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Hat doch alles einen Sinn

Die Kunstsaele Berlin laden mit thematisch inszenierter Kunst zum „Haus der Sinnsuche“. Versprochen wird mit Verfremdungstaktik ein „gutes Leben durch Kultur“

Von Sophie Jung

Ist das ganze Arrangement erhellend oder albern? Ist diese Ausstellung in den Kunstsae­len Berlin eine smart überspitzte Selbsterfahrung oder hält uns die Kuratorin Ellen Blumenstein mit ihrer Verfremdungstaktik allzu lehrmeisterhaft den Spiegel vor? Jedenfalls ist das „Haus der Sinnsuche“ keine klassische Ausstellung. Die Arbeiten von 31 unterschiedlichsten Künstlern, darunter On Kawara, Ceal Floyer, Alexander Kluge oder Rainald Grebe, fügte Blumenstein wie eine Regisseurin und Szenografin zu einer Kulisse zusammen, die man betreten kann wie ein unvorbereiteter Schauspieler das Filmset.

Denn alles im „Haus der Sinnsuche“ folgt einem Drehbuch: Eine freundliche Person weist einem im Empfangszimmer auf einer Sesselbank aus knarzendem Leder im Stahlrohrrahmen den Platz. Geometrische Farbstudien aus den Siebzigerjahren von Reiner Kallhardt und Sophie Delaunay hängen so nebensächlich dekorativ an der Wand wie manch andere abstrakte Malerei im Wartezimmer einer Charlottenburger Zahnarztpraxis.

„Gutes Leben durch Kultur“ verspricht Ellen Blumenstein im Vorwort einer ausliegenden Broschüre, die mit Otl Aichers Schrifttype Rotis und einer Auflistung echter und falscher Sponsoren bis ins Detail das Kommunikationsdesign von Beratungsagenturen nachahmt.

Doch schon der heitere, computeranimierte Kiwi auf einem Flachbildschirm verrät, dass hinter den verschlossenen Türen die Suche nach einem Sinn vielmehr in der Sinnlosigkeit stattfinden wird. Filmemacher Dony Permedis fängt den flugunfähigen Vogel nämlich in einer Comicadaption des Sisyphos-Mythos ein.

„Wir glauben an den fehlenden Sinn“ schreibt Blumenstein, „wir sollten diese Leerstelle offenhalten anstatt sie zu verleugnen.“ Dieser unverfrorene Realismus in einem Setting der Kopie ist zunächst lustig. Und der Kunst fällt die Rolle zu, die soeben verkündete Sinnlücke zu veranschaulichen. Katerina Sedas wandgreifende Zeichensammlung ihrer Großmutter erfüllt diese Funktion auf berührend authentische Weise: Die alte Dame therapierte sich aus der Lethargie des Greisendaseins, indem sie das Auslage­regal des Haushaltswarenladens, in dem sie 33 Jahre gearbeitet hatte, aus ihrer Erinnerung in naiven Bildchen festhielt.

Doch ganz so leichtfüßig begegnet man im „Haus der Sinnsuche“ nicht immer der Absurdität unseres Daseins, denn Blumenstein bettet die Kunst mit fünf thematischen Sälen in plakative Interieurs unseres Alltags ein und ruft eine unbehagliche Symbolik wach. Das „Lab“ ist ein beklemmendes Callcenter, Sinnbild der neoliberalen Prekariats, auf dessen sechs Flachbildschirmen Filme wie Piwi Tirkalas tragische Fiktion dreier Pokerprofis aus Bangkok laufen.

Der Kunst fällt die Rolle zu, die verkündete Sinnlücke zu veranschaulichen

Der „Festsaal Schöneberg“ ist ein Raum der Selbstbeobachtung. Von einer großen Spiegelwand aus verfolgt einen die Reflektion des eigenen Ichs. Es ist dabei, wenn man vor der Ambivalenz von Katharina Mayers Familienporträts erschrickt, und wandert mit, wenn man Marc Bijls Installation mit zehn schwarzen Lederjacken umfährt, die eigentlich als modisches Symbol der Subkultur plötzlich zu einer militärischen Paradeformation aufgestellt sind. Im Hintergrund krächzt Rainald Grebe auf einem Konzertmitschnitt „Ganz oben“.

Die klassischen Glücksversprechen des Westens – Reichtum, Familie, Individualismus – kulminieren im Festsaal also vorm eigenen Spiegelbild. Uff. Trotz Parodie tritt Ellen Blumenstein in diesem Ausstellungsprojekt immer wieder als tiefenpsychologische Lehrmeisterin hervor, die die Besucher als allzu sehr in einer neoliberalen Subjektzentrierung gefangen sehen will.

Letztlich gibt ein im Treppenhaus kauernder Punk von Böhler & Orendt die beste Antwort auf die Frage der Sinnsuche: den totalen Nihilismus.

Haus der Sinnsuche: Kunstsaele Berlin, Bülowstr. 90, Mi.–So. 11–18 Uhr, bis 22. Juli.Am Sonntag gibt es um 11 Uhr eine „Sinnsuche“ mit Susanne Michl, Juniorprofessorin für Medizinethik Charité

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