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„Wir vermissen euch schon jetzt“

Brexit Großbritannien beantragt offiziell den Austritt aus der EU. Premierministerin May wünscht sich eine „tiefe und besondere Partnerschaft“ für die Zukunft, EU-Ratspräsident Tusk hofft auf „Schadensbegrenzung“

von Dominic Johnsonund Eric Bonse

BERLIN/BRÜSSEL taz | Neun Monate und sechs Tage, nachdem die Briten per Volksabstimmung den Austritt Großbritanniens aus der EU beschlossen, hat Premierministerin Theresa May das Austrittsgesuch in Brüssel eingereicht. Das Schreiben aktiviert nicht nur den Artikel 50 der EU-Verträge, der eine zweijährige Frist bis zum automatischen Ende der Mitgliedschaft festlegt, sondern benennt auch die Prinzipien, entlang deren May die Verhandlungen darüber zu führen gedenkt.

„Konstruktive und respektvolle“ Gespräche fordert May; so wenig Unsicherheit wie möglich; und das Ziel einer „tiefen und besonderen Partnerschaft zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union, die sowohl wirtschaftliche als auch sicherheitspolitische Zusammenarbeit umfasst“. Die Rechte der jeweiligen Bürger sollten an oberster Stelle stehen und eine Gefährdung des Friedensprozesses in Nordirland vermieden werden. Klar spricht sich das Schreiben dagegen aus, den Austritt einfach ohne Einigung über die zukünftige Zusammenarbeit zu vollziehen.

Vor dem Parlament in London sprach May von einem „historischen Moment, von dem es keine Umkehr geben kann“ und fügte hinzu: „Ich will, dass dieses Vereinigte Königreich aus dieser Zeit des Wandels stärker, fairer, geeinter und weltoffener hervorgeht als je zuvor“ – ein Seitenhieb sowohl gegen rechtspopulistische Brexit-Nationalisten als auch gegen schottische Sezessionisten, nachdem Schottlands Parlament am Dienstag beschlossen hatte, ein neues Unabhängigkeitsreferendum zu beantragen.

In seiner Antwort rief Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn die konservative Regierungschefin dazu auf, nicht nur „den ideologischen Tory-Hardlinern“ zuzuhören, sondern dem ganzen Land. Theresa May müsse sicherstellen, dass der Brexit den Briten keine Verschlechterungen bringe. „Wenn die Premierministerin einen Deal erreicht, der unseren Kriterien entspricht, werden wir hinter ihr stehen.“

„Ich will, dass dieses Vereinigte Königreich aus dieser Zeit des Wandels stärker, fairer, geeinter und weltoffener hervorgeht als je zuvor“

Theresa May vor dem britischen Parlament

Hype in Brüssel

Als May den Brexit-Bescheid losschickte, löste das in Brüssel einen unglaublichen Hype aus. Der britische Botschafter Tim Barrow wurde auf Schritt und Tritt gefilmt, wie er sich auf den Weg ins neue Brüsseler EU-Ratsgebäude machte, um den Antrag zu überreichen. Ratspräsident Donald Tusk präsentierte den sechsseitigen Brief vor laufenden Kameras der Presse.

„Hier ist er“, sagte der Pole in gebrochenem Englisch. Es sei ein harter Einschnitt. „Wir vermissen euch schon jetzt“, rief Tusk den Briten zu.

Gleichzeitig habe der Austritt aber auch etwas Positives, so Tusk weiter: „Wir sind entschlossener und einiger denn je“, sagte er. In der Praxis ist es mit der Einheit allerdings nicht weit her. Wäre es anders, dann könnten die 27 EU-Staaten die Verhandlungen mit Großbritannien sofort beginnen. Doch so läuft das nicht in Brüssel.

Erst einmal muss Tusk den Scheidungsbrief genau analysieren. Dann will er den Entwurf einer Verhandlungsstrategie vorlegen, dem die 27 auf einem Sondergipfel zustimmen müssen. Erst danach – wohl Mitte Mai – kann es richtig losgehen mit dem Brexit-Poker.

Klar scheint nur das Ziel: Die Briten möchten möglichst schnell die EU verlassen, zu möglichst niedrigen Kosten und mit einem möglichst freien Zugang zum Binnenmarkt. Die EU hingegen bemüht sich um „Schadensbegrenzung“, wie Tusk das formulierte. Es soll möglichst wenig Porzellan zerschlagen werden, da man die Briten ja auch nach dem Austritt noch braucht, vor allem in der Sicherheitspolitik.

„Wir werden wie ein Mann zusammenstehen und die Kosten für unsere Bürger und Unternehmen minimieren“, versprach Tusk. Dabei ist der Schaden schon jetzt riesig. Drei Millionen EU-Bürger auf der Insel wissen nicht, wie es weitergeht. Zwar wollen sowohl Theresa May als auch der Verhandlungsführer der EU-Kommission, der Franzose Michel Barnier, die Bürgerrechte ganz oben auf die Agenda der Brexit-Talks setzen. Doch ob eine Einigung möglich ist, solange andere Fragen umstritten bleiben, ist völlig offen. Auf der Agenda stehen schließlich auch heikle Themen wie die „gesalzene Rechnung“ von bis zu 60 Milliarden Euro, die Kommissionschef Jean-Claude Juncker den Briten präsentieren will und für die es aus britischer Sicht keine rechtliche Grundlage gibt.

„Wir erkennen an, dass es eine Herausforderung sein wird, ein umfassendes Abkommen innerhalb der vertraglichen Zweijahresfrist zu erreichen“, so May in ihrem Schreiben.

Und dann ist da noch das Europaparlament. Es muss den Ergebnissen der Verhandlungen am Ende zustimmen und hat jetzt schon eine harte Linie angekündigt. So soll Großbritannien zunächst kein Freihandelsabkommen angeboten werden, heißt es in einem Entwurf. Es ist wie bei einer echten Scheidung: Man ist sich nicht einmal über die Basics einig.

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