. Insgesamt also etwa 430.000 vertriebene Armenier.

     

    Die Anzahl aserbaidschanischer Flüchtlinge wird mit 650.000 bis 800.000 klassifiziert.

     

    Quellen: Thomas de Waal – „Black Garden“; CIA Factbook – Profile of Azerbaijan

  • JS
    Jack Stern

    Nein keiner in Karabach wird bereit sein sich Aserbaidchan wider anzuschliessen, weil nach der Vertreibung von über 1 Million Aserbaidchaner nur radikalisierte Armenier und Aus Armenien zugezogene übrig sind.

    Seltsamerweisse wird immer vergessen die vertriebenen Aserbaidchaner zu erwähnen.

  • J
    JohannB

    Aserbaidschan soll der Regierung von Ungarn zugesagt haben Staatsanleihen in Höhe von 2-3 Milliarden Euro zu kaufen. Es sieht so aus, als ob das der Preis für die Überführung und anschließende Freilassung des Mörders war. Die haben's ja in Baku.

     

    Zumindest sieht das die ungarische Opposition so, weshalb heute Abend in Budapest auch eine Demo stattfinden wird.

     

    Ich persönlich traue dem Ungarischen Regierungschef noch ganz andere Sachen zu.