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Editorial von Jörg WimalasenaNach dem Crash ist vor dem Crash

Die Bilder haben sich in das kollektive Gedächtnis eingegraben: Banker, umringt von Journalisten, die ihre Habseligkeiten in Pappkartons aus der Lehman-Brothers-Zentrale in Manhattan tragen. Es ist der 15. September 2008, als die weltbekannte Investmentbank nach 158 Jahren Konkurs anmeldet. An diesem Tag verlieren 26.000 Lehman-Mitarbeiter ihren Job. Unmittelbar danach stürzen die Aktienkurse weltweit ab. Aber nur langsam wird klar, dass diese Finanzkrise keine vorübergehende Minirezession ist, sondern die schlimmste Erschütterung der Weltwirtschaft seit 1929.

Allein in den USA löst sich Privatvermögen im zweistelligen Milliardenbereich in Luft auf. Innerhalb eines Jahres verdoppelt sich die Arbeitslosenquote. 10 Millionen US-Amerikaner verlieren ihre Häuser.

Geschichten von gestern könnte man meinen – doch der Schatten der Krise ist lang. Sie begleitet noch immer das Leben der Menschen – nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Am Schluss wurden die Banken mit Steuermilliarden gerettet: Der Crash beschleunigte so die Vermögensumverteilung von unten nach oben, verstärkte die soziale Spaltung der westlichen Industriegesellschaften.

Außerdem machte er Tausende Kilometer von der Wall Street entfernt die Fehlentwicklungen in Europa sichtbar und löste die Schuldenkrise aus. Deren Erbe zeigt sich unter anderem bis heute in der Mietpreisexplosion in deutschen Großstädten. Denn: Aufgrund der krisenbedingten Niedrigzinsen gehören Immobilien noch zu den wenigen Investments mit hoher Rendite. Die Niedrigzinsen sorgen auch dafür, dass Sparer verlieren und Spekulanten gewinnen: Es gibt kaum noch Rendite fürs Konto, aber Riesenprofite für Aktionäre. Wer zockt, gewinnt, wer nicht mitzocken will oder kann, verliert. Es ist das gleiche Muster wie vor der Krise.

Zehn Jahre nach der Lehman-Pleite zieht die taz Bilanz und widmet sich auf vier Seiten den Folgen der Krise. Wir schauen auf die Situation der Minderheiten in den USA, die noch heute besonders stark unter dem Verlust ihres Vermögens leiden. Wir schauen auf die Wall Street, wo übersteigerte Männlichkeit die Krise mit auslöste und Frauen noch immer marginalisiert sind. Wir sind auf den Spuren der Occupy-Aktivisten, die sich der Finanzwelt entgegenstellten und dann geräuschlos verschwanden. Wir analysieren, ob die Banken zehn Jahre später besser reguliert sind, warum deutsche Kreditinstitute besonders von der Krise betroffen waren und was die Finanzspritzen für die Banken den Staat gekostet haben. Und: Wir gehen der Frage nach, wann die nächste Krise kommt.

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