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Das gesellschaftliche Bündnis „Brementrojaner“ kritisiert die Reform des Polizeigesetzes. Einige Maßnahmen gingen zu weit, andere seien untauglich

Von Gareth Joswig

Ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Gruppen und der parteilosen Bürgerschaftsabgeordneten Susanne Wendland fordert, die Novellierung des Polizeigesetzes zu kippen. Der sich „Brementrojaner“ nennende Zusammenschluss hält geplante Sicherheitsverschärfungen in Form von mehr Videoüberwachung, Staatstrojanern und Fußfesseln für Gefährder für den „Einstieg in den Überwachungsstaat“.

Wendland sagte am Mittwoch bei einer Pressekonferenz des Bündnisses: „Die geplanten Maßnahmen werden keine Anschläge verhindern, ignorieren die Freiheitsrechte und gaukeln als Sicherheitsfolklore lediglich vor, die terroristische Gefahr im Griff zu haben.“ Das Bündnis forderte einen Neubeginn der Novellierung nach einer „breiten öffentlichen Debatte“ über die Sinnhaftigkeit der geplanten Maßnahmen.

Die Bremer Innenbehörde schraubt seit vergangenem Jahr an einem neuen Polizeigesetz. Einen ersten Entwurf des Gesetzes stellte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) im Dezember 2017 vor. Nach deutlicher Kritik der erst spät informierten Datenschutzbeauftragten Imke Sommer und der Abgeordneten in der Innendeputation im Januar zog die Mäurer den Entwurf zurück, um ihn zusammen mit dem grünen Koalitionspartner zu überholen.

Anlass für die Kritik war, dass sowohl die geplanten Maßnahmen in ihrer Gesamtheit als auch einzelne Aspekte verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen. Dazu gehört der rechtlich schwammige Begriffe der „terroristischen Straftat“ (taz berichtete). Ein neuer Entwurf des Gesetzes soll am heutigen Donnerstag den Deputierten zugehen und noch Ende April in der Bürgerschaft beschlossen werden.

Die Innenbehörde wiegelte die Kritik ab: „Von einer massiven Überwachung kann keine Rede sein“, sagte Sprecherin Rose Gerdts-Schiffler. Es gehe darum, schwerste Straftaten zu verhindern und dafür das Gefahrenabwehrrecht anzupassen.

Das „Brementrojaner“-Bündnis ist gegenteiliger Meinung: Für Maike Schmidt-Grabia vom Verein Digitalcourage ist das neue Gesetz die „schleichende Einführung des Überwachungsstaates“. So schränke die permanente Videoüberwachung am Hauptbahnhof heute schon die Demonstrationsfreiheit ein. Studien aus Großbritannien zeigten zudem, dass umfassende Kameraüberwachung Kriminalität nur verdrängt und nicht verhindert. „Für Terrorismus kann Videoüberwachung bei der Produktion von Schreckensbildern sogar förderlich sein“, sagt Schmidt-Grabia.

Rechtsanwalt Rolf Gössner von der Liga für Menschenrechte war lange Mitglied der Innendeputation und selbst Opfer von illegaler geheimdienstlicher Überwachung. Fußfesseln hält er für wenig zielführend und kritisiert, dass die Polizei aufgrund von Indizien eine spätere Straffälligkeit vorab bewerten soll. Zudem sei die Fußfessel nur ein „Placebo“.

Ein Staatstrojaner auf einem Smartphone kann auch schreiben und Beweise platzieren

Ein islamistische Attentäter trug während seines Anschlags in der Normandie 2016 eine Fußfessel und auch der Anschlag am Breitscheidplatz wäre nach Ansicht Gössners mit einer Fußfessel möglich gewesen. Man solle lieber vorhandene Maßnahmen nutzen und für eine bessere Personalausstattung in der Polizei sorgen.

Ähnlich kritisch sieht Aaron Lye vom Forum InformatikerInnen für Frieden die Einführung von Staatstrojanern zur Überwachung von digitaler Kommunikation: „Die bewusste Instrumentalisierung von Sicherheitslücken durch Polizei und Geheimdienste sind eine strukturelle Gefahr für IT-Systeme und damit alle“, warnt Lye. Sobald ein Staatstrojaner auf einem Smartphone installiert sei, könne der Staat nicht nur überwachen, sondern „auch schreiben und Beweise platzieren“.

Für die Datenschutzbeauftragte Sommer ist neben der Verfassungskonformität des Gesetzes wichtig, dass es eine gesellschaftliche Diskussion darüber gibt, wie viel Überwachung nötig ist. Das Verfassungsgericht verweise dabei stets auf die Überwachungsgesamtrechnung: „Man darf nicht nur jedes Instrument einzeln angucken, sondern muss auch im Blick haben, was die Quantität der Maßnahmen insgesamt mit der Gesellschaft macht“, sagt Sommer. Die Quantität von Überwachungsmaßnahmen dürfe nicht in eine neue Qualität umschlagen.

Gelegenheit zur geforderten Diskussion gibt es nächsten Dienstag: bei einem Podium mit allen Beteiligten im Gewerkschaftshaus.

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