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Archiv-Artikel

Der lange Marsch durch die Illusionen

Früher haben sie für den Sozialismus gekämpft, heute sind sie erfolgreiche Geschäftsmänner: Drei ehemalige engagierte 68er-Aktivisten erklären, warum sie doch in dieser Gesellschaft angekommen sind. Und warum die fetten Jahre noch lange nicht vorbei sind ■ Protokolle SILKE KETTELHAKE

Spediteur Klaus E. H. Zapf, 52, organisiert seit fast dreißig Jahren mit seinen gelb-blauen Lkws Umzüge. „Wenn ich kein Geld habe, verdiene ich mir ein neues“, sagt er, streicht über seinen Rauschebart und schiebt langsam ein Stückchen Kautabak von links nach rechts.

„Zapf macht 20 Millionen Umsatz im Jahr. Wir wachsen weiter, qualifiziert. Unsere Gewinne sind schon unanständig. Ich persönlich habe einen Steuersatz von über 50 Prozent. Wenn ich ein Problem mit meiner Mannschaft habe, schreie ich nicht gleich nach Schröder. Wenn ich feststelle, dass etwas nicht rundläuft, dann bin ich hier, damit das gerundet wird. Ich muss mich dem Problem stellen und mit den anderen zusammenarbeiten.

So richtig gereizt hat mich eigentlich nie etwas. Außer dass ich nie Druck verspüren wollte; ich wollte immer unabhängig sein. Und das wird man ja als Unternehmer. Die größte Lebenslüge war ja die Vorstellung, dass alle gleich sind, das war natürlich Blödsinn. Meine Mutter hat immer gesagt: ‚Klaus! Haste was, biste was!“ Ich hab ja früher gemerkt, bei den ganzen Diskussionen um Umverteilung des Besitzes: Man spricht über Geld und hat keine Ahnung. In dem Moment, wo du einen Laden hast, hören dir alle zu. Dann setzen sie sich mit dir auseinander.

Mein Ziel ist, mich nicht zu langweilen. Ich bin ein ungeduldiger, hippeliger, verhaltensgestörter Chaot, der sich auf Umstände einlassen muss, die ihn wie einen Borderliner auf der Spur halten. Und wenn ich das nicht habe, tja, dann fühle ich mich nicht wohl. Im Grunde meines Herzens war ich immer eine faule Sau. Da ich das Trinken aufgeben musste, was ja früher zu mannigfacher Ablenkung führte, bin ich jetzt auf stärkere Reize angewiesen. Aber ich habe gelernt, über mich zu lachen.

Die Welt verbessern, davon hab ich mich schon lange zurückgezogen, das geht nicht. Diese missionarischen Anwandlungen aufgrund jugendlichen Elans, von Visionen, das greift nicht. Auch das revolutionäre, begeisterungsfähige Bewusstsein, das kann man in die Tonne hauen. Wenn es zum Schwur kommt, dann ist es so wie immer, zwei oder drei halten die Köppe hin, die andern flüchten hintern Baum. Der eine badet halt gern lau, hat’s gern lau, und es juckt ihn nicht. Das ist legitim.

Geringe Kaufkraft bedeutet Immobilität. Die Umzugsmobilität nimmt jährlich um 20 Prozent ab. Seit ich das Geschäft mache, habe ich so vielen Menschen dabei zugesehen, wie sie aufgestiegen sind – und wie hart der Fall wurde. Vom Größenwahn wirst du hier jeden Tag geheilt. Das ist auch der Grund, warum man sauber bleibt: Weil du ganz genau weißt, nur mit klaren Geschichten kannst du Erfolg haben, alles andere würde sich sofort herumsprechen. Wer bei Zapf anfangen will, muss ein Gefühl für sich selbst mitbringen. Nur wer das hat, für seine Fertigkeiten und Fähigkeiten, kann reflektieren. Du kannst das Wesentliche der Dinge, die du transportierst, nur erfassen, wenn du kapiert hast, was mit dir selbst los ist. Wenn du das nicht druffhast, dann bist und bleibst du einfach ein Stoffel, ein unsensitives Arschloch – das kann ich beim Möbelpacken nicht gebrauchen.“

Verleger Bernd F. Lunkewitz, 66, schwarz gekleidet, thront in seinem Ledersessel, die Beleuchtung ist gedämpft, die Bücher stehen ordentlich in den Regalen, ein Bild der Gediegenheit und Ruhe. Er hat’s geschafft, 16,4 Millionen Euro setzt der Aufbauverlag im Jahr um.

„1968 war keine Revolution. Wir haben die ökonomischen und rechtlichen Verhältnisse der Gesellschaft nicht verändert. Es war eine politisch-ideologische Revolte. Sie hat etwas im Atmosphärischen verändert, im Umgang miteinander – und vor allen Dingen hat 1968 eins gebracht: den Mut zur Aufklärung, auch hinsichtlich der deutschen Geschichte.

1972 hab ich mich von der KPD/ML, der Roten Garde, von allen diesen Gruppen, die eine Revolution wie 1917 in Russland oder später in China wollten, verabschiedet. Weil ich erkannt hatte, dass in diesen Gesellschaften nicht der Sozialismus, sondern der Kapitalismus vorbereitet wird. Den haben wir in Westeuropa aber schon. Ich will mehr Freiheit, mehr Reichtum für alle, mehr Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen, nicht weniger. Aber für den Sozialismus ist die Zeit noch nicht reif, auch wenn er die einzige sinnvolle Alternative zum Kapitalismus ist. Na ja, das war für einen Linken Anfang der 70er-Jahre eine echte Erkenntnis. Einige sind ja sogar in den Untergrund gegangen, weil sie fest daran geglaubt haben, dass der bewaffnete Aufstand kurz bevorsteht.

Ob ich reich werden wollte? Ich war jung und brauchte das Geld, als ich 1973 durch den Studentenschnelldienst der Frankfurter Uni zu einem Job bei der internationalen Immobilienberatung Richard Ellis kam. Zunächst nur für 14 Tage als Bürokraft, aber dann blieb ich. Das Studium hab ich später hingeworfen, weil ich bald sehr viel Geld machte. Ich habe viel gearbeitet, viel riskiert und viel Glück gehabt. Grundbesitz kann im Kapitalismus eine durchaus lohnende Sache sein.

Die Zirkulationsprozesse von Geld und Kapital sind sehr kompliziert. Die Verteilung findet aber meist von „unten“ nach „oben“ statt. Warum sollte das auch anders sein? Schließlich heißt unser System Kapitalismus, da profitieren eben die Kapitalisten. Eine andere Form der Verteilung, die den Grundwiderspruch des Kapitalismus aufhebt, wäre der Sozialismus. Oder sollte ich persönlich mein Kapital an die Armen verteilen? Ich könnte zwar einigen ein paar warme Sachen schenken, aber die gesellschaftliche Wirklichkeit wird damit nicht verändert. Ich wäre allerdings der Mittel beraubt, mit den guten Büchern des Aufbau-Verlags Aufklärung zu befördern, dazu braucht’s Geld, nicht nur guten Willen. Solche romantischen Forderungen stellt man immer nur den bekennenden Sozialisten.

Ob ich in dieser Gesellschaft angekommen bin? Ich werde gerade Vater. Dieses Glück erlebe ich zum ersten Mal. Spätestens wenn man Vater wird, ist man in der Gesellschaft angekommen. Ich werde meinem Kind raten, ein Studium ordentlich abzuschließen und nicht wie ich mit den Schmuddelkindern zu spielen. So werde ich versuchen, mein Kind für den Kapitalismus fit zu machen – in der Hoffnung, dass es den Sozialismus erleben wird.

Professor Dr. Bernd Rabehl, 66, will jetzt als Rentner das Leben genießen. Dennoch versucht sich der ehemals engste Freund Dutschkes, SDS-Aktivist und wichtiger Theoretiker der APO, als Vortragsreisender in rechten Gefilden. Sein Projekt: die APO als eine nationalrevolutionäre Bewegung umdefinieren.

„Der Gerhard Frey von der Nationalzeitung: Ich muss ehrlich sagen, ich wusste gar nicht, wer das ist. Der rief hier einfach an und fragte, ob er ein Interview mit mir machen kann. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mit Frey nie ein Interview zu führen, aber als mir der Name wieder eingefallen ist, war’s zu spät. Es war schließlich auch seine Hetze gegen Dutschke, dass Josef Bachmann geschossen hat. Aber das Interview ist harmlos, also nicht weiter wichtig. Und zu meiner Rede vor der komischerweise als rechts geltenden Burschenschaft Danubia – ein NPD-ler war da mal Jugendvorsitzender: Da könnte ich wie Castro sagen, die Geschichte hat mich falsch verstanden. Als ich 1973 aus Brasilien zurückkam, wurde ich von der linken Öffentlichkeit behandelt wie ein lieber, guter Onkel. Ich sollte nur noch mit dem Kopf wackeln und freundlich lächeln. Alle haben sich gegenseitig auf die Schulter geklopft: 68, das war großartig, großartig, dabei gewesen zu sein.

Ich wollte immer über die Zuwanderung reden. Per Telefon wurde mir gedroht: Wenn du bei den Burschenschaftlern sprichst, dann kannst du was erleben. Ich lasse mir aber von niemandem das Maul verbieten, also bin ich dorthin gefahren. Und habe über Partisanenverbände gesprochen: Damals wie heute agieren verschiedene Partisanengruppen von Deutschland aus; ich denke da an die PKK. Durch die Zuwanderung entstehen Probleme in Deutschland, mit denen die deutsche Bevölkerung eigentlich nichts zu tun hat. Heute schreiben die großen Zeitungen, was ich damals gesagt habe: dass Ausländer der deutschen Sprache nicht mächtig sind usw. Wahrscheinlich hatte ich dann die Antifa-Grenze überschritten.

1968 bedeutet alles für mich, ohne 1968 wäre ich nicht der geworden, der ich bin. Und 1968 hängt wie ein schwerer Rucksack an meinem Rücken, genauso wie der Dutschke an meinem Rücken hängt. Damit muss ich mich ständig auseinander setzen. Es war schließlich fast eine Revolution, zwar nur fast, aber immerhin. Für uns persönlich war es schon eine. Ich bin nie in die Illegalität gegangen, habe zwar immer damit geliebäugelt, aber es dann nicht gemacht – nicht etwa aus Karrieregründen, sondern weil mir das zu absurd erschien. Und die Kommune erschien mir auch absurd. Freie Liebe und der freie Kampf, das waren für mich absurde Ideen.“