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Hanoi versus Hanoi

Lichtenberg Nach dem Agentenkrimi um den Expolitiker Trinh Xuân Thanh vor zwei Wochen bewertet die vietnamesische Community den Fall durchaus unterschiedlich

Hotspot vietnamesischer Geschäftskultur: das Don-Xuan-Center in Lichtenberg Foto: Wolfgang Borrs

von Marina Mai

Nach der Arbeit setzt sich Duc D. jetzt jeden Abend vor den Computer. Er will die Neuigkeiten im Agentenkrimi zwischen Berlin und Hanoi erfahren: Trinh Xuân Thanh, ein ehemaliger Politiker, der sich nach Berlin geflüchtet hatte, wurde vor zwei Wochen entführt und tauchte in Hanoi wieder auf, wo er jetzt inhaftiert ist. Das deutsche Auswärtige Amt ist davon überzeugt, dass Agenten des vietnamesischen Geheimdienstes hinter der Entführung stecken. Das offizielle Hanoi hingegen spricht von einer freiwilligen Rückkehr. Hanoi wirft dem einstigen Politiker Unterschlagung in Millionenhöhe vor. Er selbst sieht sich als Opfer eines parteiinternen Machtkampfes.

Duc D., der Lichtenberger Vietnamese, Mitte 50, saugt gierig die Nachrichten auf. Nein, an eine freiwillige Rückkehr des Expolitikers nach Vietnam, dem dort die Todesstrafe drohen kann, glaubt er nicht. Auch wenn das vietnamesische Staatsfernsehen VTV4, das an den meisten Abenden bei ihm eingeschaltet ist, davon spricht. Duc D. kam 1988 als Vertragsarbeiter in die DDR. Er betreibt einen Imbiss in Lichtenberg, ist vietnamesischer Patriot und hinterfragt vietnamesischsprachigen Meldungen selten kritisch. Doch neben dem Staatsfernsehen gibt es Blogs in seiner Muttersprache, eine deutsch-vietnamesische Onlinezeitung aus Berlin und unzählige Facebook-Gruppen für Berliner Vietnamesen. „Niemand hier glaubt an die freiwillige Rückkehr“, sagt Duc D. Und das ist schon ein Erfolg der alternativen Öffentlichkeit gegen die Staatsmedien.

Aber sonst? Durfte Vietnams Geheimdienst den Mann in Deutschland entführen? Duc D. denkt laut. „Thanh ist doch Vietnamese. Vietnam muss gegen Korruption vorgehen. Was soll Vietnam tun, wenn Deutschland den Mann nicht ausliefert?“ Warum Vietnam nicht einmal einen Auslieferungsantrag gestellt hat, das hat Duc D. nicht verstanden. Vielleicht, weil Deutschland wegen der drohenden Todesstrafe ohnehin nicht ausgeliefert hätte? „Ich weiß nicht, was ich darüber denken soll. Es ist aber peinlich, wenn Vietnam jemanden entführt und alle Leute schauen zu. Da schäme ich mich, Vietnamese zu sein.“

Thuy N. hingegen hat sich längst eine Meinung gebildet. Die 27-jährige Lichtenbergerin kam als Kleinkind nach Deutschland, liest überwiegend deutsche Medien, diskutiert aber an den Abenden auch in vietnamesischen Facebook-Gruppen. „Wo kommen wir da hin, wenn ein ausländischer Geheimdienst in Deutschland einfach Leute entführt“, sagt sie erregt. Für Thuy N. steht fest, dass die Entführer und ihre Hintermänner bestraft gehören. „Dass Deutschland einen Diplomaten ausgewiesen hat, kann nur der Anfang sein. Der eine kann das ja nicht allein gemacht haben.“ Wenn sie abends am Computer sitzt, postet sie fleißig, was sie aus deutschen Zeitungen zum Fall Thanh liest. „Das sollen meine Verwandten in Vietnam auch erfahren.“

„Niemand glaubt an seine freiwillige Rückkehr“

Lichtenberger Duc D.

14.000 Vietnamesen leben in Berlin, etwa die Hälfte in den Bezirken Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf. Die Zuwanderungsgruppe ist so heterogen wie wenige: In Medienberichten gibt es die gut integrierten Schüler auf der einen Seite und die illegalen Zigarettenverkäufer auf der anderen Seite. Politisch sind auf der einen Seite die Bootsflüchtlinge in den Westbezirken, die der Regierung in Hanoi kritisch gegenüberstehen und das Agieren des Geheimdienstes selbstverständlich verurteilen. Auf der anderen Seite leben in den Ostbezirken die ehemaligen Vertragsarbeiter und Studenten aus der DDR: Viele von ihnen haben Sympathie für die Regierung in Hanoi, und sie stehen jetzt ratlos da. Zahlreiche Vertreter der ersten Generation haben bis heute nur wenig Deutsch gelernt. Sie sehen das vietnamesische Staatsfernsehen, besuchen in ihrer Freizeit Kulturveranstaltungen mit vietnamesischen Künstlern, die die Botschaft mit­organisiert hat und bei denen sie fleißig Spenden für Viet­nam einwirbt. Und da ist die hervorragend in die deutsche Gesellschaft integrierte zweite Generation: Fast ausnahmslos gehen sie ins Gymnasium oder studieren.

Anh N., 50, vertritt im Internet offensiv die Position, Vietnam hätte das Recht gehabt, den Expolitiker zu entführen. „Deutschland kann doch nicht unter dem Deckmantel des Asylrechts einen Verbrecher festhalten“, sagt sie der taz. „Deutschland hat kein Recht, sich hier einzumischen. Der Mann ist vietnamesischer Staatsbürger, der in Vietnam Geld unterschlagen hat.“ Die Frau holt tief Luft und sagt laut: „142 Millionen. Noch Fragen?“

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