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Initiative Mit dem Elberskirchen-Hirschfeld-Haus soll ein Zentrum entstehen, das queere Kultur und Forschung unter einem Dach vereint. Die rot-rot-grüne Regierung unterstützt das ProjektEin queerer Leuchtturm

von Lisbeth Schröder

Berlin hat weltweit die meisten Archive und Quellenbestände lesbischer, schwuler, Trans*- und Intergeschichte, und das Schwule Museum* beispielsweise ist unter ­queeren For­scher*innen und Tourist*innen weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Diese Archive, Museen und queeren Bildungsträger Berlins unter einem Dach zu versammeln, dafür setzt sich die Initiative Queer Nations ein. Die 2005 gegründete Initiative will mit einem Elberskirchen-Hirschfeld-Haus – kurz E2H – einen „queeren Leuchtturm“ schaffen, der „über die Hauptstadt hinaus Strahlkraft“ entfalten und ein „weithin sichtbares Symbol“ sein soll.

Die Landesregierung greift den Initiatoren unter die Arme: „Die Koalition unterstützt die Idee eines Elberskirchen-Hirschfeld-Hauses und wird den partizipativen Prozess seiner Umsetzung begleiten“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Die einzelnen Mieter sollen in diesem Haus selbstständig ­bleiben: das Lili Elbe Archiv, die Forschungsstelle der Kultur der Sexualität an der Humboldt-Universität, die Magnus Hirschfeld Gesellschaft, das Spinn­boden Lesbenarchiv sowie das FFBIZ-Archiv, ein feministisches Dokumentations- und Informationszentrum. Mit dem E2H, so Sabine Balke, Sprecherin der E2H-Initiative, könnte Berlin wieder an die große Erzählung von Liberalisierung, Emanzipation, von Bildung und Fortbildung, die mit den Namen Magnus Hirschfeld und Johanna Elberskirchen (siehe Kasten)verbunden werden, anknüpfen.

Elberskirchen und Hirschfeld

Schon Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Berlin die Bewegung der Homosexuellen. Eine Schlüsselfigur war die Schriftstellerin, Aktivistin und Feministin Johanna Elberskirchen (1864–1943), die zu geschlechtsspezifischer Erziehung und Bildung sowie Sexualempfinden publizierte. Eine andere Schlüsselfigur war Magnus Hirschfeld (1868–1935), der das Institut für Sexualwissenschaft gründete. Hier konnten sich Besucher unter anderem zu ihrer sexuellen Orientierung beraten lassen. Die Nationalsozialisten zerstörten das Institut 1933.

Mehr Informationen zum Elberskirchen-Hirschfeld-Haus: www.queernations.de (lis)

In der Tat verfügt Berlin über eine große queere Szene mit Beratungsinstitutionen und Vereinen, Kneipen, Bars, Partys, Medien wie die Siegessäule und Blu, oder Erinnerungsorte wie jene am U-Bahnhof Nollendorfplatz für die homosexuellen Opfer im Nationalsozialismus. Politische Parteien haben queere Gruppen und Interessenverbände.

Aber ein Wissens- und Archivzentrum, das gibt es noch nicht. Vielmehr fristen die meisten finanziell oft auch schwach ausgestatteten Archive ein Nischendasein. Das Elberskirchen-Hirschfeld-Haus soll in der Mitte der Stadt entstehen und ein Zentrum der Vernetzung und Kommunikation sein. Dieses Projekt symbolisiere auch, dass „Queeres nicht mehr im Underground angesiedelt sein muss, sondern in der Mitte der Gesellschaft“, so Jan Feddersen, taz-Redakteur und in Sachen E2H zusammen mit der Leiterin des Spinnboden Lesbenarchivs, Sabine Balke, Sprecher der Initiative.

Das Elberskirchen-Hirschfeld-Haus, für das momentan mit Hilfe von Geldern des Senats aus der vorigen Legislaturperiode eine Machbarkeitsstudie erstellt wird, soll mehr sein als nur ein Sammelplatz von Musealem und Archivbeständen. Räumlichkeiten für Lec­tures, Tagungen, Bildungsworkshops und auch ein Kino werden mit eingeplant.

Dieses Projekt symbolisiere laut Initia­tive auch, dass „Queeres nicht mehr ­im Underground an­gesiedelt sein muss, sondern in der Mitte der Gesellschaft“

Über die Kosten schweigen sich Balke und Feddersen aus: „Wir bitten, die Fertigstellung unserer Machbarkeitsstudie abzuwarten. Davon abgesehen, dass wir in der queeren Stadtpolitik mit keinem Sozialprojekt der queeren Community konkurrieren, wird unser Projekt natürlich Geld kosten – das muss es auch, denn unser Haus wird zu den ersten Adressen hauptstädtisch-queerer Repräsentation zählen“, so die Hoffnung der beiden.

Im Sommer dieses Jahres soll die Studie vorgestellt werden – inklusive erster Vorschläge für ein Haus in der Mitte der Hauptstadt.

„Die Realisierung des Projekts sollte in den nächsten fünf Jahren, bis zum Ende dieser Senatsregierungszeit, passieren“, betont Balke. „Wir bieten unser Projekt an, wir werden einen realisierbaren Vorschlag präsentieren – die rot-rot-grüne Regierung wird hoffentlich mit der Strahlkraft des Hauses eines Tages angeben wollen.“

Die Zeichen für eine rechtzeitige Realisierung stehen gar nicht so schlecht: Politiker von SPD, Grünen, Linken, CDU und FDP sicherten auf einem Kolloquium im Dezember zu, sich für das Projekt starkzumachen. Möglich wären Gelder aus Wissenschafts-, Integrations- und Kulturbudgets Berlins, aus Stiftungen, aber auch die Hilfe des Bundes könnte nötig sein.

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