: „Ich hatte ein unreflektiertes Verhältnis zur Stasi“
Dokumentation Vor neun Jahren hat Andrej Holm erstmals öffentlich über seine Zeit beim Wachregiment gesprochen. Und über das Glück in der Kaserne zu sitzen
Nachdem Andrej Holm 2007 von der Bundesanwaltschaft fälschlicherweise vorgeworfen worden war, Mitglied der „militanten gruppe“ zu sein, wurde bekannt, dass die Ermittler auch alte Stasi-Unterlagen genutzt hatten. Daraufhin stritten Holm, zwei weitere Betroffene und eine DDR-Bürgerrechtlerin in einem am 15. 12. 2007 veröffentlichten taz-Gespräch über die Vergleichbarkeit staatlicher Verfolgung in West und Ost. Holm sprach dabei erstmals öffentlich über seine eigene Stasi-Vergangenheit. Wir dokumentieren die entscheidenden Passagen. Das ganze Gespräch steht unter taz.de/holmgespräch
taz: Herr Holm, wie war Ihre Alltagserfahrung 1989?
Andrej Holm: Ich habe September 89 beim Wachregiment Felix Dzierzynski meine Grundausbildung begonnen.
Sie waren bei der Stasi? Das Wachregiment Felix Dzierzynski war doch Teil des Ministeriums für Staatssicherheit?
So ist es. Die Reflexion darüber, was Staatssicherheit tatsächlich war, die begann bei mir erst nach der Wende. Seitdem habe ich da auch einen anderen Blick drauf.
Wie haben Sie das vor der Wende gesehen?
Ich bin zumindest in einer antifaschistisch geprägten Familie groß geworden. Mein Urgroßvater war im illegalen KPD-Apparat und im KZ. Meine Großeltern waren in Moskau. Mein Vater ist da geboren, er war selber hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Staatssicherheit. Ich hatte damit ein unreflektiertes oder wie man damals gesagt hätte, klassenbewusstes Verhältnis zur Staatssicherheit. Deshalb hatte ich mich dafür entschieden, dort selber eine längerfristige Laufbahn einzuschlagen. Im Nachhinein bin ich extrem froh darüber, dass mir die Wende diese Zeit erheblich verkürzt hat.
Was genau haben Sie bei dem Wachregiment gemacht?
Ich habe zunächst eine Grundausbildung gemacht und kam dann zu einer Abteilung in der Berliner Bezirksverwaltung. Die hat sich Auswertungs- und Kontrollgruppe genannt. Aufgabe war es, eine Personendatenbank zu erstellen und Lageberichte zu verfassen. In der hektischen Wendezeit war ich für diese Aufgaben offensichtlich nicht zu gebrauchen. Ich wurde in ein separates Büro gesetzt und durfte dort Betriebsberichte lesen. Zum Ausgleich für dieses Nichtstun wurde ich für viele Wochenend- und Feiertagsdienste eingeteilt. Dadurch habe ich einen Großteil der wichtigsten Ereignisse im Herbst 1989, wie die Demo in Berlin am 4. November, verpasst. (…) Meine Tätigkeit unterschied sich vom reinen Wehrdienst (…) dadurch, dass ich später für die Staatssicherheit arbeiten wollte. Meine Gegenforderung war, dass ich dafür ein ziviles Studium bekomme, um nicht an der Staatssicherheitshochschule ausgebildet zu werden.
Und wie haben Sie reagiert, als Sie gehört haben, dass es im Wendeherbst auch zu diesen Eskalationen kam wie am 7. und 8. Oktober 1989 vor der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg? Haben Sie da gedacht: Da hätte ich auch Teil der Auseinandersetzungen sein können?
Ja. Das war so. Ich war heilfroh, dass ich diese Grundausbildung im Oktober noch nicht beendet hatte und ich das alles fernab von Berlin in einer Kaserne erlebt habe.
In China wurde die Demokratiebewegung im Sommer 1989 blutig niedergeschlagen. Für wie groß haben Sie die Möglichkeit erachtet, dass es auch in der DDR eine chinesische Lösung geben wird?
Das ist schwierig zu beantworten. Es kam aber vor, dass sich Einzelne während der Grundausbildung verdrückt haben, um heimlich über diese Ereignisse zu diskutieren. Da ging es dann da drum, was man in einem solchen Fall macht. Kann man sich krank melden? Kann man sich vielleicht sogar selbst Verletzungen zufügen? Das waren aber reine Gedankenspiele.
Sie waren damals 18 Jahre alt.
Ich habe am 8. Oktober 1989 meinen 19. Geburtstag gefeiert.
In dem Alter muss man nicht politisch gefestigt sein. Zum Wachregiment ging man dennoch nicht ohne Überzeugung. Und die wollen Sie dann so schnell gerändert haben?
Ich habe mich ja nicht für eine Laufbahn bei der Stasi entschieden, weil ich der Meinung war, dass wir damit einer chinesischen Lösung näher kommen. Das kam schon aus dieser Familiengeschichte. Bei den Rekrutierungsversuchen des MfS war es immer einfach, die Kinder der Mitarbeiter zu fragen. Da war auf jeden Fall klar, dass es keine Westkontakte gab.
Interview Gereon Asmuth, Uwe Rada
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