40 Tage ohne Email und Handy: "Pornos werden unwichtig"
Christoph Koch hat vierzig Tage lang auf Internet und Mobil-telefon verzichtet – und darunter schwer gelitten. In der taz spricht der Gezeichnete über sein Trauma.
taz: Herr Koch, wie kann ein Mensch so etwas überhaupt aushalten?
Christoph Koch: Am Anfang war ich tatsächlich ein wenig verzweifelt, weil an jeder Ecke eine Sache gelauert hat, die ich im Internet innerhalb von zwei Sekunden hätte klären können. Vieles wurde umständlicher. Und dann hatte ich anfangs auch ein schlimmes Gefühl der sozialen Vereinsamung, die ich so nicht erwartet hätte. Ich hatte den Eindruck, abgeschottet zu sein, sei es von den Freunden in der Ferne, mit denen ich über Facebook Kontakt halte. Oder auch von Leuten, die eigentlich nur zwei Straßenecken weiter wohnen. Bei einer Geburtstagspartyeinladung ruft dich heute niemand mehr an und sagt, komm am Samstag vorbei, sondern es gibt eine Rundmail oder eine Facebookeinladung. Und dann sitzt man als Offline-Eremit plötzlich da und denkt sich: Jetzt muss ich mich wohl wieder selbst bemühen und die Leute anrufen und mich zum Mittagessen verabreden und die Leute fragen, wie es ihnen geht, weil ich es nicht mehr in ihrem Twitterfeed lesen kann.
Der erste Teil Ihres Offline-Tagebuchs liest sich wie eine Lobeshymne auf das Internet - weil es Ihnen so sehr gefehlt hat?
Christoph Kochs Buch "Ich bin dann mal offline - ein Selbstversuch" erscheint am 26. Juli. (Blanvalet, 272 Seiten, 12, 95 Euro)
Er ist nicht der Einzige, der die netzfreie Muße für sich entdeckt hat. Diese Woche hat der Spiegel als Aufmachergeschichte fast den identischen Titel gewählt wie Koch ("Ich bin dann mal off").
***
Heute erscheint außerdem noch das Buch "Ohne Netz. Mein halbes Jahr offline" des SZ-Feuilletonisten Alex Rühle (Klett-Cotta Verlag, 220 Seiten, 17,95 Euro)
***
Rühle hat ebenso wie Koch ein Tagebuch geführt, während dieser jedoch einen journalistischen Ansatz verfolgt, schreibt Rühle eher literarisch. Und obwohl beide Bücher sehr unterschiedlich sind, beschreiben sie doch ähnliche Erfahrungen: von der Irritation und Neugierde des Umfelds auf das Experiment über die netzlose Verzweiflung bis hin zum inneren Frieden, der sich einstellt, als sie sich daran gewöhnt haben, ohne Internet zu leben. Beides sind lesenswerte Bücher - es ist wohl eine reine Geschmackssache, wen man lieber durch die Abstinenz begleiten möchte: den Praktiker Koch oder den Schöngeist Rühle. (kuz)
Grundsätzlich bin ich vor, während und nach dem Selbstversuch immer sehr für das Internet in all seinen Ausprägungen gewesen. Ich bin kein Skeptiker, der sagt, oh Gott, Facebook zerstört unsere Freundschaften und Google unsere Privatsphäre. Daher habe ich zunächst das Positive sehr vermisst.
Später ging es dann besser?
Als nach etwa ein bis zwei Wochen der erste Entzug vorbei war, habe ich mich ganz gut damit arrangiert, nicht mehr vernetzt zu sein. Und ich habe bemerkt, dass mir einiges gar nicht so sehr fehlt und vieles nur Gewohnheit war. Zum Beispiel das ständige Surfen auf Newsseiten. Ich habe mir dann gesagt: Okay, lese ich eben mal wieder eine Zeitung.
Wie hat sich Ihr Alltag verändert, als Sie begonnen haben, auf das Internet verzichten?
Zunächst ging es mir wie einem Exraucher, der ja nicht nur das Rauchen aufgibt, sondern auch alle Gewohnheiten, die mit dem Rauchen zusammenhängen. Früher musste ich schon auf dem Weg ins Bad den Computer anmachen, damit der hochfährt, während ich mir die Zähne putze und den Kaffee aufsetze. Dann die ersten Klicks auf den Browser, das E-Mail-Programm und Word. Während das alles startet, die Hose anziehen. Die Tagesroutine begann mit dem Internet. Ohne dieses Ritual habe ich mich gefragt: Was machst du jetzt mit deiner Zeit? Das hat sich aber als großer Vorteil herausgestellt: Denn ich musste mich entscheiden, was ich heute wirklich machen will - und nicht nur Kleinkram abarbeiten, die hundertste Rücktrittsmeldung lesen und E-Mails beantworten.
Sie haben sich ohne Internet also selbstbestimmter gefühlt?
So habe ich das erlebt. Und wenn ich etwas aus dieser Zeit mitnehme, dann ist es das: nicht gleich am Morgen die E-Mails nachsehen, sondern die ersten paar Stunden des Tages mit der Arbeit verbringen, die man selbst für wichtig hält. In den Mails lauert nur der Steuerberater und hat noch eine Frage, und der bevorzugte Ebay-Verkäufer hat neue Dinge eingestellt. Und ganz schnell verliert man sich in diesen kleinen Dingen.
Sie mussten sicher auch auf kulturellen Input verzichten: keine Musikempfehlungen mehr von Facebookfreunden, keine Links auf interessante Blogs und Artikel.
Da ist mir ein großer Strom verloren gegangen. Und ein sehr guter Filter: Jemand sieht, hört oder liest etwas, die besten Sachen werden weiterempfohlen und daraus destilliert sich dann etwas, das für mich persönlich interessant oder hilfreich ist. Das hat gefehlt. Mir blieb als Alternative, sieben Tageszeitungen zu kaufen und die alle selbst durchlesen. Aber dadurch habe ich den spannenden Artikel verpasst, der in der achten Zeitung gestanden hätte. Der Internettheoretiker Clay Shirky hat den schönen Satz gesagt: "Es gibt keine Informationsflut, es gibt nur schlechte Filter."
Zwei wesentliche Säulen des Internets kommen in Ihrem Buch nicht vor: Pornografie und illegale Downloads. Beides hat Ihnen nicht gefehlt? Oder hatten Sie damit sowieso nie zu tun?
Ich hatte damit in natürlich längst vergangenen Jugendjahren kurz Kontakt, habe aber nie inhaliert. Im Ernst: Ich denke, dass Pornos und Filesharing im Vergleich unwichtiger werden, je länger das Internet besteht. Das Netz ist nicht mehr der große Sündenpfuhl, für den die Kritiker es immer noch halten. Früher hieß es: Würde man alle Pornografie aus dem Internet entfernen, bliebe nur eine einzige Seite übrig, auf der steht: "Bring back the porn!" Dieses Klischee ist überholt, weil nicht mehr nur junge Männer im Netz sind, wie das vielleicht in den Neunzigern der Fall war, sondern alle: Junge, Alte, Familien, Väter, Mütter und Großeltern. Es hat sich in ein Mainstreammedium verwandelt.
Sie sind von Beruf freier Journalist, also ständig auf Aufträge angewiesen. Haben Sie in diesen vierzig Tagen offline Geld verloren, weil Sie nicht erreichbar waren?
Ja, schon. Als ich mich nach dem Ende des Selbstversuchs wieder eingeloggt habe, habe ich mehrere Mails gefunden von Redaktionen, die mir in dieser Zeit Aufträge gegeben hätten. Es bekam zwar jeder, der mir gemailt hat, eine automatische Antwort mit Festnetznummer und Postadresse. Aber darauf haben die nicht reagiert. Wahrscheinlich hat die Redaktion gesagt: Der Koch spinnt, rufen wir lieber den nächsten Autor an. Niemand hat den Umweg auf sich genommen. Da waren insgesamt vier Aufträge einfach weg. Für Freiberufler ist eine Netz- und Handy-Abstinenz langfristig nicht machbar - aber für die meisten Festangestellten wiederum auch nicht, weil es der Chef nicht erlauben würde.
Wie viel Zeit haben Sie verloren, weil Sie nur noch offline recherchieren konnten?
Offline habe ich mich auf Relevantes beschränkt und mich nicht damit verzettelt, stundenlang weiterzugoogeln, obwohl ich das für meine Arbeit nicht brauchte. Aber insgesamt hat sich das ausgeglichen. Arbeit dehnt sich sowieso immer so weit aus, bis sie die vorgegebene Zeit ausfüllt. Wenn man fünf Stunden Zeit für eine Aufgabe hat, wird man immer diese fünf Stunden brauchen, egal, welche technischen Hilfsmittel man hat.
War es am Ende schwer, wieder online zu gehen?
Ja. Ich wollte nicht, dass das am nächsten Tag wieder alles losgeht mit den ständigen Mails, ich wollte nicht erfahren, was ich verpasst hatte. Darum habe ich an den Monat noch mal zehn Tage drangehängt.
Hatten Sie Angst vor dem Internet?
Ein bisschen. Ich dachte mir, es wäre doch eigentlich viel entspannter, noch weiter offline zu bleiben. Ich hatte den Entzug hinter mir gelassen, hatte mich arrangiert. Mein erster Onlinetag war dann tatsächlich ein unangenehmer. Kein "Endlich darf ich wieder" wie in "Endlich darf ich mich wieder duschen". Als das Festnetz und das Handy das erste Mal wieder gleichzeitig geklingelt haben, war ich plötzlich extrem gestresst, vor dem Selbstversuch war das ganz normal gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass ich kommunikativ weniger belastbar geworden war und erst wieder eine Stressresistenz aufbauen musste.
Wie lange hat das gedauert?
Das ging schnell. Und leider waren auch die schlechten Angewohnheiten nach zwei Wochen wieder da: telefonieren und nebenher heimlich eine E-Mail schreiben. Ganz leise tippen, damit es der andere nicht hört. Viele gute Vorsätze waren schnell dahin.
Nach vierzig Tagen ohne: Braucht man das Internet überhaupt?
Für mich ist der Beweis erbracht: Es geht - je nach Beruf besser oder schlechter - auch ohne. Aber es macht unser Leben reicher, glücklicher, sinnvoller und vielfältiger. Man braucht das Internet nicht. Doch man wäre dumm, es nicht zu benutzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin